Trockenklos1

Blick in die Werkstatt von Martin Monti in Tandíl © Mutantia

Düngen mit dem eigenen «Geschäft»

Romano Paganini /  Wassermangel wird weltweit das nächste grosse Problem sein. Da ist auch Nachdenken über das WC – «Water-Closet» – angesagt.

Red. Statt ihre Felder mit synthetischen Chemikalien fruchtbar zu machen, setzen Länder des Südens auf menschliche Fäkalien. Beispiele aus Ghana und Argentinien zeigen: Die Trennung von Urin und Kot macht Sinn. Ein Bericht aus Argentinien.

„Wir sollten dem Kot mit Respekt begegnen und nicht mit Angst.” Fedderico Dabbah hatte diesen Satz schon einmal in einem Interview gesagt. Und jetzt, da er als Chef seiner Abteilung für einen Werbefilm für Trockenklos vor der Kamera sitzt, fordern ihn seine Mitarbeiter auf, ihn zu wiederholen. „Mit dem nötigen Respekt“, sagt Dabbah im Anschluss, und er bezieht sich auf den Gebrauch von Trockenklos, „reduzieren wir auch die Risiken.“

Dazu gibt es einen Kurzfilm (auf Spanisch, hier anklicken). Der Film zu Trockenklos wurde letztes Jahr gedreht und dient Dabbah und seinem Team vom staatlichen Institut für Industrie-Technologie (INTI) dazu, Gemeinden, Schulen und anderen Institutionen in Argentinien ein vermeintlich unappetitliches Thema im weitesten Sinne ’schmackhaft› zu machen: menschliche Fäkalien. „Wir verstehen Technologie als Werkzeug für die Transformation zu einer Entwicklung auf menschlicher Ebene“, sagt Dabbah. Er hat während den vergangenen Jahren derart viel für Trockenklos geweibelt, dass sie seit 2017 von staatlicher Seite als Ergänzung zum Kloakensystem gefördert werden – ein System übrigens, an das in Argentinien ohnehin nur die Hälfte der Bevölkerung angeschlossen ist.

Kein Geld, kein Wasser

Gemäss Angaben der UNICEF und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verfügen derzeit 2,5 Milliarden Menschen über keine adäquaten sanitären Einrichtungen; 1,1 Milliarden verrichten ihr Geschäft unter freiem Himmel. Ausserdem wird geschätzt, dass in den Entwicklungsländern 90 Prozent des Schmutzwassers ins Grundwasser gelangt. Die WHO warnte gar, dass die negativen Folgen auf Grund fehlender Hygiene und durchfallartiger Erkrankungen grösser sind als HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose zusammen.

Einer der Gründe, warum in Ländern des Südens viele Orte über kein Abwassersystem verfügen, sind die hohen Kosten. Unterirdische Kanalisation, wie sie in europäischen Städten vor allem während der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, ist teuer und wird von den lokalen Behörden oft nicht als Priorität gesehen. Hinzu kommt, dass vielerorts schlichtweg der Rohstoff fehlt: das Wasser. Siebzig Prozent der Fläche Argentiniens beispielsweise gilt als halbtrocken oder trocken. Die Bewohner, insbesondere in ländlichen Gebieten, müssen schauen, wie sie überhaupt ihre Felder wässern können.

Das war einer der Gründe, warum Martín Monti vor ein paar Jahren auf seinem Grundstück ausserhalb von Tandíl, einer mittelgrossen Stadt im Südwesten von Buenos Aires, ein erstes Trockenklo baute. Er nutzte die Fäkalien von Anfang an, um sie kompostiert in seinem Gemüsegarten auszubringen und sie damit in den Kreislauf der Natur zurückzuführen. Inzwischen hat der Erfinder eine Kloschüssel konstruiert, die Urin und Kot von Beginn weg trennt – nebst dem geringen Wasseraufwand eines der Hauptargumente für ein Trockenklo.

Zusammen mit einem Kollegen hat der 36-Jährige inzwischen die Firma Biosanita gegründet und allein in den vergangenen zwei Jahren über 400 baños secos ausgeliefert: von Patagonien im Süden des Landes bis nach Jujuy im Norden. Selbst aus den USA, Australien, Europa und sogar Grönland sind Bestellungen eingegangen. „Es entspricht zwar nicht unseren Grundsätzen, die Produkte über derart weite Wege zu verschicken“, sagt Monti, „doch wenn dadurch das Bewusstsein bei den Konsumenten geschärft wird, gleicht sich das wieder aus.“

Seine neuste Erfindung wurde Ende März an der Kunsthandwerkermesse in Tandíl vorgestellt: ein mobiles Trockenklo. Es ist das erste in Argentinien und gemäss Monti das erste in ganz Lateinamerika. Urin und Kot landen dort über einen Schlauch – beziehungsweise über eine Fallklappe – in separaten Behältern unterhalb der Kloschüssel. Nach dem «Geschäft» wird vorne mit einer Flasche ein wenig Wasser nachgespült, hinten schöpft Frau oder Mann eine Portion Sägemehl, Asche oder Kalk. „Dadurch“, erklärt Monti, „wird der Kot getrocknet und es entsteht kein Geruch.“

Die Behörde will keinen Urin-Dünger

Während die Fäkalien beim Water-Closet (WC) zusammen mit Wasser in einer Kloake landen und später zur Aufbereitung in einer Kläranlage, hat Martín Monti die beiden Behälter nach dem Anlass zu sich nach Hause genommen. Den Kot lässt er auf seinem Grundstück kompostieren, den Urin hat er verdünnt auf seinem Gemüsegarten und auf den Feldern eines befreundeten Bauern ausgebracht. „Die menschlichen Fäkalien lassen sich auf Grund ihrer chemischen Zusammensetzung sehr gut in der Land- oder in der Forstwirtschaft wiederverwenden“, sagt Monti. Phosphor und Stickstoff sind auch im menschlichen Urin enthalten – wodurch synthetische Düngemittel überflüssig würden. „Leider“, gibt Monti zu bedenken, „stecken wir in Argentinien diesbezüglich noch in den Kinderschuhen.“

Die nationale Aufsichtsbehörde für Gesundheit und landwirtschaftliche Qualität (Senasa) verbietet nämlich den Gebrauch von Fäkalien, wenn damit Lebensmittel für den Verkauf hergestellt werden. „Krankheitserreger im Urin lassen sich zwar relativ einfach entfernen“, sagt Fedderico Dabbah vom INTI. Kot dagegen müsse auf Grund der Krankheitserreger immer vorschriftsgemäss behandelt werden. „Deshalb versuchen wir so gut es geht, jene Trockenklos zu fördern, die Urin und Kot von Anfang an trennen.“

Vielversprechende Ergebnisse

Auf der anderen Seite des Atlantiks sind die Infrastrukturen, die das Ausbringen menschlicher Fäkalien als Düngemittel ermöglichen, längst geschaffen worden. In Ouagadougou zum Beispiel, der Hauptstadt von Burkina Faso in Westafrika, sammelt ein Verein Urin und Kot von 900 Haushalten und transportiert ihn zu einer der vier Aufbereitungsanlagen der Stadt. Das menschliche Düngemittel wird dann an lokale Bauern verkauft, die damit wiederum ihre Felder bewirtschaften.

Im Nachbarland Ghana hat ein Pilotprojekt zwischen 2011 und 2014 gezeigt, dass menschlicher Urin im Vergleich zu synthetischen Chemikalien fürs Wachstum von Auberginen, Kohl, Paprika und Mais gleich gut oder sogar besser abschneidet. “Die Ergebnisse sind vielversprechend und zeigen das grosse Potenzial organischer Düngemittel“, heisst es im Bericht (siehe unten zum Einsehen und Downloaden, auf Englisch: Dry Toilet 2015).

Vorne das Kleine, hinten das Grosse: Das Trockenklo-Mobil, das seit kurzem in Argentinien unterwegs ist, kommt fast gänzlich ohne Wasser aus. (Foto: Florencia Pugliese)

Bis die Behörden in Argentinien soweit sind, werden noch einige Millionen Liter Wasser den Weg in die Kläranlagen finden. Grösste Hürde: die gesellschaftliche Akzeptanz. „Obwohl Trockenklos technisch sicher sind“, sagt der Experte vom INTI, „gibt es in gewissen gesellschaftlichen Schichten sowie bei Entscheidungsträgern bewusstes oder unbewusstes Misstrauen.“ Dies sei die grösste Herausforderung der nächsten Jahre.

Martín Monti dagegen, der vergangenes Jahr vom Umweltministerium den Nachhaltigkeitspreis für seine Erfindung erhalten hat, nimmt’s gelassen. Er hofft, dass das mobile Trockenklo wenigsten punktuell zum Einsatz kommt: in Schulen und auf Campingplätzen, an Touristenorten, in Parks und Reservaten oder auch bei Katastrophen-Einsätzen. Ob er die Behälter mit dem gesammelten Schatz dann wieder zurück nach Tandíl fährt, ist fraglich.

PS: Argentiniens Präsident Mauricio Macri – geboren in Tandíl – soll Interesse angemeldet haben, sich mit dem Gewinner des Nachhaltigkeitspreises fotografieren zu lassen. Es ist derselbe Mann, der beim INTI seit Monaten Mitarbeiter entlässt, bis jetzt rund 260 von 3000. Die Rede ist von bis zu 1200 Entlassungen …

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Dieser Bericht erschien zuerst auf mutantia.ch


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2 Meinungen

  • am 10.09.2018 um 20:10 Uhr
    Permalink

    Im Camping Bereich (dort immer weiter verbreitet) oder auch in Skandinavien, außerhalb der Großstädte ist das Trennklosett Gang und Gäbe. Es gibt verschiedene Firmen, die ein solches in Europa schon viele Jahre anbieten. Einfach «Trenntoilette» bei Google eingeben …

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