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Datencenter: Die Rechnerfarmen verschlingen viel Strom, besonders die Kühlung frisst Energie. © cc

Wie das Internet zum Klimakiller wird

Jürg Müller-Muralt /  Der Globalisierungsatlas wirft einen schonungslosen Blick auf den Zustand der Erde, auch auf den Energiefresser Internet.

Eine weisse Wolke am blauen Himmel ist etwas Luftiges, Leichtes, manchmal Verspieltes, beinahe Immaterielles. Wohl deshalb verorten viele die Cloud, die Datenwolke, intuitiv ebenfalls irgendwo «am Himmel» und nutzen die Segnungen der Digitalisierung, ohne an Online-Umweltverschmutzung zu denken. Man weiss zwar schon, dass es ein bisschen Strom braucht, wenn man beispielsweise den Akku des Mobiltelefons auflädt. Doch im öffentlichen Bewusstsein ist das Ausmass des Energie- und Ressourcenverbrauchs des IT-Sektors nicht sehr stark verankert. Selbst in der gegenwärtigen Klimadebatte taucht das Thema nicht an vorderster Stelle auf. Dabei entfallen auf die globale IT-Branche weltweit rund sieben Prozent des Stromverbrauchs.

Wachstum in astronomische Sphären

Natürlich: Auf der privaten Stromrechnung kann man die Auswirkung einer Google-Recherche kaum dingfest machen. Doch gesamthaft wächst der Datenberg gewaltig. Die Internet-Nutzung in all ihren Facetten verdoppelt sich etwa alle ein bis zwei Jahre. Die Daten- und Energiemengen wachsen in astronomische Höhen. Die grossen Treiber sind einerseits die stark zunehmende private und betriebliche Nutzung von Handys, Tablets, PC etc., anderseits die totale globale Vernetzung, das «Internet der Dinge» (IoT), das Cloud-Computing, das Video-Streaming. Zudem ist jeder kleinste Klick im Internet nur dank einer massiven Infrastruktur möglich: Router, Übertragungsnetze, Antennen, Rechenzentren und riesige Serverfarmen.

Zwei Publikationen gehen verdienstvollerweise in leicht verständlicher Art auf diese Problematik ein: Zum einen der kürzlich von Le Monde diplomatique herausgegebene Atlas der Globalisierung. Er dokumentiert mit Text, Karten und Grafiken den «Klimakiller Internet» und zeigt, wie das Netz zu einem der grössten Energiefresser heranwächst. Und zum andern das TechnoScope (3/19), ein Flyer der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) zum Thema «Internet und Umwelt»; er richtet sich primär an Jugendliche.

SATW-Flyer mit Grundwissen und Spartipps

Der im September 2019 veröffentlichte SATW-Flyer liefert sowohl Grundwissen zum Ressourcenverbrauch von Smartphones und Co., wie auch Tipps zum sparsameren Umgang. So vernimmt man etwa, dass nicht nur der Flug in die Ferien der Umwelt schlecht bekommt, «auch unsere Ausflüge ins Internet sind alles andere als klimafreundlich». Die gesamte Informations- und Kommunikationsbranche verursacht knapp halb so viel Treibhausgasemissionen wie der gesamte Motorfahrzeugverkehr – und deutlich mehr als die Verkehrsflugzeuge: Der Anteil der Luftfahrt an den globalen CO2-Emissionen liegt bei 2,5 Prozent, der IT-Sektor pustet 3,7 Prozent CO2 in die Atmosphäre.

TechnoScope (3/19), Flyer der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) zum Thema «Internet und Umwelt». PDF-Download kostenlos.
Der SATW-Flyer geht auch auf die graue Energie bei der Produktion eines Smartphones ein. Insgesamt würden etwa 30 verschiedene Metalle benötigt, um ein Handy zu produzieren. Und «im Laufe seines Lebens verbraucht ein Smartphone alles in allem etwa 73,3 Kilogramm an Ressourcen – während es selbst nur etwa 80 Gramm wiegt.» Bei jedem Eintritt in die Online-Welt werde «eine gewaltige Maschinerie in Gang gesetzt: «Wäre das Internet ein Land, hätte es Greenpeace zufolge den sechsthöchsten Stromverbrauch».

IT auch Teil der Problemlösung

Zudem verbindet der SATW-Flyer zielpublikumsgerecht Spartipps mit zusätzlichen Informationen. «Pro Minute werden 400 Stunden Videomaterial auf YouTube hochgeladen. Muss deins wirklich auch da sein?» Oder es wird der Wunsch nach einem neuen Smartphone mit einem Rechenbeispiel problematisiert: «Für ein neues Smartphone müsstest du 420 Stunden auf einem Velo mit Generator strampeln (graue Energie)».

Die SATW macht aber auch darauf aufmerksam, dass die IT nicht nur als Problem, sondern auch als Teil der Lösung wahrgenommen werden muss. Denn der Digitalisierungsgrad einer Gesellschaft ist auch ein Hinweis dafür, «ob sie ihren Energieverbrauch in nächster Zukunft wirksam drosseln und die Energiewende schaffen kann». Vor allem intelligent vernetzte Steuergeräte könnten helfen, sparsamer mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Und vor allem brauche das Land «grüne Rechenzentren». Die Rechenzentren als Datenfabriken des digitalen Zeitalters fressen viel Strom, etwa drei Prozent des schweizerischen Stromverbrauchs; besonders problematisch ist die dauernde Kühlung. Aber: Man kann es so machen, wie das Rechenzentrum Uitikon bei Zürich, und mit der Abwärme das gemeindeeigene Hallenbad beheizen. Reduktion des Heizaufwands: satte 80 Prozent. In Basel wiederum wird die Abwärme eines neuen Rechenzentrums direkt in den Wärmeverbund eingespeist.

Ein Wettlauf mit der Zeit

Beim Energieverbrauch im IT-Sektor findet ein Wettlauf mit der Zeit statt. Einerseits werden die Geräte effizienter und die Rechenzentren sparsamer, anderseits wachsen die Rechenleistung der Geräte, die Anwendungsfelder und die Datenmenge dramatisch. «Eine einzige Überweisung der virtuellen Kryptowährung Bitcoin verbraucht so viel Strom, wie ein US-Amerikaner in einer Woche», rechnet der Globalisierungs-Atlas vor. Effizienzsteigerungen können diese Entwicklung wohl bloss etwas abfedern. Um Energie für die Kühlung zu sparen, verlegen Tech-Unternehmen ihre Rechnerfarmen vom heissen Silicon Valley ins kühlere Skandinavien.

«The Citadel», das in Nevada gelegene grösste Rechenzentrum der USA, wird voll mit erneuerbaren Energien betrieben. Amazon plant in North Carolina einen Windenergiepark, und auch Apple setzt auf eigene Solarparks und betreibt seine Rechnerzentren mit Ökostrom. Seit 2010 fordert Greenpeace bedeutende Internetunternehmen auf, ihre Rechenzentren mit erneuerbaren Energien zu betreiben. Führende Firmen, von Facebook bis zu Google, haben sich bereits zu diesem Ziel bekannt. Google erhält von Greenpeace mittlerweile in Sachen Öko-Strom recht gute Noten.

«Das Internet stinkt»

Allzu optimistisch beurteilt der Globalisierungs-Atlas die Lage derzeit allerdings nicht. Der Autor des Beitrags findet, «das Internet stinkt. Es riecht nach einer Substanz, die für all das steht, was das digitale, elektronische Zeitalter eigentlich abschaffen wollte: nach Diesel». Die Cloud habe «einen ziemlich grossen Auspuff». Gegenwärtig entstehen überall riesige, festungsartige Data-Center. Und damit die dort gelagerten Daten im Fall eines Stromausfalls immer noch abrufbar sind, braucht es Notstromaggregate – meist Dieselmotoren von der Grösse einer Dampflokomotive. Die müssten immer wieder zu Probeläufen gestartet werden. Deshalb «riecht es im Herzen der Internetkultur wie auf einem nächtlichen Autobahnparkplatz, wo die Trucks mit laufenden Motoren parken. Allein das Rechenzentrum von E-Shelter in Frankfurt am Main hat einen Tank für hunderttausende Liter Diesel».

Sachbuch, Nachschlagewerk, Lehrbuch

Der Beitrag zum stinkenden Internet ist bloss einer von zahlreichen Artikeln der jüngsten Ausgabe des Globalisierungs-Atlas. Der erste Band wurde 2003 auf Französisch publiziert, seit 2006 kommt das alle paar Jahre erscheinende Werk auch auf Deutsch heraus. Es ist eine Kombination aus Sachbuch, Nachschlagewerk und Lehrbuch. Die Beiträge sind in der Regel doppelseitig und enthalten neben Texten vor allem Karten, Infografiken, Diagramme, Tabellen und Statistiken.

Atlas der Globalisierung (2019) – Welt in Bewegung, Le Monde Diplomatique, über 300 Karten und Grafiken, 184 Seiten, broschiert, inklusive eBook (PDF/ePUB), 18 Euro.

Die oben beleuchtete IT-Branche und das starke Wachstum der Digitalwirtschaft werden in verschiedenen Beiträgen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Der Beitrag «Schwester Roboter» zeigt, wie in der Pflege zunehmend Roboter zum Einsatz gelangen. Oder es wird dargelegt, wie die Tech-Giganten ihre Geschäftsfelder immer weiter ausdehnen und sich dabei in die Quere kommen; wie das Wettrüsten im Cyberspace dazu führt, dass der Feind im Internet unsichtbar wird und Abschreckung nicht mehr funktioniert; oder wie die Festung Europa mit Drohnen und Satelliten ausgebaut wird.

Kein trostreiches, aber ein erhellendes Bild

Der Globalisierungsatlas behandelt allerdings nicht nur die Digitalisierung. In über 60 Artikeln kommen sieben grosse Themenkreise zur Sprache, welche die aktuellen Debatten prägen: Klimakrise und Welternährung, die demografische Herausforderung, der real existierende Kapitalismus, ungelöste Konflikte, Flucht und Migration, die Zukunft der Zivilgesellschaft und die gefährdete Demokratie. Der thematische Ansatz ist meist überraschend und originell, die Texte fesselnd und pointiert, und trotz hoher Informationsdichte weit weg von lexikalischer Trockenheit. So vernimmt man etwa, dass Tomatenmark das heute am weitesten verbreitete Industrieprodukt ist und was das für einen Haken hat. Eine Reise in die Tourismusfalle Kroatien illustriert die Schattenseiten des grössten Industriezweiges der Welt, und ein Ausflug in die Flüchtlings-Lagerwelten zeigt, wie aus Provisorien für Geflüchtete ein Dauerzustand wird. Ein Abstecher in die hohe Politik erklärt, wie Russlands ewiger Präsident die Phantomschmerzen über die untergegangene Sowjetunion zum Machterhalt nutzt.

Der Atlas der Globalisierung zeichnet kein trostreiches Bild der Welt, aber ein erhellendes.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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4 Meinungen

  • am 12.10.2019 um 14:56 Uhr
    Permalink

    Zum Klima- (und sonstgem) «Killer» Internet tragen wir alle bei, wie es scheint unabhängig der politischen Ausrichtung. Fast alle meine Bekannte, die nicht ziemlich betagt sind, haben und verwenden intensiv neuere Smartphones und sind noch stolz drauf: «gesendet von meinem iDingsda». Während selektives Herunterladen von Audio und klein- bis mittel-aufgelösten Videos nicht wahnsinnige Datenmengen übertragen, «streamen» viele heute ihre Fernsehsendungen in höchster Auflösung und die früheren Rundfunkanstalten müsste man heute zu «Mobilfunkanstalten» umbenennen: «weitere Infos in der SRF-App».

    Auch «normale» Websites mit Text und (schnell-ladenden) Bildern gibt es immer weniger, nur Interfaces zu einer Kombination von Datenkrake, «Eye-Candy», und einer Vielzahl von Servern, deren Hauptzweck die Bereitstellung von Werbung zu sein scheint.

    Klar, dass die Summe von alle dem viel Energie und Ressourcen braucht und neben dem CO2 Umweltgifte produziert.

  • am 13.10.2019 um 08:42 Uhr
    Permalink

    Sollen wir lachen oder weinen, wenn mitten im INFOsperber-Newsletter ein Nespresso-Clip läuft?

  • am 15.10.2019 um 09:47 Uhr
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    Die Schlussfolgerung aus diesem Artikel ist einfach: Die Energie (nicht nur die Brenn- und Treibstoffe) ist zu billig und müsste langsam und voraussehbar angehoben werden. Das Geld der Preiserhöhung müsste allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern an den Steuern gutgeschrieben werden.
    So liesse sich der gedankenlose Energiekonsum bremsen und auch das Ziel der Energiestrategie 2050 kostenneutral erreichen.

  • am 15.10.2019 um 11:09 Uhr
    Permalink

    Speicherdaten finden bei mir grundsätzlich auf einer externen Festplatte Platz statt auf einer Cloud.

    Eigentlich kommt man sicher schnell drauf, dass für die Speicherung riesiger Datenmengen (das Internet vergisst bekanntlich nichts wirklich) jede Menge Geräte mit jeder Menge Kühlbedarf benötigt wird. Braucht nur ein bisschen Logik.

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