Bob Dylan Buch Die Philosophie des modernern Songs

Bob Dylans neues Buch: Die Philosophie des modernen Songs. © Bildschirmfoto chbeck.de

«Die Philosophie des modernen Songs»

Leo Ensel /  Bob Dylan hat ein Buch veröffentlicht über den Schatz, dem er alles verdankt.

Ja, Bob Dylan schreibt auch Bücher! Wer nun aber erwartet hatte, Dylan würde nach seinem avantgardistisch-kryptischen «Tarantula» (1971) und den biblisch «Chronicles» genannten Memoiren «Volume I» (2004) jetzt endlich den zweiten Band seiner Lebensgeschichte folgen lassen, liegt falsch. Der alte Spielverderber hat mal wieder einen zauberschönen Haken geschlagen: Völlig unerwartet präsentiert er uns ein Buch über ein Thema, das ihm im fortgeschrittenen Alter – der Mann ist mittlerweile immerhin 81 – offenbar erheblich mehr am Herzen liegt als die berühmte Deutungshoheit über die eigene Biographie. Der Meister spricht über sein Handwerk.

Eine Liebeserklärung an die Popularmusik

Es ist eine Liebeserklärung an den Schatz, dem er erklärtermassen alles verdankt: das gigantische Universum der – überwiegend amerikanischen – Popularmusik. «Die Philosophie des modernen Songs» heisst der Band, und er knüpft nahtlos an die 100 Sendungen seiner berühmten «Theme Time Radio Hour» von 2006 bis 2009 an. Damals hatte Dylan im Stil des Radios der Fünfzigerjahre, das ihm als Teenager in den endlosen eisigen Minnesota-Wintern die Welt erschlossen hatte, so etwas wie eine Audio-Volkshochschule in Sachen «Amerikanische Songs» betrieben.

Befreit man das im wahrsten Sinne des Wortes gewichtige Buch aus der Plastikhülle, so erlebt man gleich die erste Überraschung: Es ist ein opulent bebilderter Band im liebevoll-nostalgischen Layout der Fünfzigerjahre. Keine Frage: Auch das Auge soll mitessen. Die zahllosen historischen Fotos entführen uns nochmal in die Hochzeit des klassischen Tonträgers, mit dem Dylan wie auch die meisten seiner Fans aufgewachsen sind: der Schallplatte!

Bob Dylan Buch Die Philosophie des modernern Songs
Das Buch besticht mit seinem liebevoll-nostalgischen Layout.

66 Songs stellt Dylan vor – und weckt damit unterschwellig Assoziationen an eine berühmte Road, die ihrerseits Thema und Headline für einen oftmals gecoverten Song abgegeben hat. Und es sind beileibe nicht die hierzulande populärsten «modern Songs», die Dylan einer genaueren Betrachtung unterzieht. Der Rezensent gesteht, dass ihm vor der Lektüre des Bandes von den porträtierten 66 ganze 16 Songs bekannt waren.

Zu den meisten Songs liefert Dylan zunächst eine atmosphärische Anverwandlung, wobei er sich nicht selten in Tiefen fallen lässt, die in den Songs zwar latent angelegt sind, dort aber nicht ausgeführt werden. Ihnen lässt er einen – manchmal reflektierten, manchmal eher schnoddrigen – Kommentar folgen, der den Song oder den Interpreten in den jeweiligen musikhistorischen Kontext stellt.

Ein paar Standards und ungehörte Perlen

«Wir fluchen alle über die vorangegangene Generation, wissen aber, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir uns selbst in sie verwandeln», spottet Dylan zum Beispiel treffend über den frühen Song der Who «My Generation» mit seiner klassischen Zeile «Hope I die before I get old!»

Von vielen Songs und Interpreten werden die meisten Leser – wie der Rezensent – vermutlich noch nie etwas gehört haben. (Wer kennt schon «Without a song» von Perry Como?) Wer das Buch liest, tut daher gut daran, ein modernes Lexikon, sprich: Laptop oder Tablet, neben sich zu haben, das ihm hilft, sich im Dschungel der zahllosen Bezüge, der unbekannten Songs und noch unbekannteren Interpreten zurechtzufinden. Für die Songs selbst gibt es nicht nur Youtube, sondern auch bereits eine Songlist bei Spotify.

Also: Lassen wir uns von dem Meister seines Fachs entführen und tauchen wir intensiver ein in die Welt des «modern song»! Es lohnt sich.

Bob Dylan: «Die Philosophie des modernen Songs». Beck-Verlag, in Deutschland ab € 35.–, in der Schweiz ab Fr. 40.–.


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Keine
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2 Meinungen

  • am 17.01.2023 um 10:16 Uhr
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    Der hochtrabende Titel weckt hohe Erwartungen, die der gute Bob Dylan dann nur teilweise erfüllt. Die Auswahl seiner Reverenzen im für ihn prägenden Liedgut ist erstaunlich, zumal nicht nur angelsächsische Werke vorkommen, sondern z.B. auch Domenico Modugno mit seinem «Volare». Viel erstaunlicher ist indessen, wer alles fehlt. Weder Woody Guthrie kommt mit einem Song vor noch der legendäre Ramblin Jack Elliot, dessen Stil Dylan in seiner Frühzeit übernahm und dann weiterführte. Eigenartig, diese Auslassungen. Immerhin, Pete Seeger erscheint in Dylans Werk. Editorisch ist das Buch schön aufgemacht und gut übersetzt. Dass im 350-seitigen Werk aber ein paginiertes Verzeichnis der Interpreten der erwähnten Songs fehlt, ist schwer nachvollziehbar. Dennoch, für Dylan-Fans eine Empfehlung.

  • am 17.01.2023 um 18:44 Uhr
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    Gerne gönne ich dem Autor des Buches seinen Erfolg und natürlich auch die Einnahmen dafür. Widersprechen möchte ich jedoch dem Autor des Artikels, wenn er schreibt, dass der Musiker seinen «Schatz» öffnet. Bekannt wurde der Musiker durch die Liebschaft zu der sehr bekannten Sängerin «Joan Baez», die schon vor ihm berühmt war. Als er dann auch bekannt war, behandelte er seine Freundin wie einen Fan, sie musste zu seinen Konzerten sogar sich anstellen und Eintritt bezahlen. Für die einen Menschen mag der Musiker ein Genie sein, für mich, handelte er damals menschenverachtend.

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