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ÖV statt Autos: Zürich will wachsen, aber ohne Mehrverkehr © David Gubler/bahnbilder.ch/cc

Autos rein, Menschen raus – oder umgekehrt

Hanspeter Guggenbühl /  Mehr Autos, weniger Einwohner. Dieser Trend prägte die meisten Schweizer Städte. Doch Zürich zeigt: Die Wende ist möglich.

Die Kantonsregierung geht in ihrer Planung davon aus, dass die Bevölkerung im Ballungsraum Zürich weiter wachsen wird – wozu auch immer. Gemäss ihrem Szenario soll allein die Stadt Zürich bis 2040 rund 80’000 Personen mehr beherbergen als heute. Damit stiege die Einwohnerzahl der grössten Schweizer Metropole auf annähernd eine halbe Million Einwohnerinnen und Einwohner. Diese Vision prägte auch den regionalen Richtplan der Stadt Zürich, den das Stadtparlament in den letzten Wochen festlegte.
Den ebenfalls prophezeiten Mehrverkehr, den dieses Bevölkerungswachstum in und um Zürich nach sich zieht, will die rotgrüne Mehrheit in der Kernstadt primär mit öffentlichen Verkehrsmitteln und der Förderung des Velo- und Fussverkehrs bewältigen. Der motorisierte Individualverkehr hingegen soll nicht zunehmen.
Keine Freude an dieser planerischen Stossrichtung hat die NZZ. Unter dem Titel «Weltfremde Ideen von Rot-Grün» kommentierte Irene Troxler in der NZZ vom 5. April: «Wer sich damit begnügt, in den Richtplan zu schreiben, der Autoverkehr dürfe nicht zunehmen, steckt den Kopf in den Sand.» Offensichtlich wünscht die NZZ in Zukunft sowohl mehr Menschen als auch mehr Autos in der Stadt.
Autolawine verdrängte Bevölkerung
Beides zusammen aber funktioniert offensichtlich nicht. Das jedenfalls zeigt die Vergangenheit: Ab den 1960er-Jahren überrollte die Autowelle die Nation, den Kanton und die Schweizer Städte. In der Stadt Zürich stieg der Autobestand pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner von 140 im Jahr 1962 auf 390 im Jahr 1990. Gerade umgekehrt verhielt es sich mit der Einwohnerzahl: Sie erreichte 1962 den Höchststand mit 440’000 Personen. Danach schrumpfte sie bis 1990 auf 356’000 (siehe Grafik).

Für diese gegenläufige Entwicklung gibt es mehrere Gründe. Einer davon: Der wachsende Autoverkehr, der lärmte und stank, vertrieb einen Teil der Bevölkerung in die damals noch grüne Agglomeration. Von hier aus pendelten die Aussiedelnden in die Kernstadt zurück und verursachten zusätzlichen Autoverkehr. Diese motorisierte Verkehrsspirale drehte sich bis 1990.
Verkehrswende begann 1991
Ab 1991 aber, nachdem der Kanton Zürich die S-Bahn eröffnet, den öffentlichen Verkehrsverbund eingeführt hatte und die Stadt ihr Tram- und Busnetz ausbaute, wendete der Trend: Im Ballungsraum Zürich steigerten die öffentlichen Verkehrsmittel ihren Anteil am Personentransport. Die Staus verlagerten sich von der Kernstadt auf die Agglomeration und die um Zürich herumführenden Autobahnen. Die Bevölkerung in der Stadt Zürich hingegen wuchs wieder, bis 2015 auf immerhin 410’000 Personen.
Gleichzeitig sank der spezifische Autobestand in der Stadt Zürich, nämlich pro tausend Einwohner von 390 im Jahr 1990 auf 330 Personenwagen im Jahr 2015. In absoluten Zahlen blieb der städtische Autobestand – bei jährlichen Schwankungen – nahezu stabil.
Zu wenig Platz für mehr Autos
«Der Raum in der Stadt Zürich ist begrenzt.» Diesen ebenso richtigen wie banalen Satz schrieb der Stadtrat in den Text zu seinem regionalen Richtplan-Entwurf. Denn wenn in einem begrenzten Raum etwas zunehmen soll, muss anderes weichen. Andernfalls drohen Gedränge, Verstopfung, Einbussen an Lebensqualität. Die Stadt Zürich mag 500’000 Menschen beherbergen. Doch wenn mehr Menschen kommen, müssen die Autos abfahren. Denn als Transportmittel sind Autos nicht nur am unproduktivsten, sie beanspruchen im Fahren und Stillstand auch am meisten Raum.
Wenn wir den automobilen Personenverkehr aus der Stadt verdrängen, können wir uns auch zusätzliche Velorouten und Busspuren ersparen. Denn für Velo, Trams, Busse, einige Taxis sowie den Warentransport reicht die bestehende Verkehrsfläche. Die Entwicklung in der Stadt Zürich zeigt zwei Wege: Entweder mehr Lebensqualität für mehr Menschen. Oder eine höhere Autodichte. Beides zusammen lässt der begrenzte Raum nicht zu. Diese Lehre sollten auch die Planung in den andern Städten prägen.

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3 Meinungen

  • am 12.04.2016 um 13:50 Uhr
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    Die Zürcher Verkehrspolitik «funktoniert» nur, weil die Stadt erstens ein so starker Magnet ist, dass man auch grosse Einschränkungen in Kauf nimmt, zweitens, weil man bewusst ein Abwandern von Geschäften in Kauf nahm, welche auf eine funktonierende MiV-Anbindung angewiesen sind und drittens weil Züricheine genügend grosse Bevölkerungsdichte aufweist für einen hohen ÖV-Erschliessungsgrad. Gerade weil Zürich ein so starker Magnet ist, lässt sich die Politik nicht auf andere Städte übertragen, weil die Voraussetzungen völlig anders sind. Eine Agglomerationsgemeinde oder eine grössere Zentrumsgemeinde werden schlicht gewerbemässig ausbluten, wenn die Erschliessung mit dem MiV nicht mehr funktioniert – zu schnell ist man in einem der grossen Einkaufszentren auf der grünen Wiese.

  • am 13.04.2016 um 19:19 Uhr
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    Ich finde, die Stadt gehört den Menschen und nicht den Autos. Für die Autos wurden ja Autobahnen gebaut, da haben dafür die Fussgänger und Radfahrer zu recht nichts zu suchen.

    Ausser Möbeln fällt mir im Moment kein Geschäft ein, das auf eine gute Anbindung an den Autoverkehr angewiesen ist. Jedenfalls keines, das ich regelmässig nutze.

  • am 14.04.2016 um 10:24 Uhr
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    Ihre Haltung, Herr Abächerli, ist legitim, wenn man auch bereit ist, die allfälligen Konsequenzen zu tragen. Es ist mir derzeit keine mittelgrosse Stadt 10-20’000 Einwohner bekannt, bei denen die Verkehrsberuhigung in der Innenstadt und der Altstadt zu einem Wirtschaftsaufschwung bei den Ladengeschäften geführt hätte. Ich kenne dafür einige Städte, bei denen durch die Verkehrsberuhigung (Fahrverbot, Parkierverbot) in den Innen- und Altstädten die Ladengeschäfte zuerst Umsatzeinbusse hinnehmen und später schliessen mussten.

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