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Das Krakensystem der «Koch-Brothers»: Tentakel des «Kochtopus» reichen weit in die US-Politik © cc

Nach dem Tod von David Koch: Der «Kochtopus» agiert weiter

Richard Aschinger /  Wie die ultralibertären «Koch Brothers» mit Milliarden-Spenden die politische Macht in den USA gekapert haben.

Der US-amerikanische Multimilliardär David Koch ist am 23. August 79-jährig gestorben. Aber die gigantischen «Koch Industries» produzieren weiter Milliardengewinne. Damit alimentieren die «Koch Brothers» ein Politnetzwerk, das sich in 30 Jahren aggressiver Sponsortätigkeit als selbsterneuernde Macht in der US-Politik etabliert hat.

Der Begriff «Koch Brothers» steht für zwei eng miteinander verbundene Geschichten: Die des stupenden Aufstiegs des amerikanischen Familienunternehmens «Koch Industries» zum globalen Konzern und des astronomischen Reichtums des aus Wichita im Bundesstaat Kansas stammenden Eigentümer-Clans. Und die zweite, politisch viel brisantere Geschichte über ein von den Koch Brothers und libertären Alliierten in den letzten Jahrzehnten professionell aufgebautes und ausgestattetes Netz von unzähligen, angeblich karitativen und scheinbar von volksnahen Grassroot-Gruppen getragenen Nonprofit-Organisationen, das vor allem der diskreten, steuerbefreiten Sammlung und Verteilung von Spendengeldern für politisch willfährige Politiker und Forscher dient. Die «Kochtopus» genannte Maschinerie wird heute eingesetzt, um Forderungen nach Steuersenkungen, Sozialabbau und Eliminierung von Vorschriften z.B. im Umweltbereich politisch möglich zu machen.
American Dream
Die Grundlage für das Koch-Imperium baute Vater Fred C. Koch Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre in der Provinzstadt Wichita im Mittleren Westen. Der geniale Tüftler und ideenreiche Abenteurer erfand eine neue hochprofitable Methode der Trennung von Schweröl und Benzin, kaufte und entwickelte Unternehmen in der Petro-Branche, vor allem Raffinerien, Pipelines und auch Rinderzucht Ranches. Vor dem Zweiten Weltkrieg trieb es ihn mit seinen Raffinerieprojekten in Stalins Sowjetunion und Hitlers Nazi-Deutschland. Nach dem Krieg gehörte er zu den Gründern der geheimen, rechtsradikalen John Birch Society. In den im Anti-Kommunismus erstarrten USA der McCarthy-Jahre liess er die vier Söhne in einer erzreaktionären Familie aufwachsen. Die finanziellen Mittel des Vaters ermöglichten allen ein Studium an einer Top-Universität. Im Kontakt mit fundamentalistisch marktwirtschaftlichen Ideen, zum Beispiel in der libertären «Freedom School», liessen sich die jungen Männer begeistern. Das hat ihre politische Haltung bis ins Alter geprägt.
Mit dem Ziel, sein bereits sehr beträchtliches Vermögen steuerfrei auf Ehefrau und Söhne zu übertragen, liess es der Vater in Nonprofit-Organisationen packen. 1967 erbten sie das damals grösste Unternehmen des Bundesstaates Kansas. Sie sind keine self made men. Gut ins Bild des amerikanischen Traums gehört auch ein jahrzehntelanger, bösartiger Erbstreit um die Konzernmacht und um viel Geld.
Charles und David übernahmen den Konzern, Bill und Frederick wurden ausbezahlt. Auch sie sind heute Milliardäre. Charles verkörperte fortan in Wichita den Konzern als Chairman und CEO. Sein mondänerer Bruder lebte in New York, in engem Kontakt mit den Kulturleuchttürmen Manhattans. Durch seine Nähe zu den Mächtigsten und Reichsten stand er im Ruf, den Konzern faktisch zu führen. Beide hielten je 42 Prozent der Aktien der «Koch Industries», die heute mit 110 Milliarden Dollar Umsatz als bedeutendstes Unternehmen der USA in Privatbesitz eingestuft wird. Charles und David Koch figurierten mit einem Vermögen von je 58 Milliarden Dollar seit Jahren unter den reichsten Männern der Welt.
Der Konzern mit heute weltweit 120‘000 Mitarbeitern (davon die Hälfte in den USA) verkauft alles Mögliche: Öl und Gas, unzählige petrochemische Produkte, Dünger, Finanzdienstleistungen, Liegenschaften. Man sagt, in den USA sei es kaum möglich, irgendwo nicht auf irgend ein Produkt des in der Öffentlichkeit kaum bekannten Konzerns angewiesen zu sein. Seit dem Tod von David Koch wird jetzt spekuliert, ob und wann dessen 42-jähriger Sohn Chase Koch den 84-jährigen Onkel an der Konzernspitze ablösen könnte. Er führt momentan in Wichita die Risiko-Kapital-Investitionen des Konzerns.
Eigeninteresse und Ideologie
Der Erbsteuer-Trick des Vaters mit den Nonprofit-Organisationen hatte langfristige Folgen: Künftige Gewinne der Nonprofits mussten, um die Steuerfreiheit zu perpetuieren, wieder in Nonprofit-Organisationen investiert werden. Zuerst aus rein kommerziellem Eigeninteresse schufen die «Koch Brothers» mit ihrem rasch wachsenden Vermögen ein Schachtelsystem von Nonprofit-Organisationen mit undurchsichtigen Spendern, Nutzniessern und Zielen.
Bald wurde das Netz aber zum zentralen Instrument des politischen Engagements der Gebrüder Koch. Häufig waren ihre politisch-ideologischen Auseinandersetzungen zwar faktisch Kämpfe im Geschäftsinteresse des Konzerns. Aber die Haupttriebfeder für ihren im Lauf der Jahre zunehmend hohen finanziellen Einsatz in der Politik ist ein abgrundtiefer Hass gegen den Staat und vor allem gegen die Bundesregierung: Lieber spenden als Steuern zahlen, heisst da das Motto.
Jane Mayer liess es Licht werden
2016 stellte die Recherchejournalistin Jane Mayer vom renommierten Magazin «The New Yorker» in ihrem Buch «Dark Money» das Krakensystem der Koch-Brothers ans Licht (1). Detailliert dokumentiert sie, wie die Kochs und alliierte Konzerne über ihr Netz von Nonprofit-Organisationen zunächst in Einzelfällen, dann systematisch und professionell geplant Hunderte Millionen Dollar in Wahlkampagnen rechtsstehender Kandidaten für Parlamente und Regierungen auf Bundes- und Bundesstaatsebene oder in die Wahl von Richtern investierten, die sich bereit erklärten, ihre neoliberalen Steuersenkungs-, Deregulierungs-, Privatisierungs- und Sozialabbauforderungen zu unterstützen.
Jane Mayer wurde während ihrer Recherchen von Anwälten und Spähpersonen im Auftrag des Koch-Konzerns mit brutalen Methoden unter Druck gesetzt. Man versuchte, ihren Ruf als ernsthafte Journalistin zu zerstören. Sie liess sich nicht beirren.
Mitte August wurde jetzt ein neues, sehr umfangreiches Buch des u.a. beim «Wallstreet Journal» und Bloomberg tätigen Recherchejournalisten Christopher Leonard publiziert unter dem Titel: «Kochland. The Secret History of Koch Industries and Corporate Power in America» (2). Ein vorläufiger Eindruck lässt erkennen, dass Leonard im Vergleich zu Mayer das Verhalten der Gebrüder Koch mit mehr Verständnis für deren Rolle als Unternehmer sieht. Sein Bild ist etwas abgedämpft. In einem Interview mit der öffentlichen Radio-Organisation NPR erklärte der Autor, er habe Charles Koch 260 Seiten seines Manuskriptes vorgelegt mit dem Ziel, eine Diskussion zu ermöglichen. Der Konzern habe seit der Publikation von Mayers Buch seine Haltung gegenüber Journalisten geändert. Man habe ihm die Türe «ein Stück weit geöffnet».
Mayers über lange Zeiträume laufende Recherche zeigt ein System, in dem Ultrareiche und mächtige Konzerne im demokratischen Prozess willige Politiker und Justizvertreter «kaufen». Im Fokus der politischen Stimmenfänger standen stets Kandidaten und Parlamentarier der Republikanischen Partei. Der Fall einer vom damaligen demokratischen Präsidenten Bill Clinton 1993 geplanten und später unter dem Druck einer massiven Intervention der Koch-Maschine aufgegebenen Energiesteuer, die als Lenkungsabgabe und zur Defizitdeckung hätte dienen sollen, wurde zum Paradebeispiel.
Koch&Co mit ihrem Chefstrategen Richard Fink hatten eine aggressive Aktion gegen das Steuerprojekt geführt: Zuerst wurden interessierte Konzerne in einer Art Bieterwettbewerb zu Millionenbeiträgen an die Kosten der geplanten Intervention gedrängt. Dann startete man in Bezirken von in bevorstehenden Wahlen gefährdeten republikanischen Parlamentariern TV-Spots mit der Aufforderung an WählerInnen, allfällige Unterstützer der Energiesteuer abzustrafen. Clinton zog sein Steuerprojekt zurück. Beobachter sehen diese Intervention als bahnbrechenden Erfolg für das Koch-Netzwerk.
Tea Party geentert
Die Koch-Maschine hat über ihre Nonprofit-Organisation «Americans for Prosperity» auch die ursprünglich als Protestorganisation spontan empörter republikanischer BürgerInnen funktionierende Tea Party geentert und für ihre Zwecke eingespannt. So ist die Republikanische Partei vor allem unter dem Druck der Koch-Maschine von mehreren Seiten praktisch nicht mehr existent.
In den Wahlkämpfen der Obama-Zeit haben die Koch Brothers ihre Investitionen massiv ausgebaut. David Koch soll Barak Obama als Gleichmacher mit marxistischen Tendenzen gesehen und alle Mittel in Bewegung gesetzt haben, 2012 seine Wiederwahl zu verhindern. Als Obama trotzdem wiedergewählt wurde, drängten die Koch-Berater auf einen Strategiewechsel. Statt ideologische Grabenkämpfe gegen Obamas im Volk nicht unpopuläre Krankenkassenpolitik zu führen, sollen republikanische Volksvertreter echte Ärgernisse beseitigen: zum Beispiel die Steuern senken. Die «Kochtopus»-Maschinerie intervenierte neu auch in Auseinandersetzungen in strategisch entscheidenden Bundesstaaten.
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Nachruf in der NZZ vom 24. August 2019: Koch ausschliesslich als Unternehmer gewürdigt

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Brückenkopf in der Ivy League
Zusätzlich zu kurz- und mittelfristig wirksamen Interventionen in Wahlkämpfen sucht die «Kochtopus»-Maschinerie auch langfristige Veränderungen durch Interventionen im Bildungssystem. Die Koch-Brüder finanzieren an unzähligen Hochschulen Lehrstühle, Institute, Think Tanks, Programme und Veranstaltungen, die ihre radikalen Marktwirtschaftskonzepte in Umlauf bringen oder für den Energiekonzern «Koch Industries» existenzbedrohend erscheinende Forschungsprogramme im Frühstadium diskreditieren. So gehören auch Leugner der Klimaerwärmung zu den von den Kochs geförderten Forschern.
Von der Koch-Maschine lassen sich gern finanzbedürftige Hochschulen unterstützen. Aber mit der George Mason University in Virginia, in nächster Nähe von Washington D.C., profiliert sich eine Hochschule mit einer Reihe von Koch-gesponserten libertären Institutionen: dem Think Tank «Cato Institute» und dem ebenfalls radikal marktorientierten «Mercatus Center», das sich stolz zeigt, die Deregulierungspolitik der Regierung von George W. Bush massgeblich geprägt zu haben. Mit der Brown University in Providence, der Hauptstadt von Rhode Island, sicherte sich Kochtopus auch einen Brückenkopf in einer Hochschule der exklusiven Ivy League.
Viele Nonprofit-Organisationen im Schachtelwerk des «Kochtopus» tragen seriöse oder sympathische Namen: «Americans for Prosperity», «Citizens for a Sound Economy», «Council for Competitive Economy», «Council for Capital Formation». Viele dieser Namen stammen aus einer Zeit, als der Chefstratege der Koch-Brüder die Zeit für gekommen sah, die staubig scheinenden libertären Prinzipien in für gewöhnliche BürgerInnen verständliche, einprägsame Formeln zu übersetzen und die bislang elitär auftretenden Libertären als Basisbewegung von spontan empörten BürgerInnen zu verkleiden. «Americans for Prosperity», die die wichtige politische Brücke zur Tea Party bildet, funktioniert in einem Mix von jungen, munteren Volontären und straff organisierten, professionellen Lobbyisten im Backoffice. Mit dieser pseudo-populistischen Fassade der Nonprofit-Organisationen konnten die Koch Brothers ihre Investitionen in einen extrem marktorientierten Umbau der Gesellschaft und in den Abbau des Staates jahrelang als harmloses Spiel erscheinen lassen.
Und in der Schweiz?
Bevor man sich als SchweizerIn beim Lesen von Jane Mayers Koch-Report selbstzufrieden auf die Schulter klopft, weil so systematischer und massiver Meinungskauf hierzulande trotz Christoph Blocher, Walter Frey und Tito Tettamanti kaum möglich scheint, bleibt im Gegenzug festzustellen, dass in der Schweiz die detaillierte Aufdeckung eines solchen Skandals kaum vorstellbar ist, solange das Parlament Transparenzvorschriften für die Finanzierung von Parteien, Politikern und Kampagnen total ablehnt. Basis vieler Recherchen im Fall Koch waren zugängliche Zahlen der Bundessteuerbehörde IRS.

Literatur:
1) Jane Mayer. Dark Money. Scribe Publications. 2016.
2) Christopher Leonard. Kochland. Simon&Schuster, 2019

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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Macht und Einfluss von Lobbys

Für Anliegen zu lobbyieren ist legitim. Doch allzu mächtige Lobbys korrumpieren Politik und Gesellschaft.

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Eine Meinung zu

  • am 7.09.2019 um 12:10 Uhr
    Permalink

    Hervorragender Artikel. Ich habe beim Lesen viel gelernt. Merci, auch für den Hinweis auf die Schweiz, der in solchen Texten meistens fehlt.

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