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Wald: Dünger der Landwirtschaft und Autoabgase richten Schäden an © WolfgangWildner/Flickr

Schweizer Lebensstil verdrängt die Natur

Hanspeter Guggenbühl /  Die Bevölkerung und ihr Flächenverbrauch wächst. Dadurch wird die Natur zurück gedrängt, und die Artenvielfalt schrumpft.

Der soeben veröffentlichte Bericht Umwelt Schweiz 2011»* informiert über den Zustand der Natur und legt Rechenschaft ab über die Schweizer Umweltpolitik. Zutreffender wäre allerdings der Titel «Umwelt 2009». Denn die meisten Statistiken enden bereits im Jahr 2009, als die Wirtschaftskrise den Verbrauch von Energie und andern natürlichen Ressourcen vorübergehend senkte.

Aus diesem Grund sind die Resultate und Folgerungen in diesem jüngsten Schweizer Umweltrapport (dem siebten seit 1991) etwas weniger negativ als die Wirklichkeit. Das gilt insbesondere für die Kapitel «Material», «Energie» und «Klimawandel». So stieg, wie Infosperber berichtete, der Schweizer Energieverbrauch 2010 wieder auf einen Rekordwert, und auch der CO2-Ausstoss nahm deutlich zu. Das zeigt die neuste Gesamtenergie-Statistik 2010, die erst nach Redaktionsschluss des «Umweltberichts 2011» vorlag.

Mehr Konsum, weniger Natur

Relevanter als die kurz- ist die langfristige Entwicklung. Dazu liefert der über hundertseitige Umweltbericht ein breites Spektrum an Informationen und belegt folgende Zusammenhänge:

– Die Bevölkerung und ihr Konsum pro Kopf wachsen. Damit steigt tendenziell der Verzehr von natürlichen Ressourcen. Der Konsum von Material, Energie sowie die Abfallmenge liessen sich mit Effizienzsteigerungen zwar bremsen, aber nicht stoppen. Das Gleiche gilt für den Ausstoss von klimawirksamen Gasen. Darum verletzt die Schweiz – wie schon früher berichtet – das Kyoto-Protokoll.

– Der zunehmende Flächenverbrauch drängt die Natur zurück: Naturnahe Lebensräume weichen der Besiedelung und Verkehrsinfrastruktur oder verlieren ihre Qualität durch intensive landwirtschaftliche Bewirtschaftung. Zwar nehmen die Flächen von Feuchtgebieten und Trockenwiesen seit den 1990er Jahren weniger rasch ab als in den früheren Jahrzehnten, aber sie schwinden weiter. Das wirkt sich direkt auf die Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten aus: Der Bestand an Brutvögeln nimmt ab. Rund ein Drittel aller 13 500 inventarisierten Pflanzen- und Tierarten befinden sich auf der Roten Liste, ist also bedroht. Über 200 Arten sind bereits verschwunden.

– Fortschritte im Umweltschutz erzielte die Schweiz vor allem dort, wo sich Schadstoffe mit Reinigungstechnik vermindern lassen. Beispiel: Die Konzentration von Schwefel- und Stickstoffdioxid in der Atemluft sank seit 1985, ebenso der Phosphoreintrag in Gewässer.

Ziele bei Kernthemen verfehlt

«Vor dem Jahr 2000 wurden im Umweltbereich zahlreiche Fortschritte gemacht», urteilt das Bundesamt für Umwelt (Bafu), räumt aber ein: «Bei Kernthemen wie dem Klimawandel oder dem Erhalt der Biodiversität konnten die Ziele bisher nicht erreicht werden.»

Eine gemischte Bilanz zieht das Bafu zum Lebensraum Wald: Hier ist der Anteil bedrohter Pflanzen- und Tierarten geringer als in andern Naturräumen. Als möglichen Grund nennt der Umweltbericht die Ausdehnung der Waldfläche und die Zunahme an Totholz. Dass der Wald an Fläche zulegt, hat andererseits eine für die Artenvielfalt negative Kehrseite: Die Ausdehnung geht vor allem auf Kosten von artenreichen Wiesen im Berggebiet, die nicht mehr genutzt werden und deshalb verganden. Im übrigen ist der Anteil an totem Holz für viele anspruchsvolle Arten immer noch zu klein, und es fehlt an lichten Waldpartien.

Der Wald als Ganzes leidet gemäss Umweltbericht weiterhin unter Schadstoffen, die aus landwirtschaftlicher Düngung und Abgasen stammen: Ozon schädigt Blätter und Nadeln. Stickstoff lässt den Waldboden versauern und versorgt die Bäume einseitig mit Nährstoffen, was ihrer Stabilität abträglich ist. Damit vermag der Wald den Stürmen und Trockenperioden, die der Klimawandel nach sich zieht, weniger gut stand zu halten. Schliesslich steht die einheimische Flora und Fauna im Wald wie in den anderen Lebensbereichen zunehmend unter Druck von gebietsfremden Arten, die sich teilweise invasiv ausbreiten.


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