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Geldspielgesetz: Präzedenzfall für staatliche Netzsperren © cc

Netzsperren verletzen die Informationsfreiheit

Ludwig A. Minelli /  Im Geldspielgesetz soll es zum ersten Mal eine gesetzliche Grundlage für Netzsperren geben: «Es geht ja nur um Geldspiele».

Red. Die im Geldspielgesetz vorgesehenen Netzsperren seien ein gefährlicher Präzenzfall. IP-Sperren würden sogar die rechtlich garantierte Informationsfreiheit verletzen. Diese Ansicht vertritt Menschenrechts-Spezialist Ludwig A. Minelli im folgenden Beitrag aus «Mensch und Recht».

Unscheinbare Bestimmung

Am 10. Juni 2018 kann das Stimmvolk über das Referendum gegen das Geldspielgesetz befinden. Das Geldspielgesetz enthält viele sinnvolle Vorgaben – aber leider auch eine Bestimmung, die gegen die Informationsfreiheit verstösst. Artikel 86 des Geldspielgesetzes sieht vor, dass der Zugang zu nicht bewilligten Spielangeboten gesperrt werden muss. Hinter dieser unscheinbaren Bestimmung versteckt sich eine Grundsatzdiskussion über die Zulässigkeit sogenannter Netzsperren.

Mit diesem Gesetz soll erstmals eine gesetzliche Grundlage für Netzsperren geschaffen werden. Da sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung für Geldspiele interessiert, hat man diese Thematik geschickt in einem Gesetz untergebracht, das nur wenige betrifft. Selbst wenn man Netzsperren ablehnt, könnte man versucht sein, dem Gesetz zuzustimmen, «weil es ja nur Geldspieler und Geldspielerinnen betrifft».

Fragwürdige Netzsperren im Urheberrecht

Deutlich problematischer wäre die Einführung von Netzsperren im Urheberrecht. Tatsächlich war dies im Vorentwurf der Urheberrechtsrevision vorgesehen. Artikel 66d des Vorentwurfs zum Urheberrechtsgesetz sah die Einführung einer Sperrung des Zugangs zu Angeboten vor. Der Entscheid über die Sperrung hätte nicht einmal bei einem Gericht, sondern bloss bei der Verwaltung – dem «Institut für Geistiges Eigentum» – liegen sollen. Das wäre sehr problematisch.
Aufgrund der grossen Kritik in der Vernehmlassung sind Netzsperren im Gesetzesentwurf vom Dezember 2017 nun nicht mehr enthalten. Sie können jedoch im Rahmen der anstehenden parlamentarischen Beratung jederzeit wieder in das Gesetz kommen. Sollte das Geldspielgesetz am 10. Juni angenommen werden, käme die Forderung nach Netzsperren im Urheberrecht so sicher wie das Amen in der Kirche.

Ein Musterprozess in Bern

Parallel zu den Bestrebungen, eine gesetzliche Grundlage für Netzsperren zu schaffen, läuft auch der Versuch, Netzsperren über einen Musterprozess einzuführen. Die Praesens-Film AG hat vor dem Handelsgericht Bern gegen die Swisscom geklagt. Ziel dieser Klage ist es, die Swisscom zur Sperrung von illegalen Filmstreaming-Seiten zu verpflichten. Im Kern geht es um die Frage, ob die Swisscom wegen «Mitwirkung» dazu verpflichtet werden kann, Webseiten mit illegalen Inhalten zu sperren.
Die Schweiz hat im Unterschied zur EU bis heute kein gesetzliches Haftungsprivileg für Provider eingeführt. Trotzdem wäre es sehr erstaunlich, wenn eine Haftung und eine Sperrpflicht des Access-Providers bejaht würde. Dies würde nämlich die Frage aufwerfen, ob auch der Stromlieferant oder der Vermieter des Gebäudes, in welchem die Server stehen, mit haften. Denn auch sie wirken entfernt an der Urheberrechtsverletzung mit. Trotzdem käme es wohl niemandem in den Sinn, juristisch gegen diese «Mitwirker» vorzugehen.
Das Handelsgericht Bern hat im März 2017 eine erste Verhandlung durchgeführt. Es ist nicht bekannt, wann es den Fall entscheiden wird. Das Verfahren wurde zeitlich geschickt eingeleitet: Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass das Urteil während der Beratung der Urheberrechts-Revision im Parlament gefällt wird.
Es ist davon auszugehen, dass die Swisscom nicht zur Sperrung verpflichtet wird. Die Befürworter von Netzsperren können dann argumentieren, dass deshalb eine entsprechende Bestimmung im Gesetz unerlässlich ist.

Zwei Arten von Netzsperren

Es gibt zwei Arten von Netzsperren: DNS-Sperren und IP-Sperren.

  • DNS-Sperren sind ganz leicht zu umgehen und schon deshalb ungeeignet zur Bekämpfung von unerwünschten Inhalten.
  • Bei IP-Sperren besteht das Problem, dass fast immer auch Inhalte gesperrt werden, die unproblematisch sind. Sie verstossen damit gegen die in der Bundesverfassung und der EMRK garantierte Informationsfreiheit.

Geldspielgesetz als trojanisches Pferd

Es ist den Jungparteien zu verdanken, dass das Referendum gegen das Geldspielgesetz zustande gekommen ist. Und es ist unbedingt notwendig, dass Netzsperren im Vorfeld der Abstimmung breit diskutiert werden. Netzsperren verstossen gegen die Informationsfreiheit und sind deshalb in jedem Bereich abzulehnen. Werden Netzsperren im Bereich der Geldspiele zugelassen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch in anderen Bereichen die Einführung von Netzsperren erfolgen wird.
Netzsperren sind generell abzulehnen, also auch in Bereichen, die nur wenige Menschen betreffen. Aus diesem Grund ist das Geldspielgesetz abzulehnen. Das Parlament kann danach innert kurzer Zeit eine neue Vorlage mit den unbestrittenen Punkten, aber ohne Netzsperren, erarbeiten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist verantwortlicher Redaktor der Quartalszeitschrift «Mensch und Recht» der Schweizerischen Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention.
Minelli ist auch Gründer und Verantwortlicher der Lebens- und Sterbehilfevereinigung Dignitas.

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Eine Meinung zu

  • am 16.04.2018 um 16:10 Uhr
    Permalink

    Es gibt kein Recht auf eine Informationsfreiheit in dem Sinne, dass Inhalte Leuten, die keine Gegenleistung erbringen wollen, gratis zur Verfügung stehen müssten. Herr Minelli vermischt in seinem Artikel munter Dinge, die man nicht mit dem gleichen Massstab beurteilen kann. Aus der Warte des Urheberrechts gibt es im Netz schon lange krasse Verstösse, bei denen selbst bürgerliche Kreise keine Anstalten machten, das Eigentum der Künstler besser zu schützen, weshalb der Handel mit Musikalien eingebrochen ist. Deshalb sind in diesem Bereich Netzsperren angezeigt. Es gibt kein Recht darauf, Künstler zur Prostitution zu zwingen, nur weil der Internetnutzer zu faul ist, um für seinen Konsum etwas zu bezahlen. Netzsperren wären hier nur ein legitimes Mittel, um den Normalzustand einer von Piraterie und Diebstahl heimgesuchten Branche wiederherzustellen.

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