Kommentar

kontertext: Hallo SRG! Was ist nur bei euch los?

Linda Stibler © Claude Giger

Linda Stibler /  Die jüngsten Entscheide der SRG-Führung haben einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Eine Auslegeordnung der Konfliktfelder.

Es ist kaum zu fassen: Nach dem überwältigenden Abstimmungsergebnis zur «No-Billag»-Initiative hat die Führungsriege des SRG beinahe alle gegen sich aufgebracht und das Unternehmen diskreditiert, anstatt mit gestärktem Rücken Aufbruchsstimmung zu verbreiten. Schon kurz nach der Abstimmung gab Generaldirektor Gilles Marchand bekannt, dass rigoros gespart werden soll. Den privaten Medien wurde in Berücksichtigung der schwierigen Lage, in der sich die gesamte Medienbranche befindet, eine grosszügige Kooperation in Aussicht gestellt, was noch nachvollziehbar ist. SRG zieht sich aus dem Werbegeschäft mit Admeira zurück, was vielleicht vernünftig ist. Das Fass zum Überlaufen gebracht hat allerdings der Beschluss, das Studio Bern zum grossen Teil nach Zürich zu verlegen, ohne auch nur die betroffenen Mitarbeiter oder die Genossenschaften in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen.

Verärgerte Reaktionen

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass ein allseitiger Sturm der Entrüstung ausbrach, nicht nur von Seiten der betroffenen Genossenschaft, sondern auch von Seiten der Personalverbände und Gewerkschaften und nicht zuletzt von der Politik, die im Mediengesetz die Unabhängigkeit der SRG unter bestimmten Regeln garantiert. In ungeahnter Einigkeit fanden sich PolitikerInnen von links bis rechts zusammen, die einen verärgert, die andern mit einer gewissen Schadenfreude. Fünf Motionen wurden von vier verschiedenen Parteipräsidenten respektive einem Vizepräsidenten (Ritz/Grüne, Rösti/SVP, Landolt/BDP, Pfister/CVP, Jans/SP) im Nationalrat eingereicht, die im Radio- und Fernsehgesetz eine Ergänzung wünschen, die festhält, dass Audioangebote am Standort Bern und Lausanne, audiovisuelle Angebote an den Standorten Zürich und Genf produziert werden.

Die Radiogenossenschaft Bern will sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen den Verlegungsentscheid wehren. Brisant dabei ist, dass der Genossenschaft das Land des Studios an der Schwarztorstrasse gehört, jenem Ort also, den mindestens 170 Mitarbeiter verlassen müssten und an den die Radiodirektion einziehen soll. Mit dem Entscheid will der Verwaltungsrat die teuren Mieten an der Giacomettistrasse einsparen. Doch ebenso brisant ist, dass diese bisherigen Direktionsräume an einen Mietvertrag bis über das Jahr 2030 hinaus gebunden sind und bis jetzt alle Bemühungen scheiterten, einen Nachmieter zu finden. Was den Spareffekt spürbar mindern könnte.

Wer kann bleiben? Wer muss gehen?

Widersprüchlich sind die Zahlen der betroffenen Mitarbeiter. Der Verwaltungsratspräsident Deutschschweiz, Andreas Schefer, sagte als Gast am «Stammtisch» der Radiogenossenschaft Basel, es würden 150 Mitarbeiter am Standort Bern bleiben. Doch ein Blick auf diese Zahl zeigt, dass dies eine Nebelpetarde ist. Die 150 SRG-Mitarbeitende, die in Bern bleiben, setzen sich aus der Redaktion von Swissinfo sowie den Bundeshausredaktionen von Radio und Fernsehen von RTS, RSI, RSR und SRF zusammen. (Beide sind nicht im Studio Bern angesiedelt, sondern im Bundeshaus oder an der Giacomettistrasse). Fakt bleibt: wenn 170 Techniker und Technikerinnen, Journalistinnen und Journalisten von Bern nach Zürich gezügelt werden, so bedeutet das eine massive Konzentration der SRF-Programme in Zürich. Und eine Halbierung der journalistischen Stellen in der Hauptstadt.

Im Studio Bern sollen laut SRG-Angaben einzig das Regionaljournal und der grössere Teil der Inland-Redaktion bleiben. Ausziehen müssen die Senderedaktionen des «Echo der Zeit», des «Rendezvous am Mittag», Info 3, Nachrichten, die Fachredaktionen Ausland und Wirtschaft. Diese Aufzählung zeigt, dass es vor allem um journalistisches Personal geht, das wegziehen muss. Und mit ihm natürlich auch eine gewisse Verbundenheit mit einer grossen Region in der Deutschschweiz. Das ist nicht unwichtig, weil erfahrungsgemäss der Arbeitsort keine untergeordnete Rolle spielt. Im Informationsbetrieb würden sich die Kontakte zu Experten, Fachpersonen und nicht zuletzt zur Bevölkerung im Grossraum Zürich konzentrieren, der ja nicht für die Schweiz stehen kann. Der mediale Service Public verlangt aber unabdingbar die Berücksichtigung der Regionen.

Ausserdem sind Menschen keine Ware, die man beliebig hin- und herschieben kann. Der Wechsel des Arbeitsortes ist für viele eine einschneidende Massnahme, vor allem für MitarbeiterInnen, die Kinder und eine Familie haben. Sie würden entweder zu langen Pendelwegen verurteilt oder müssten früher oder später den Wohnort wechseln, was die Konzentration auf den Raum Zürich noch verschärft. Es ist also verständlich, dass sich die MitarbeiterInnen mit ihren Berufsorganisationen und Gewerkschaften gegen diese einschneidende Veränderung wehren. Und es wäre eine Selbstverständlichkeit, dass man sie anhört und mit ihnen einen gangbaren Weg sucht. Der Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina hat aber eine solche Anhörung, die das SSM, die Gewerkschaft der Radio- und Fernsehjournalisten und Gesamtarbeitsvertrags-Partner der SRG, verlangte, abgelehnt. Das sei eine gravierende Missachtung des Gesamtarbeitsvertrags, hält der Präsident des SSM, Ruedi Bruderer, fest. Deshalb wird sich auch die Gewerkschaft mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr setzen, nicht zuletzt mit rechtlichen Schritten.

Digitale Zukunft

Auch vom Vorschlag der Politik, wie er in den fünf Motionen im Nationalrat zum Ausdruck kommt, will die Führung der SRG nichts wissen. Sie beharrt auf ihrer unternehmerischen Freiheit, den Service Public so zu organisieren, wie es ihr richtig erscheint. Sie beruft sich auf die schwierige Lage in der Medienbranche allgemein und auf die digitalen Umbrüche und die neuen technischen Perspektiven. Es gehe darum Schritt zu halten; das junge Publikum würde ins Internet abwandern und nur auf diesem Wege könne man es wieder zurück gewinnen. Für die Erschliessung der neuen digitalen Möglichkeiten sei eine räumliche Zusammenarbeit von Radio und Fernsehen dringend nötig, argumentierte Andreas Schefer. So könne man zum Beispiel die Inhalte auf Kurzvideos festhalten. – Das allerdings sind technokratische Zukunftsvorstellungen, die sich keineswegs als erfolgreich erweisen müssen. Vor allem aber lässt sich fragen, ob die Mittel dazu nicht die falschen sind. Wie soll garantiert werden, dass Medienschaffende, die an einem einzigen (realen) Ort zusammengedrängt sind, noch kreativ arbeiten können? Und ebenso bleibt fraglich, ob das gewünschte Zusammenwirken damit erzwungen werden kann.

Dem entgegen stehen ganz einfache Wünsche des Publikums, das Radio und Fernsehen nutzt. Vor allem das Radio wird – in welcher Zukunft auch immer – einen wichtigen Stellenwert einnehmen, weil das Zuhören oft noch nebenher geht, sei es unterwegs oder am Arbeitsplatz – das kann auch zeitversetzt sein. Elementar ist das Bedürfnis nach einer verlässlichen Information über das Weltgeschehen, über Gesellschaft oder Politik – das gilt nicht nur im Blick auf die grosse Welt, sondern auch auf nationale und regionale Räume.

Die SRG ist nicht einfach ein privates Unternehmen, in dem nach den neoliberalen Prinzipien des freien Marktes gewirtschaftet werden kann. Und die MediennutzerInnen sind keine Kunden, sondern existenziell auf diese Dienste angewiesen. Diese Dienste erbringen Leute, die das Vertrauen der NutzerInnen erwerben müssen. Aus diesen Gründen ist es unabdingbar, dass beide Gruppen angehört und an den Entscheiden mitbeteiligt werden. Generaldirektion und Verwaltungsrat aber reagieren mit Arroganz und Abwehr, anstatt die verpasste öffentliche Debatte nachzuholen und demzufolge einen Marschhalt einzulegen. Das wäre das Gebot der Stunde.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die Journalistin und Autorin Linda Stibler war über 40 Jahre in verschiedenen Medien tätig, unter anderem in der damaligen National-Zeitung, in der Basler AZ und bei Radio DRS (heute SRF).

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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2 Meinungen

  • am 21.11.2018 um 18:27 Uhr
    Permalink

    «Echo der Zeit» und «Rendezvous am Mittag» erhielten Bestnoten. Und jetzt soll am gesündesten Teil der SRG operiert werden?!
    Frage an die SRG-Führung:
    Ist das der Dank für den breiten Einsatz und grossen Erfolg vieler Bürger gegen die No-Billag-Initiative?

  • am 22.11.2018 um 10:36 Uhr
    Permalink

    Danke Herr Mattenberger. Ich denke in Zukunft wird uns, anstelle von «Echo der Zeit» und «Rendezvous am Mittag», Roger Schawinski etwas über die Verschwörungstheoretiker in der Schweiz erzählen.

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