Die Schuldenberge sind nicht schuld an der Krise
Das eigentliche Problem ist die extrem ungleiche Verteilung der Einkommen. Schulden sind bloss nötiges Schmerzmittel. Eine REPLIK.
Urs P. Gasche hat recht: Die Ruhe ist trügerisch, auch wenn die Zinsen von Staatsanleihen momentan wieder sinken, steckt die Weltwirtschaft weiterhin in der Krise. Das Finanzsystem bleibt unsicher, das Geschäftsgebaren der Banken ist unseriös bis kriminell und zu viel Wachstum schadet der Umwelt. Das ist alles richtig. Falsch ist jedoch die Hoffnung, dass alles besser wird, wenn wir die Banken an die Kandare nehmen und das «Perpetuum mobile» der Kreditausweitung durch härtere Eigenkapitalvorschriften, durch das Verbot von spekulativem Handel und durch das Schleifen von Steuerparadiesen unterbinden.
Es gibt immer auch Gläubiger
Zunächst einmal: Gasches Text erweckt den Eindruck, als falle die Verschuldung wie eine Epidemie über uns. Alle verschulden sich immer mehr: Die Unternehmen, die Privathaushalte und der Staat sowieso. Doch das geht nicht. Wo Schuldner sind, gibt es auch immer Gläubiger. Ein Blick auf die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Industrieländer zeigt folgendes stilisierte Bild: Ab etwa 1990 hat der Unternehmenssektor in den meisten Ländern Überschüsse erzielt. Seine Einnahmen überschreiten die gesamten Ausgaben inklusive Löhne, Boni, Investitionen und Dividenden um 2 bis 4 BIP-Prozente. Im Gegenzug haben sich bis etwa 2008 in vielen Ländern neben dem Staat auch die Privathaushalte per Saldo verschuldet. Seit der Krise erzielen sowohl die Privathaushalte als auch die Unternehmen (Nettofinanzierungs-) Überschüsse, denen entsprechende Defizite der Staatshaushalte gegenüberstehen. Zudem haben sich die Leistungsbilanzsaldi der einzelnen Ländern verstetigt. Immer dieselben erzielen Überschüsse (Deutschland, Holland, Schweiz) bzw. erleiden Defizite (USA, England, Spanien, Frankreich, Griechenland) usw. (Siehe meine ausführliche Analyse).
Früher waren Konzerne auf Sparer und Banken angewiesen
Diese Verschuldungsdynamik unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von der Lehrbuchwelt der früheren Jahre. Damals hat nämlich nicht nur der Staat, sondern auch der Unternehmenssektor seine Investitionen zumindest teilweise noch mit Bankkrediten, Anleihen und Aktienemissionen gedeckt. Dieses Geld kam von den Privathaushalten, die damit ihre Ersparnisse produktiv anlegen konnten. Für den Bankensektor hatte diese heile Welt den Vorteil, dass die Kredite mit produktiven Sachwerten bzw. mit Wohnimmobilien gedeckt waren. Zinsen und Dividenden wurden gleichsam mit dem Produktivitätsfortschritt und mit steigenden Einkommen bezahlt. Schulden und Guthaben waren an den Kapitalstock gebunden und stiegen etwa gleich schnell wie das nominelle Bruttosozialprodukt.
An dieser Stelle müssen wir eine Klammer öffnen: In der modernen Finanzwelt werden Guthaben nicht einfach auf Bankkonten verbucht, sondern als Obligationen und Aktien «verbrieft» und handelbar gemacht. Diese Wertschriften können wie Sachwerte wiederum belehnt werden. Man kann daraus Fonds, Optionen, Zinsinstrumente usw. basteln. Auf einer ursprünglichen Schuld werden ganze Finanztürme aufgepfropft. In den USA etwa waren Ende September 2013 nicht weniger als 188'504 Milliarden Dollar finanzielle Forderungen inkl. Bankguthaben und Aktien, aber ohne Optionen ausstehend. Das ist mehr als das 20fache der jährlichen Arbeitseinkommen. Schwankt der Wert dieser Guthaben auch nur um 1%, wird damit etwa gleich viel Vermögen umgeschichtet, wie 160 Millionen Arbeitskräfte in 70 Tagen erarbeiten. Solche Fehlanreize sind natürlich Gift für eine Leistungsgesellschaft und für die Demokratie. Heute tätigen sie Investitionen ohne Kredite.
Heute tätigen sie Investitionen ohne Kredite
Klammer zu und zurück zur Realwirtschaft. Dank Fusionen haben die Unternehmen die Preiskonkurrenz an den Produktemärkten weitgehend ausgeschaltet, und dank der Globalisierung können sie die Löhne unter Druck setzen und Steuern vermeiden. Das führt zu den oben erwähnten Nettofinanzierungsüberschüssen des Unternehmenssektors. Im Klartext bedeutet dies, dass sich die anderen Sektoren – Staat, Privathaushalte und Ausland – Jahr für Jahr gegenüber den Unternehmen verschulden müssen. Das bedeutet auch, dass – per Saldo – nicht mehr wie einst Investitionen, sondern Konsumausgaben per Kredit finanziert werden. Den Guthaben stehen also keine echten Sicherheiten mehr gegenüber. Bis Anfang 2008 wurde diese Tatsache noch mit steigenden Immobilienpreisen übertüncht. Seither wird das Problem dadurch «gelöst», dass der Staat, bzw. die Zentralbanken, die Konsumkredite garantiert.
Staat finanziert die ärmsten zwanzig Prozent der Bevölkerung
Die Kreditlinie verläuft aber nicht nur zwischen den Unternehmen und dem Staat, sondern auch zwischen den Staaten und vor allem auch zwischen den reichen und den armen Haushalten. In den USA etwa kassiert das reichste Fünftel aller Haushalte (denen auch die Unternehmen gehören) 51 Prozent aller Einkommen. Sie betreiben zwar einigen Luxus, geben aber dennoch nur etwa 60 Prozent ihres Einkommens aus. Das ärmste Fünftel kassiert nur etwa 3 Prozent aller Einkommen, muss aber gut das Doppelte der Einnahmen ausgeben, um wenigstens halbwegs gesund über die Runden zu kommen. Die Differenz bezahlt im wesentlichen der Staat über Arbeitslosengeld, Lebensmittelmarken, Earned Tax-Credit usw. Die nötigen Mittel wiederum besorgt sich der Staat nicht über Steuern – das verhindert der Standortwettbewerb – sondern über Kreditschöpfung.
Ohne diesen kreditfinanzierten Rücktransfer von Reich zu Arm würde die Wirtschaft kollabieren und der ärmere Teil der Bevölkerung buchstäblich verhungern. Der von Gasche zitierte Ian Johnson, Generalsekretär das Club of Rome, liegt also völlig falsch, wenn er sagt «die Menschen kaufen Dinge, die sie nicht brauchen, mit dem Geld, das sie nicht haben». Das Gegenteil trifft zu: Mit dem Geld, das die Menschen nicht haben, kaufen sie das, was sie dringend brauchen, während die hablichen Leute auch dann noch im Geld schwimmen, nachdem sie alles gekauft haben, was sie nicht brauchen.
In einer solchen Welt ist es völlig unvermeidlich, dass die Zinsen gegen Null sinken: Weil die Unternehmen alle realen Investitionen schon aus der Portokasse finanziert haben, gibt es für die Überschüsse nur noch zwei Entsorgungsmöglichkeiten: Erstens: Man stellt sie dem Staat leihweise für die Finanzierung des Konsums der ärmeren Hälfte der Bevölkerung zur Verfügung, womit die Klasse der Unternehmer immerhin den eigenen Absatz sichert. Zweitens: Man kauft sich gegenseitig Wertsachen wie Immobilien, Aktien oder Kunstobjekte ab. Das treibt zwar deren Preise in die Höhe, schafft aber letztlich keinen Mehrwert. Steigende Immobilienpreise haben zudem den Nachteil, dass noch mehr Einkommen von den Armen (Mietern) zu den Reichen (Grundbesitzern) umverteilt wird.
Leider wird das Sparen gefördert
Rein volkswirtschaftlich gesehen sind sogar die heutigen tiefen Zinsen noch zu hoch. Sie lassen Schulden ansteigen, die mit keinen Sicherheiten gedeckt sind. In dieser Situation tragen Sparer auch nichts zum Aufbau eines Kapitalstocks bei. Im Gegenteil: Indem sie den Konsum verweigern bzw. den Angestellten die Löhne kürzen, sorgen sie dafür, dass kein Anreiz für neue Investitionen entsteht. Die tiefen Zinsen kommen vom Anlagenotstand, nicht von den Zentralbanken. Die mittel- und langfristigen Zinsen waren schon tief, bevor diese bei den von ihnen beherrschten kurzfristigen Zinsen nachgezogen haben. Das zentrale Zinsproblem besteht vielmehr darin, dass die Zinsen nicht unter Null sinken können und dass es schwer ist, das – in der aktuellen Situation – volkswirtschaftliche Sparen zu bestrafen. Leider bevorzugt auch das Schweizer Steuersystem die Sparer, indem es u.a. für die 2. und 3. Säule hohe Steuerabzüge zulässt.
Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind gefragt
Letztlich gibt es aus dieser Misere nur einen Ausweg: Die Wirtschaftspolitik muss dafür sorgen, dass der Markt die Kaufkraft wieder einigermassen gerecht und volkswirtschaftlich nachhaltig verteilt, nämlich so, dass die Nachfrage mit der Produktion Schritt halten kann. Nur auf dieser Grundlage ist auch ein stabiles Finanzsystem möglich. Die nötige Diskussion über die Verteilung kann aber erst dann ernsthaft geführt werden, wenn wir uns von der – auch von Gasche genährten – Illusion verabschieden, der Kern allen Übels liege bei der Verschuldung und im Bankensystem.
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Siehe
- DUPLIK: «Wachsende Schulden können Krise auslösen» von Urs P. Gasche
- «Eine trügerische Ruhe macht Kommentatoren blind» vom 5.1.2014.
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Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor hat etliche wirtschaftspolitische Bücher veröffentlicht und schreibt für Zeitungen von Ringier.
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5 Meinungen
Die Welt hat sich seit Marx etwas gedreht. Aber kaum zum Besseren.
Folgendes ändert seit den 80ern in den USA und dann anderswo (Europa ab 2000):
- Die Einkommenszuwächse der obersten 0.1 / 1 % sind dramatisch.
- Die 90% unten haben keine Zuwächse mehr.
Dem können Sie wahrscheinlich zustimmen.
Dem folgenden wohl NOCH nicht:
Diese Einkommenszuwächse sind zum grossen Teil NICHT Kapitalerträge sondern Manager-LÖHNE. Diese Schicht kommt ins Unternehmen ohne Kapital einzuschiessen und erwirbt Aktien des Unternehmens allenfalls als Boni, versilbert es aber meist sobald Fristen es erlauben.
Nochmals: der Hauptgrund der zunehmenden Einkommensungleichheit sind LÖHNE des Topmanagements, nicht
Kapitalerträge (da geht viel an UNSERE Pensionskassen).
Darinter steckt keinerlei Kapital-LOGIK, keine betriebswirtschaftlichen oder volkswirtschaftlichen Verdienste von Spitzenmanagern. Es ist Folge der ausserordentlich erfolgreichen Klassen-Ideologie dieser Schicht. Eigentlich trivial: Angehörige dieser Klasse legen ja die Löhne fest. Schon lange. Seit den 80-er Jahren (USA, Europa seit 2000) haben sie aber ihre Ideologiproduktion auf ein industrielle Niveau gehoben. Inklusive TOP-Netze wie WEF, Bilderberg, Club of Rome, Cato... , Finanzierungsstiftungen, Think Tanks, Universitäten (Chicago,Harvard,... St.Gallen) und einzelne Universitätsinstitute bis zu den Neoliberalen Professoren (bekannt). Medien (bekannt).
Werner T. Meyer
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