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Pseudo-Problem-Bewältigung im Südkanton © grahamfkerr/Flickr

Warum das Tessin die Burka verbietet

Beat Allenbach /  Auch eine frühere FDP-Regierungsrätin propagierte die Initiative für ein Burka-Verbot. Es fehlte an Stimmen, die dagegen antraten.

Viele Tessinerinnen und Tessiner haben in ihrem Kanton noch nie eine total verhüllte Muslimin mit Burka gesehen. Trotzdem ist eine kantonale Volksinitiative, welche ein Verhüllungsverbot des eigenen Gesichts in der Verfassung verankern will, mit annähernd zwei Dritteln der Stimmen angenommen worden. Eine Ja-Mehrheit erzielte ebenfalls der Gegenvorschlag von Regierung und Grossem Rat, welcher die Verhüllung des Gesichts im Gesetz verbietet. Die Stimmberechtigten gaben in der Zusatzfrage dem Verbot auf Verfassungsebene klar den Vorzug. Wie wird das eidgenössische Parlament diesen Fall behandeln? Es muss jede Änderung einer Kantonsverfassung beurteilen, das heisst billigen oder ablehnen; sein Entscheid wird aufschlussreich sein.

Der ehemalige Journalist Giorgio Ghiringhelli, der die Initiative lanciert hat, stellte schon wiederholt emotionsgeladene Themen mit Petitionen und Initiativen zur Diskussion. Er darf frohlocken, auch dank der Unterstützung durch die Lega dei Ticinesi sowie der SVP, die zwar im Tessin keine Mehrheit bilden.

Lega hat über Jahre Emotionen geschürt

Wie kommt es, dass die Tessinerinnen und Tessiner, die – wie auch die Regierung feststellte –, kaum je eine Frau mit Burka gesehen haben, die Volksinitiative so überwältigend angenommen haben? Es ist das Unbehagen gegenüber dem Islam und den Fundamentalisten, das seit Jahren, besonders von der Lega und ihrer Sonntagszeitung «Mattino della domencia», systematisch geschürt wird. Über 20 Jahre Lega, die gegen alles Fremde wettert, gegen Europa, Italien, Bundesbern, Ausländer, Asylbewerber und den Islam, haben gemäss dem Sprichwort «steter Tropfen höhlt den Stein» Wirkung gezeigt, wie es bereits in Tessiner Ergebnissen bei eidgenössischen Abstimmungen zum Ausdruck kam.

Angst vor dem gewalttätigen Islam ist nachvollziehbar, wenn man in den Medien die vielen Meldungen über grauenhafte Attentate im Irak, in Pakistan, in Afghanistan, in Syrien und vielen andern Ländern hört und liest. Allerdings steht die Eindämmung solcher Gräueltaten nicht im Einflussbereich der Schweiz und des Kantons Tessins. Es wird also der Sack geschlagen (die kaum vorhandenen Burkaträgerinnen), aber der Esel gemeint (die angebliche Islamisierung der Schweiz, die Ablehung des Islam und die gewalttätigen Islamisten).

Prominente Unterstützung für Burkaverbot

Unverständlich, ja besorgniserregend ist, dass sich prominente Tessinerinnen und Tessiner wie die ehemalige FDP-Staatsrätin Marina Masoni und der erfolgreiche Unternehmer Alfredo Siccardi im Abstimmungskampf wortreich fürs Burka-Verbot einsetzten. Diese tatkräftigen Personen, die jahrelang konkrete Probeme mit schwierigen Entscheiden lösen mussten, wie kommen sie dazu, sich angesichts eines Pseudo-Problems zu engagieren?

Es ist nicht zu leugnen, dass es auch im Tessin Mängel in der Integration von Muslimen gibt. Frau Masoni schrieb unter anderem, ihr gehe es um unsere Werte und die Rechte der Frau. Sofern es ihr ernst damit ist, könnte sie sich gegen Zwangsehen einsetzen und mithelfen, junge Musliminnen vor schwerem Leid bewahren. Zwar sind Ehen unter Minderjährigen und Zwangsehen in der Schweiz seit dem 1. Juli 2013 dank eines neuen Gesetzesartikels verboten; das ist ein Teilerfolg. Gleichwohl braucht es noch grosse Anstrengungen, um Familien aus entfernten Ländern (Zwangsehen gibt es nicht nur bei Muslimen) zu informieren und für die Rechte der Frauen zu sensibilisieren.

Mutlose Politiker

Der Tessiner Grosse Rat hat in der Auseinandersetzung über das Burka-Verbot nicht überzeugt. Da es im Tessin kaum Frauen gibt, die eine Burka tragen, bräuchte es weder ein Verbot in der Verfassung, noch auf Gesetzesstufe. Die Grossräte der Freisinnigen und der Christlichdemokraten hatten nicht den Mut, den Stimmberechtigten klar und deutlich zu sagen, dass ein Verbot der Burka zwecklos und den noch nicht integrierten Muslimen mit anderen Massnahmen zu begegnen sei. Gegen die anti-islamischen Emotionen im Volk wollten die Grossräte nicht mit sachlichen Argumenten ankämpfen. Die Sozialdemokraten und die Grünen hatten sich gegen die Volksinitiative wie gegen den Gegenvorschlag ausgesprochen, doch im Vorfeld der Abstimmung sind deren Begründungen kaum gehört worden. Um ihr Unbehaben auszudrücken, griff die Mehrheit der Tessiner nach dem symbolträchtigen Burka-Verbot.

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Siehe auch: «Die Burka verstösst klar gegen die Menschenrechte» – aus ganz anderer Perspektive eine ganz andere Meinung (auf Infosperber).

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Niqab_hassan_uos_ft_51

Pro und Contra Niqab-/Burkaverbot

Sind Niqab und Burka Teil der Religionsfreiheit oder Symbol einer fundamentalistischen Unterdrückung?

FRANCE-GAY-MARRIAGE-DEMO

Toleranz gegenüber Fundamentalisten?

Forderungen nach präventiver Überwachung der Bürger, nach Verboten von Waffen oder der Burka stehen im Raum.

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8 Meinungen

  • am 24.09.2013 um 11:54 Uhr
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    Mit dem Burkaverbot, entstanden wegen der Angst vor dem Islamistischen Terror, wird das Gegenteil von dem erreicht was man erreichen sollte, nähmlich eine gute Integration der in der Schweiz lebenden Muslime. Mit diesem Verbot halten wir ihnen die rote Karte hin. Sie fühlen sich nicht angenommen, sie werden in ihrem Umfeld verbleiben, was endlich zu einer Gettisierung führt und das ist das schlechteste und gefährlichste, was wir uns wünschen können.
    Hans Arnold

  • am 24.09.2013 um 13:51 Uhr
    Permalink

    in der Türkei eine christliche Kirche bauen, vergesst das! in Syrien, Aegypten, Irak, Saudiarabien, Iran und in Pakistan leben Christen lebensgefährlich und werden bei verschiedenen Gelegenheiten ermordet. Wer zu uns kommt hat sich an unsere Gesetze und unsere Sitten anzupassen und zwar ohne Wenn und Aber.

  • am 24.09.2013 um 21:06 Uhr
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    @Hertig: Es ist sicher eine gute Idee, bei uns Burkas oder Minarette zu verbieten, weil ja andere das anderswo mit christlichen Kirchen auch so machen. Schliesslich hat Jesus ja gepredigt: Wie ihr mir, so ich euch – oder nicht?
    Wissen Sie, mit den Verboten hier in der Schweiz liefern wir erstklassige Munition in diese Länder, um dort weiterhin Christenverfolgungen begehen zu können – mit dem Argument, wir würden hier Muslime ja auch diskriminieren. Schöner Teufelskreis, nicht? Vielleicht lesen Sie in der Bibel nach, wie man das löst, wenn Sie sich schon so Sorgen um die Christen machen.

  • am 25.09.2013 um 18:50 Uhr
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    in den 39er-Jahren wollte man doch Hitler nicht provozieren. Man verriet die Tschechoslowakei und auch das verbündete Polen liess man jämmlich im Stich.
    Was die Gutmenschen nicht begreifen: die vitalen, von ihren Gesetzen und Kulturen überzeugten Staaten und Gesellschaften überleben. Die schwachen Anpasser und Appeaser gehen unter. Wir sind zu einem sozialen Wohlfühlstaat degeneriert, wir stehen nicht mehr zu unseren Gesetzen und unserer Kultur. Wir haben eine über Jahre verlotterte Armee. Es ist eine wunderbare Illusion zu meinen wir würden nie mehr von einem Krieg betroffen. Wir sehen auch mögliche Bürgerkriegsgefahren infolge Destabilisierung unserer europäischen Gesellschaften durch unkontrollierte Einwanderung aus völlig anderen Kulturen nicht. Es ist so wohltuend schön an Multikulti zu glauben obwohl es nirgendwo funktioniert.
    Und noch zur Erinnerung: «die Macht sitzt im Lauf der Gewehre» Mao Zedong, und
    "si vis pacem, para bellum» Autor ev. Platon oder Nepos.

  • am 25.09.2013 um 19:05 Uhr
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    Nö, Herr Hertig, umgekehrt: Multikulti ist das einzige, was funktioniert, alles andere führt zu Krieg (früher oder später). Oder anders formuliert: Wo und warum werden Kriege geführt? Weil man stur an Grenzen und Nationalitäten festhalten will? Wozu denn? Wie lange ist die Liste der Reiche und Staaten, die schon untergegangen sind? Zudem: Die Schweiz ist und war schon immer Multikulti: Tessiner, Romands, Zürcher, Basler, Appenzeller… – und die Schweiz existiert ja noch! Was man als zugehörig oder fremd deklariert, ist meist ziemlich willkürlich und subjektiv und verändert sich mit der Zeit. Noch nicht so lange her, da gaben sich hier in der Schweiz Christen und Christen gegenseitig auf’s Dach – bis auf das Blut.
    Dochdoch, wir stehen zu unseren Gesetzen, zu unseren Traditionen und unserer Kultur – nämlich Weltoffenheit, Gastfreundschaft, Toleranz. Echte Schweizer Eigenschaften!

  • am 25.09.2013 um 19:42 Uhr
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    schönes Wunschdenken, vorbei an den Realitäten.

  • am 25.09.2013 um 23:50 Uhr
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    Die Macht sitzt nicht nur im Gewehrlauf. Beispiele: Gandhi, Mandela.

  • am 30.09.2013 um 10:15 Uhr
    Permalink

    Meiner Meinung nach wird die Kraft der sehr unterschiedlichen Kulturen – ich bewerte keine sondern betrachte sie als bestimmende Tatsachen – unterschätzt. In diesem Sinne erachte ich den Vergleich der Unterschiede zwischen Tessiner, Romands, Zürcher, Basler etc. als nicht relevant, wir alle gehören trotz den kleinen Unterschiede zu einer gemeinsamen Kultur, und im weiteren Sinne zum abendländisch christlichen Kulturkreis mit bereits markanteren Unterschieden z.B. zwischen Nord- und Südeuropa.
    Gandhi konnte erst wirksam werden als England nach dem 2. Weltkrieg ausgelaugt war; er wurde dann von einem Landsmann ermordet. Mandela wurde freigelassen nachdem genügend internationaler Druck auf das Apartheid-Regime angesetzt wurde. In Syrien herrscht Bürgerkrieg, es gibt viele Worte, aber im entscheidenden Sicherheitsrat erfolgt kein Beschluss der internationalen Druck auf das Verbrecher-Regime ausüben würde. Druck gibt es nur wenn der Opportunismus der Vetomächte diesen Vorteile verschpricht.

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