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Aussenminister Ignazio Cassis – hier in Sessa – muss jetzt aktiv werden! © cm

Jetzt ist die Schweiz auch international gefordert

Christian Müller /  Der Bundesrat wird für seine Corona-Politik viel gelobt. Jetzt aber müsste er auch international aktiv werden. Ein Aufruf!

Die Schweiz hat international immer noch einen relativ guten Ruf – wenn auch mit Abstrichen. Ihre Uhren, ihre Schokolade und ihre fast sprichwörtliche Sauberkeit werden international bewundert. Und dank Henry Dunant und dem aus seiner spontanen Initiative in der Schlacht von Solferino im Jahr 1859 entstandenen Roten Kreuz und der – zumindest formellen – Neutralität gilt die Schweiz immer noch auch als bewährte Vermittlerin – mit Betonung auf «noch».

Bei Kennern der internationalen Szene ist ihr Ruf tatsächlich schon deutlich angeschlagen. Banken-Skandale wie damals die verschwiegenen nachrichtenlosen Vermögen auf Schweizer Banken – das sogenannte Nazi-Gold –, die systematische Beteiligung der Schweizer Grossbanken am Steuerbetrug reicher Ausländer, die Beteiligung an internationalen Libor-Zins-Manipulationen, die extrem vorteilhafte Pauschal-Besteuerung von ausländischen Superreichen etwa in Gstaad oder am Genfer See, aber auch Skandale wie jetzt um die Crypto AG in Zug und die Infoguard AG in Baar sind durchaus nicht übersehen worden. Die politische Neutralität nimmt «Bern» ja längst nicht mehr ernst. Im Jugoslawienkrieg war die Schweiz total auf der Anti-Serben-Seite der NATO, ebenso wie bei den 2014 beschlossenen Sanktionen gegen Russland wegen der Sezession der Krim, und auch die US-Sanktionen gegen Kuba trägt die Schweiz konsequent mit – selbst die staatseigene Bank «PostFinance» führt keine Geldüberweisungen Schweiz-Kuba und Kuba-Schweiz durch. Das letzte Beispiel ist umso unverständlicher, als die Schweiz jahrzehntelang die Briefträgerrolle zwischen den USA und Kuba wahrzunehmen hatte.

Und jetzt in der Covid-19-Krise?

Dass sich jedes Land im Moment selber helfen muss, ohne auf nachbarschaftliche Hilfe zählen zu können, ist traurig genug. Nicht nur traurig, sondern – zumindest in meinen Augen – geradezu skandalös ist, dass trotz dieser mittlerweile echt weltweiten Krise mit bereits Tausenden von Toten die internationalen Wirtschaftssanktionen hochgehalten werden. Man denke etwa an die Sanktionen gegen den Iran, die zwar – offiziell – fast nur von den USA angewandt werden, de facto aber von praktisch allen Staaten und allen grossen Firmen eingehalten werden, weil sie eine Bestrafung durch die USA fürchten. Und das gegen ein Land, das besonders tief in der Covid-19-Krise steckt.

Niemand weiss, wie die Covid-19-Krise endet. Was aber jetzt schon feststeht, ist eine nachfolgende Wirtschaftskrise grossen Ausmasses. Die Zahlen der Entlassungen springen in die Höhe, die Zahl der krisenbedingten Arbeitslosen ist weltweit bereits um viele Millionen gestiegen. Und, was ebenfalls schon feststeht, die bisher tendenziell zunehmende Beteiligung und Gleichberechtigung der Frauen im Wirtschaftsleben wird nicht nur abgebremst, sondern wird einen herben Rückschlag erleben. Wo Arbeitsplätze fehlen, werden wieder die Männer vorne stehen. Die Frauen aber werden wieder zurückgeworfen werden auf die vielen unbezahlten Dienstleistungen in der Pflege von familiennahen alten und kranken Menschen. Ganz generell: Auch diese Krise wird – wie immer – vor allem die bereits heute Unterprivilegierten besonders hart treffen, vor allem auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern.

Es gibt Massnahmen, die nichts kosten

Aus der anfänglichen Gesundheitskrise wird ganz schnell eine weltweite Wirtschaftskrise werden. Was also tun? Guter Rat ist teuer, im Moment gar unbezahlbar. Aber es gibt zwei Massnahmen, die sofort ergriffen werden sollten.

  • Im kleinräumigen Bereich wird vielerorts geholfen, die Solidarität spielt. Im grossräumigen Bereich – geopolitisch, speziell auch im wiederaufgeflammten West-Ost-Konflikt – wird dagegen die Krise missbraucht und es wird Hass gestreut, ja es werden zusätzliche Millionen Dollar und Euro bereitgestellt, um bereits bestehende Vorurteile und Feindbilder zu verstärken. Das zeigt zum Beispiel die EU, die unter der tschechischen Kommissions-Vize-Präsidentin Vera Jourova gerade wieder fünf Millionen Euro für zusätzliche Propaganda-Aktionen gegen Russland bewilligen will. Und wenn Russland in Italien hilft, dann versucht sogar das Schweizer «Echo der Zeit», eine oft hervorragende Informationssendung des öffentlich-rechtlichen Radios SRF, dies als PR-Massnahme darzustellen. All diese hässlichen Aktivitäten zur politischen Rufschädigung anderer Staaten müssten jetzt unverzüglich gestoppt werden. Sie helfen mit, die Krise zu verschlimmern.
  • Wie eh und je – und wie oben erwähnt – sind gegen viele Länder Wirtschaftssanktionen in Kraft: zum Beispiel gegen den Iran, in dem die Covid-19-Krise massive Folgen hat; zum Beispiel gegen Kuba, weil es sich noch immer weigert, nur nach der Musik des Weissen Hauses zu tanzen; zum Beispiel gegen die Krim, weil sich deren Bevölkerung für eine Wiedervereinigung mit Russland ausgesprochen hat. Diese Sanktionen, nein, alle Wirtschaftssanktionen treffen aber nie die verantwortlichen Politiker, sondern immer die breite Bevölkerung, insbesondere den Mittelstand und die Unterschicht, also jene, die nun auch durch die Covid-19-Krise zusätzlich wirtschaftlich be- und getroffen werden. All diese Sanktionen müssten unverzüglich gestoppt werden. Sie sind Macht-Instrumente, die nicht nur unnütz sind, sondern Unschuldige treffen.

    Wer kann das international fordern? Die Schweiz ist dazu prädestiniert!

    Die neutrale Schweiz, die sich mit Verweis auf Henry Dunant und das Rote Kreuz gerne ihrer humanitären Tradition rühmt, ist genau jetzt gefordert. Vor einer knappen Woche hat bereits UN-Menschenrechts-Kommissarin Michelle Bachelet zur Lockerung oder Beendigung der Sanktionen aufgerufen. Als Sitzstaat der UN-Menschenrechts-Kommission hätte die Schweiz jetzt wie kein anderes Land international beste Voraussetzungen, um das Thema aufzunehmen und weltweit die oben erwähnten Massnahmen zu fordern und am richtigen Ort, am besten direkt in der UNO, so schnell wie möglich zur Sprache zu bringen. Sie könnte damit Unsummen von Geld, das jetzt für die Förderung von Hass ausgegeben wird, einsparen und in Hilfsmassnahmen umlenken helfen. Und sie könnte damit Millionen von Menschen, die gegenwärtig unter Wirtschaftssanktionen zu leiden haben, eine wirksame Entlastung und Hilfe verschaffen. Schliesslich könnte die Schweiz mit einer solchen Initiative für einmal weltweit zeigen, dass sie nicht nur als finanztechnische Rosinen-Pickerin erfinderisch ist, sondern auch ihrem Ruf als Land mit humanitärer Tradition gerecht wird.

    Für seine Massnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie im eigenen Land wird der Bundesrat von allen Seiten gelobt. Jetzt ist er gefordert, nicht nur für sein eigenes Volk, sondern zugunsten von Millionen von Menschen auch international aktiv zu werden!

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  • Siehe dazu auch den Kommentar

    «Predigt von Solidarität in der Krise endet bei der NATO-Doktrin» (auf Infosperber.ch)

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  • Siehe dazu auch diesen internationalen Aufruf

    «End all sanctions now»

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    Nachtrag vom 30.3.2020: Selbst Irans Präsident Hassan Rouhani hat die USA um Aufhebung der Sanktionen gebeten. Muss es wirklich sein, dass die USA hart bleiben?


    Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    Zum Autor deutsch und englisch. – Christian Müller war schon 1988 in Kuba und erlebte dort die Sanktionen der USA, und im Frühling 2019 war er als recherchierender Journalist drei Wochen auf der Halbinsel Krim und sah auch dort die Auswirkungen der Sanktionen vor Ort. Er weiss, wovon er redet, wenn er sagt: Wirtschaftssanktionen treffen immer die weniger Privilegierten besonders stark.

  • Zum Infosperber-Dossier:

    Bildschirmfoto20190518um16_38_09

    Die Sanktionspolitik der USA

    US-Wirtschaftsboykotte gegen Iran, Venezuela oder Russland müssen auch die Europäer weitgehend befolgen.

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    10 Meinungen

    • am 29.03.2020 um 11:56 Uhr
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      Ja ich bin Ihrer Meinung, der Bundesrat sollte international aktiv werden und dazu beisteuern, das bestehende Wirtschaftsembargos aufgehoben werden. Wir sind finanztechnisch zu stark vom Ausland abhängig. Wir können nicht weiter «nur» den Geldbeutel von reichen Personen verwalten

    • am 29.03.2020 um 12:02 Uhr
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      Natürlich hat Christian Müller mit allem völlig recht. Es wäre sehr wichtig für die Menschen in den betroffenen Länder und ein äusserst wichtiges Signal für die „Welt“, wenn der Bundesrat mutig und nachdrücklich sofort solche beschriebene Aktionen starten würde. Ganz nebenbei wäre es auch ein grosser Schub für die internationale Reputation einer solidarischen, glaubwürdigen und unabhängigen Schweiz.

    • am 29.03.2020 um 12:50 Uhr
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      Herr Müller, da verlangen Sie eine ganz ausserordentliche
      Mutprobe von unserem Wohlfühl-Klüngel in Bundesbern.
      Dem reichte der Mut nur gerade zur Ablehnung der
      Grenzschliessungswünsche des Kantons Tessin.
      Dann ist Flasche leer…

    • am 29.03.2020 um 13:18 Uhr
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      Eine Riesenchance für die Schweiz, ihren Ruf aufzubessern, und erst noch eine mit grosser Sichtbarkeit, wäre die Aufnahme von Covid-19-Patienten in unsere Spitäler. Damit hat man angefangen, aber mE noch zu zögerlich. Solange wir Kapazitäten haben, sollten wir helfen.

    • am 29.03.2020 um 13:26 Uhr
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      Gleichberechtigungsbemühungen werden zurückgeworfen – mag sein, es ist zur Zeit mit vielem so. Wieso wird nicht thematisert, dass Tausende schweizer WehrMÄNNER auf unbestimmte Zeit eingezogen sind, ohne Urlaub, Ausgang, ausreichende Schutzmittel, zusammengepfercht, teils gar ohne Seife? Die Schweiz ist keine finanztechnische Rosinen-Pickerin – die grössten Steueroasen halten England und die USA. Liefert nicht die Schweiz hunderte Beatmungsgeräte nach Italien, derweil Italien wichtige Hilfsgüterlieferungen an die Schweiz blockiert? Staaten haben keine Freunde, nur Konkurrenten. Dass die Krise für Propaganda missbraucht wird, liegt auf der Hand. Ebenso, dass Sanktionen vorwiegend das gemeine Volk treffen. Nach wie vor gilt jedoch, dass jedes Volk die Regierung hat, die es verdient. Wenn die Sanktionen totalitäre Schurkenregime ins Wanken bringen, ist das nur zu begrüssen. Daher sehe ich nicht, weshalb Sanktionen nun gelockert werden sollten – denn davon würden wiederum vor allem – wenn nicht überhaupt exklusiv – die Mächtigen profitieren. Vor Wochen zählten wir Käfer, Fliegen, Spinnen – heute zählen wir Leichen, Schwerstkranke, Beatmungsgeräte. Nicht die Insekten gehen aus, sondern Analgetika und Entzündungshemmer, Desinfektionsmittel und Schutzmasken. Bald schon sterben deshalb auch hier Menschen unter Höllenqualen ganz langsam unsediert. Die Schweiz muss ihre eigenen Probleme lösen, nicht jene der Welt. Jetzt ist nicht der Moment der Flagellation, sondern jener der Wahrheit.

    • am 29.03.2020 um 13:28 Uhr
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      Ja, danke, da kann ich dem autor im grossen Bogen – bis auf Details – absolut zustimmen: Wir haben eine riesen Krise, aber sind gleichzeitig im Vergleich in hoch privilegierter Situation. Dass die offiz. Schweiz zB. direkt hinter der Grenze in der Lombardei, wo sich eine humanitäre Katastrophe abspielt, nicht deutlich sichtbar hilft, macht mich auch extrem nachdenklich! – und was, wenn das Virus im riesigen Flüchtlingslager in N-Syrien richtig ankommt, wo die Situation jetzt schon zum Himmel schreit und die Menschen eh massiv geschwächt sind? Nicht auszudenken!

    • am 29.03.2020 um 13:43 Uhr
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      Bin inhaltlich mit Christian Müller voll einverstanden. Sanktionen gegen Iran, Kuba, etc.müssten sofort aufgehoben und Propaganda Aktionen gegen Russland und China eingestellt werden. Dass die Schweiz nun dabei eine Vorreiterrolle spielen soll, wäre realpolitisch falsch. Sie käme dann auch auf die schwarze Liste des «Westens». Und was das heisst haben wir am Ende des 2. Weltkriegs erfahren, aber jetzt anscheinend wieder vergessen. In der heutigen angespannten und gefährlichen Lage, kann und soll die Schweiz nicht die Rolle eines scheinheiligen Weltretters spielen. Blaise Pascal: «L’homme n’est ni ange ni bête, mais le malheur est, que qui veut faire l’ange, fait la bête».

    • am 29.03.2020 um 14:21 Uhr
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      Danke dass Sie diese Echo Katastrophe erwähnen. Ich ärgere mich sehr, wie auch der sonst sehr präzise Fredy Gsteiger von SRF jetzt behauptet, die “internationale Solidarität spiele nicht“, was ein krass eurozentristisches Weltbild verrät, da ja China und sogar das arg verunglimpfte Russland hoch aktiv helfen wo sie nur können. Selbst das arme Kuba schickt Ärzte nach Italien!! Europa erhält Hilfe aus der ganzen Welt und merkt es nicht mal, weil es so mit sich selber beschäftigt ist und in der Tat die Situation innerhalb Europas absolut katastrophal ist.

    • am 29.03.2020 um 19:08 Uhr
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      Wofür wird der Bundesrat gelobt? – Aus meiner Sicht hat er es total vergeigt.

      Auch dem Bundesrat war ab Mitte Januar bekannt, dass der Coronavirus für Betagte mit Lungenproblemen, Diabetes und Herzkrankheiten lebensgefährlich ist und dass
      das Durchschnittsalter der Grippetoten 80 Jahre ist (siehe China, Südkorea usw.).
      Er hatte genügend Zeit für präventive Massnahmen, getan hat er nichts und gewartet bis es zu spät war.

      Alle Hotels wurden geschlossen, anstatt dass dort präventiv für die Gefährdeten Quarantänestationen eingerichtet worden wären. Jetzt wird die Triage eingeführt.

      Es ist höchst unwahrscheinlich, dass am 19.04.20 der Notstand aufgehoben wird. Die Folge ist eine enorme Pleitewelle und die ‹Notenpresse› verschlimmert alles.

      Alles schon mal dagewesen.

    • am 31.03.2020 um 16:16 Uhr
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      Die Schweiz befolgt die US-Sanktionen gegen Kuba zwar nicht und lehnt sie sogar ausdrücklich ab (in der jährlichen Abstimmung der UN-Generalversammlung). Aber sie gestattet den Banken und der Postfinance, den Zahlungsverkehr mit Kuba einzustellen, als ob das eine Privatangelegenheit wäre. Die Schweiz befolgt die Sanktionen der USA und der EU gegen Syrien, welche in erster Linie die Bevölkerung treffen. Ignazio Cassis ist der Hardcore-Vertreter der «westlichen Wertegemeinschaft» im Bundesrat. Er liefert die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit den Interessen der Konzerne aus, insbesondere an Nestlé, welche weltweit das Wasser monopolisiert und den ärmsten Bevölkerungen den Zugang zu sauberem Trinkwasser verwehrt, mit verheerenden Folgen für die Volksgesundheit. Deshalb JA zur Konzernverantwortungsinitiative.

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