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Auf dem Grund von Ost- und Nordsee verrotten 1,6 Millionen Tonnen Kriegsmunition © Radio Bremen/NDR

Deutschlands Küstengewässer sind mit Bomben verseucht

Barbara Jud /  Krebskranke Fische, Phosphor an den Stränden: Rostende Kriegsmunition auf dem Meeresgrund wird zum Risiko für Natur und Menschen.

Etwa 1,6 Millionen Tonnen Munition und chemische Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg liegen immer noch auf dem Grund von Nord- und Ostsee. Nicht nur durch direkte Kriegshandlungen gelangten sie ins Meer. Ganze Schiffsladungen mit Munition aus Beständen der Wehrmacht haben deutsche Seeleute auf Befehl der Alliierten nach der Kapitulation Deutschlands ins Meer gekippt. Das riesige Arsenal versenkter Bomben, Granaten, Minen und Torpedos erweist sich nun als tickende Zeitbombe, wie der eindrückliche Dokfilm «Bomben im Meer» in der ARD-Reihe «Die Story im Ersten» zeigt (nur bis heute 10. Juni 2019 verfügbar).

In den rot markierten Gebieten der Nord- und Ostsee liegt Munition auf dem Meeresgrund. (Bild: Radio Bremen/NDR)
Giftiger Sprengstoff in der Nahrungskette
Für die Umwelt und die Menschen werde die Munition im Meer zur wachsenden Gefahr, warnen Experten im Film eindringlich. Sie zu bergen und unschädlich zu machen, sei eine immer drängendere Aufgabe. Die metallischen Munitionskörper sind nach über 70 Jahren teilweise durchgerostet und setzen jetzt nach und nach ihren explosiven Inhalt frei. Hochgiftige Chemikalien aus Sprengstoffen gelangen so ungehindert ins Meer und in die Nahrungskette. Immer häufiger finden Meeresbiologen krebserregendes TNT und Arsen in Muscheln und Speisefischen der Ostsee. In Gebieten, wo viel Munition auf dem Meeresgrund liegt, erkranken auffallend viele Fische an Leberkrebs.

Dieser Fisch hat einen grossen Lebertumor (Bild: Radio Bremen/NDR)
Phosphor mit Bernstein verwechselt
Sogar ein ganz gewöhnlicher Strandspaziergang birgt Gefahren. Im Dokfilm schildert der Rentner Gerd Simanski, wie ein vermeintlicher Bernstein-Fund ihn fast das Leben kostete. Er steckte den Brocken in die Hosentasche – «und plötzlich brannte mein ganzes Bein». Was Simanski erst nach seiner Rettung erfuhr: Das Fundstück im Hosensack war ein Klumpen weisser Phosphor. Solche Reste aus Brandbomben, die Bernstein zum Verwechseln ähnlich sehen, werden häufig an deutschen Stränden angespült. Wenn das Phosphor trocken ist, kann es sich bei Temperaturen über 20 Grad selbst entzünden. Es entsteht ein 1300 Grad heisses Feuer, das sich mit Wasser nicht löschen lässt.

Gerd Simanski erlitt schwerste Verbrennungen durch einen Phosphor-Brocken, den er für Bernstein hielt und in die Hosentasche steckte. (Bild: Radio Bremen/NDR)
Vor allem auf der Insel Usedom kommen immer wieder Menschen durch Phosphorreste zu Schaden. Zwar gibt es an den Stränden Schilder mit Warnhinweisen, doch diese seien viel zu klein und leicht zu übersehen, kritisieren Touristen. Alle Bestrebungen, die Feriengäste offensiver und deutlicher vor dem brandgefährlichen Strandgut zu warnen, scheiterten bis jetzt am Widerstand der lokalen Tourismus-Branche. Sie fürchtet, dass Touristen die betroffenen Strände meiden.

«Beim Sammeln von Bernstein besteht Unfallgefahr»: Warntafel auf der Insel Usedom. (Bild: Radio Bremen/NDR)
Behörden haben das Problem totgeschwiegen
Brandbomben, Minen und Granaten im Meer vor den Stränden wo unbeschwerte Menschen ihre Ferien verbringen: Nicht nur in Usedom tut man sich schwer damit, sich mit den Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg auseinanderzusetzen. Über Jahrzehnte haben deutsche Behörden das Problem heruntergespielt oder totgeschwiegen. Erst umfangreiche Recherchen des Koblenzer Meeresbiologen und Forschungstauchers Stefan Nehring und des Expertenkreises «Munition im Meer» zeigen das wahre Ausmass des Desasters. Zum einen liegt auf dem Meeresgrund viel mehr Munition als lange Zeit angenommen, und sie liegt auch an Stellen, wo sie laut Karten eigentlich nicht sein dürfte. Strömung und Schleppnetze der Fischer haben die Munition auf dem Meeresboden verteilt. Eine anderer Grund ist «Schlamperei» beim Versenken der Munition nach dem Zweiten Weltkrieg: Viele Schiffe fuhren nicht bis zur vorgegebenen Position, sondern kippten das gefährliche Gut schon auf halbem Weg über Bord.
So liegen Haufen von Minen und Sprengstoff, frei zugänglich für jeden Hobby-Taucher, manchmal nur wenige Meter unter der Meeresoberfläche. Immer mal wieder landet eine Senfgas-Granate im Netz eines Ostsee-Fischers. Zudem sind viele Sprengkörper auch heute noch hochexplosiv und eine Gefahr für die Schifffahrt und Fischerei. Die einzige echte Lösung wäre, alle Munition so schnell wie möglich zu bergen und zu entsorgen, was angesichts der Mengen ein gigantisches und sehr teures Unterfangen wäre.
Ein Wettlauf gegen die Zeit
Doch ein politischer Aktionsplan ist bis heute nicht in Sicht. Deutsche Behörden schieben sich die Verantwortung seit Jahren gegenseitig zu. Das kritisiert der Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, scharf. Er hat sich in seiner Zeit als schleswig-holsteinischer Umweltminister intensiv mit den gefährlichen Altlasten im Meer auseinandergesetzt. Er sagt, die Politik habe seit Jahrzehnten die Augen verschlossen vor dem Problem, weil es schier unlösbar erschien – frei nach dem Motto «möglichst nicht hingucken». «Das ist ein Armutszeugnis», sagt er und fordert eindringlich, die deutsche Regierung müsse nun endlich handeln und Verantwortung übernehmen für die Beseitigung der hochgiftigen und explosiven Kriegsaltlasten auf dem Meeresgrund.

Der Dokfilm «Bomben im Meer» macht klar: Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Immer mehr Bomben werden durchrosten und ihren gefährlichen Inhalt freisetzen. Und wenn die Metallhülle erst einmal weg ist, wird es praktisch unmöglich sein, die giftigen Chemikalien aus dem Meer zu eliminieren.
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Grosse Medien haben über diese Recherchen von ARD/NDR mit den neusten Befunden über die Bomben im Meer nicht informiert.
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Die Armeen der Weltmächte entsorgten zwischen 1917 und 1970 über eine Million Tonnen Chemiewaffen aus den Weltkriegen in allen Meeren der Erde. Siehe dazu auf Infosperber

«Giftiges Kriegs-Erbe: Chemiewaffen im Meer»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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