Kommentar

Stresstest: Wir sind noch einmal davongekommen

Thomas Angeli © zvg

Thomas Angeli /  Die europäischen AKWs müssen für 25 Milliarden Euro nachgerüstet werden. Nur die Schweizer Meiler sind sicher. Ganz sicher?

Wir sind also noch einmal davongekommen. 12 deutsche Atomkraftwerke weisen Mängel auf, von den französischen Meilern ganz zu schweigen. Und auch in den übrigen AKWs in der EU steht es nicht zum Besten. So steht es im gestern veröffentlichten Bericht zum EU-Stresstest, wobei schon das Communiqué dazu selbstverständlich diplomatischer formuliert ist: «Hohe Sicherheitsstandards, aber weitere Verbesserungen notwendig». Von den Schweizer AKWs, die bei dem Test ebenfalls mitmachten, gibt es bloss für Leibstadt eine Empfehlung zum so genannten Wasserstoffmanagement. Das Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI konnte deshalb eine weitere Positivnachricht in die Welt setzen: «Schweizer KKW schneiden im europäischen Vergleich gut ab».

Risse am Kernmantel waren kein Thema

Was sind wir doch wieder einmal beruhigt. Um nicht ganz in der Selbstgefälligkeit zu ersaufen, hilft möglicherweise ein Blick zurück. Darauf etwa, was beim Stresstest untersucht wurde. Als «auslösende Ereignisse» wurden bei dem Test Erdbeben und Hochwasser angenommen, mit all den Konsequenzen, die das mit sich bringt: Stromausfall in der ganzen Anlage und Verlust der Kühlmöglichkeiten für den Reaktorkern. Untersucht wurden ebenfalls die Notfallmassnahmen, das «Severe Accident Management». Das war’s dann aber auch schon. Risse am Kernmantel wie im AKW Mühleberg oder defekte Rohrstutzen, wie im AKW Leibstadt einer eher zufällig entdeckt wurde, waren beim Stresstest kein Thema. Durchgeführt wurde der Test übrigens von den AKW-Betreibern und den Aufsichtsbehörden der einzelnen Länder – ein Umstand, den etwa der deutsche Physiker und Atomkritiker Sebastian Pflugbeil schon früh kritisierte.

Pech gehabt, wenn die Kühlwasserversorgung ausfällt

Man kann dem ENSI zugute halten, dass es schon kurz nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima Schwachstellen identifiziert hat. Insgesamt 45 «Prüfpunkte» machten die Schweizer Atomaufseher aus, und das ist mit ein Grund für das vergleichsweise gute Abschneiden.

«Sicher» sind die Schweizer Atommeiler deshalb aber noch lange nicht, und allfällige Massnahmen, die sich aus diesen «Prüfpunkten» aufdrängen, noch längst nicht umgesetzt. Eine automatische Schnellabschaltung bei Erdbeben etwa? Das ENSI will diesen Punkt «weiterverfolgen». Auch eine zweite Kühlwasserversorgung für Mühleberg lässt noch länger auf sich warten. Bis dahin wird das AKW einzig mit Aarewasser gekühlt. Falls diese aus irgendeinem Grund (Dammbruch beim Wohlensee, Verklausung) plötzlich ausfallen sollte – tja, Pech gehabt. Pech ist – wäre – auch, wenn bei einem Reaktorunfall die Kommunikation zum AKW zusammenbrechen würde.

Der Vergleich mit dem schlechten Beispiel

Zum Schluss noch ein Tipp für Freundinnen und Freunde des gepflegten Horrors: Wer besser verstehen will, weshalb die Schweizer AKWs «im europäischen Vergleich» sicher sein sollen, schaut sich am besten einmal das «Technical Summary» des Stresstests an. Was dort an «Empfehlungen» für andere Länder aufgelistet ist, lässt das angeblich hohe Sicherheitsniveau in der Schweiz gleich etwas anders aussehen. Denn wie lehren wir unseren Nachwuchs doch gleich? Wenn man sich mit dem schlechten Beispiel vergleicht, steht man immer gut da.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Journalist und Betreiber des Energie- und Umweltblogs «Angelis Ansichten», wo er diesen Beitrag zuerst publizierte.

Zum Infosperber-Dossier:

Ensi

Atomaufsichtsbehörde Ensi

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi entscheidet darüber, ob AKWs noch sicher genug sind.

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