ESAF_2025_Festakt_by_Maya_Rhyner Sonntag

56'500 Besucher und Besucherinnen waren am Schwingfest. Wie viele zusätzlich aufs Gelände gekommen sind, lässt sich nicht sagen. © ESAF, Maya Rhyner

Die Schweiz ist kein Volk von Schwingfans

Esther Diener-Morscher /  Mit haarsträubenden Rechnungen kommen die Organisatoren des Schwingfests zu Phantasie-Besucherzahlen. Niemand hinterfragt sie.

Eine halbe Million Schwingfans seien am Wochenende ans Eidgenössische Schwing- und Älplerfest gereist: Das vermeldeten die Medien einstimmig. Niemand hinterfragte die Zahl: 500’000 Besucher und Besucherinnen an einem Schwingfest? Das würde bedeuten, dass über fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung in Mollis GL waren.

Doch das ist falsch. Nicht einmal die Organisatoren behaupten, es seien 500’000 Besucher und Besucherinnen am Schwingfest gewesen. In ihrer Medienmitteilung zum Abschluss des Festes hiess es nämlich: «Rund eine halbe Million Besucherinnen und Besucher nutzten die Gelegenheit, das Glarnerland und die Plus-Region von Freitag, 15. August, bis Sonntag, 31. August, zu besuchen.»

Jeder Tourist zählte, zwei Wochen lang

Da ist keine Rede von Schwingfans. Gezählt wurden offenbar sämtliche Personen, die in der Region unterwegs waren. Und dies schon in den zwei Wochen vor dem Fest und nicht etwa nur auf dem Schwingfestgelände in Mollis, sondern im ganzen Kanton Glarus und sogar in den umliegenden Gebieten.

Infosperber wollte wissen, wie die Organisatoren auf diese Zahl kommen. Die Antwort: Das seien Schätzungen «aufgrund von Beobachtungen aus den verschiedensten Bereichen».

Kurz zusammengefasst: Die Organisatoren haben die Angaben von Verkehrsbetrieben, Bratwurstverkäufern und Campingplatzbetreibern zusammengezählt und sind dann auf die Phantasie-Besucherzahl von 500’000 gekommen. Viele Personen wurden mutmasslich mehrmals gezählt: Einmal am Samstag, einmal Sonntag, einmal im Festzelt, einmal auf dem Campingplatz.

Die Medien haben die halbe Million nicht nur unkritisch übernommen, sondern daraus eine halbe Million Schwingfans gemacht. Dabei wäre die einzige gesicherte Zahl von Schwingfans 56’500: So viele Billette haben die Organisatoren nämlich für die Schwingfest-Arena verkauft.

Die Fest-Organisatoren weisen darauf hin, dass Tausende von Besuchern das übrige Festgelände kostenlos besucht hätten. Ja, Tausende sind das sicher gewesen, die auch ohne Billett für die Arena nach Mollis gereist sind und dort auf dem Festgelände eine Bratwurst gegessen und ein Bier getrunken haben. Aber rund 450’000 Personen waren es nicht.

Übrigens: Die Zahl von 56’500 Leuten, die in der Schwingfest-Arena waren, ist auch nicht so gigantisch. Das zeigt ein Vergleich: Die Spiele der letzten Runde der Fussball-Meisterschaft sahen 72’300 Zuschauer.

Wie wenn Thun nacheinander gegen St. Gallen, Basel und YB spielen müsste

mdb. Schwingen wird von praktisch allen Medien behandelt wie eine ernst zu nehmende Sportart. Dabei ist es eine Mischung aus Willkür und Kuhhandel. Das Problem: Wenn 200 Schwinger antreten, dann kann nicht jeder gegen jeden schwingen. Daher wäre normal, dass die Paarungen ausgelost oder nach anderen nachvollziehbaren Kriterien zusammengestellt würden.

Aber so ist es nicht. Im Schwingen gibt es ein Einteilungskampfgericht. Einsitz haben an einem «Eidgenössischen» je ein Vertreter der fünf Teilverbände und einer des Eidgenössischen Schwingerverbandes. Sie teilen nach drei Grundsätzen ein:

  • Die besten Schwinger sollen gegeneinander antreten. Jene also, die in den vorherigen Gängen am meisten Punkte geholt haben.
  • In den ersten Gängen sollen nicht Schwinger aus dem gleichen Teilverband gegeneinander kämpfen.
  • Die Vertreter der Teilverbände versuchen, das Beste für ihre Schwinger herauszuholen. Jeder wirkt darauf hin, dass seine Schwinger einen Gegner erhalten, der ihnen liegt. Und sie wirken darauf hin, dass die Schwinger der anderen Teilverbände eine möglichst schwierige Aufgabe bekommen.

Das Einteilungskampfgericht wirkt hinter verschlossenen Türen. Es ist ein einziges Feilschen und Taktieren. Und es kann ein Schwingfest entscheiden.

Würde die Schweizer Fussballmeisterschaft so ausgetragen, dann müsste der Leader, der FC Thun, wohl in der nächsten Runde gegen seinen ärgsten Verfolger, den FC St. Gallen, spielen. Und, damit Thun in der Rangliste nicht enteilt, bekäme er es anschliessend auch gleich noch mit dem FC Basel zu tun. Damit nicht zwei Mannschaften aus dem gleichen Kanton vorne mitspielen, hiesse der nächste Gegner wohl YB.

Undenkbar? Ja, natürlich. Aber das Schwingen funktioniert so.

Besonders war am diesjährigen «Eidgenössischen» auch, dass sich im Schlussgang Werner Schlegel und Samuel Giger gegenüberstanden, aber keiner Schwingerkönig wurde. Denn ihr Gang endete mit einem «Gestellten» – einem Unentschieden also. Profitiert hat Armon Orlik, der Schwingerkönig wurde, ohne dass er im Schlussgang gestanden hätte.

Diese Konstellation gibt es an sich auch im Fussball. Letztes Jahr stand der Cup-Final zwischen Servette und Lugano nach 90 Minuten 0:0. Es kam zur Verlängerung und zum Penaltyschiessen. Servette gewann. Wäre es nach den Schwing-Regeln gegangen, hätte keiner der Finalisten gewonnen, sondern der FC Sitten oder der FC Winterthur, obwohl beide schon den Halbfinal verloren hatten.


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