Kommentar

Geschlechtsneutrale Sprache als Kinderkram abqualifiziert

Barbara Marti © zvg

Barbara Marti /  Der Literaturchef des «Tages-Anzeigers» kritisiert Gleichstellungsanliegen und benutzt dafür die Sprache der Rechtspopulisten.

Im «Tages-Anzeiger» schrieb Literaturchef Martin Ebel einen seitenlangen «Essay» unter dem Titel «Wenn Diskriminierte zur Hetze rufen». Darin warf er einem «digitalen Mob» vor, gerechte Sprache erzwingen zu wollen, wenn Sexismus oder Rassismus «vermutet» werde.
«Böser Sexismus»
«Rassismus und Sexismus: Beide existieren, und beide sind böse», schrieb Ebel. Man müsse sie bekämpfen. Doch über das Wie sei man sich nicht einig, denn die Benachteiligung der Frauen in der Schweiz sei «in keiner Weise» zu vergleichen beispielsweise mit der Situation von Frauen in Saudiarabien. Aber auch hierzulande werde vor allem auf symbolischer Ebene heftig gekämpft gegen das «Böse». Dabei gehe es auch um korrekte Sprache.
Der Vergleich mit Saudiarabien ist deplatziert und dient einzig dazu, die Kritik an diskriminierender Sprache als unwichtig abzuservieren. Den gleichen Zweck hat der Begriff «böse» aus der Kindersprache. Damit diskreditiert Ebel die Forderung nach gerechter Sprache als Kinderkram.
«Unselige Genderei»
Das Ganze gehöre in den Bereich der «Political Correctness» (PC), die «in letzter Zeit» eine Wende ins Radikale, Weltfremde und letztlich Kontraproduktive gemacht habe, lamentiert Ebel. «Das betrifft die unselige Genderei, der es ursprünglich um sprachliche Sensibilisierung ging und die jetzt bei vielseitigen Vorschriftsbüchlein und Regelwerken gelandet ist, mit der Behörden und Universitäten die lebendige Sprache in ein Korsett von Doppelformeln, Partizipialverrenkungen oder schriftfremden diakritischen Zeichen zwängen (vom Binnen-I über das Sternchen zum Unterstrich) und jede Abweichung sanktionieren.» Es seien «Genderisten», die «weitgehend durchgesetzt» hätten, dass Frauen stets sprachlich «mitgemeint werden (man könnte auch sagen: sprachlich separiert, aber das ist ein anderes Thema)». Mit «Genderei» und «Genderisten» übernimmt Ebel Schlagworte rechter Populisten in ihrem Kampf gegen Gleichstellung.
Am Pranger
Schliesslich unterstellt der Literaturchef, man dürfe keine abweichende Meinung mehr äussern: «Wer sich dieser Thematik heute mit einer gewissen Skepsis nähert – auch dieser Essay – riskiert, an den öffentlichen Pranger der unsozialen Medien gestellt zu werden.» Ebel müsste man tatsächlich an den Pranger stellen: Sein «Essay» ist eine weitgehend faktenfreie Ansammlung von Passivformulierungen und Unterstellungen. Wer was wie vorschreibt und sanktioniert, bleibt weitgehend nebulös. Hinzu kommt: Mit dem digitalen Mob müssen auch diejenigen rechnen, die sich für diskriminierungsfreie Sprache engagieren. Nicht nur «Diskriminierte» können zur Hetze rufen, sondern auch «Privilegierte». Doch das übersieht Ebel grosszügig.
Ein «Privilegierter» klagt
Stattdessen klagt er, «privilegiert» sei das neue Schimpfwort: «’Privilegierte’ dürfen nichts, was angeblich andere verhöhnt oder verletzt.» Sie dürfen beispielsweise keine Opern mehr aufführen, deren Texte «noch nicht gegendert» sind, behauptet Ebel. Mit ähnlich seltsamen weiteren Beispielen macht er Gleichstellungsanliegen lächerlich. Ein «Privilegierter» wie Ebel könnte ja einfach nur das Anliegen von Frauen ernst nehmen, in der Sprache sichtbar zu sein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Barbara Marti ist Redaktorin und Herausgeberin des Online-Magazins «FrauenSicht».

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9 Meinungen

  • am 25.09.2020 um 11:22 Uhr
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    Meine Mutter, Grossmutter und Urgrossmutter wussten ganz genau, dass mit z.B. «man» auch sie als Frauen gemeint waren! Diese ach so moderne Wortklauberei entstammt einer Gesellschaft, der es viel zu gut geht. Es gäbe auf der Welt wahrlich ernstere Probleme zu lösen. Frauen, die sich durch sprachliche Missverständnisse diskreminiert fühlen, sind daran meist selber schuld. In Asien sind solche Spitzfindigkeiten kein Thema: Dort habe die Frauen eh «die Hosen an», auch wenn es oft anders scheint!

  • am 25.09.2020 um 12:11 Uhr
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    Frau Marti, hier bestätigen Sie, dass Herr Ebel Recht hat: «Schliesslich unterstellt der Literaturchef, man dürfe keine abweichende Meinung mehr äussern: «Wer sich dieser Thematik heute mit einer gewissen Skepsis nähert – auch dieser Essay – riskiert, an den öffentlichen Pranger der unsozialen Medien gestellt zu werden.»

  • am 25.09.2020 um 12:20 Uhr
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    "Ein «Privilegierter» […] könnte ja einfach nur das Anliegen von Frauen ernst nehmen, in der Sprache sichtbar zu sein.» – Was ist denn ein sogenannter ‹Privilegierter›?

    Schon die Definition, wer privilegiert ist und wer nicht, grenzt oft an vollkommenen Irrsinn. Gerade um dies zu klären, wurde ich doch letzthin aufgefordert, einen Online-Fragebogen auszufüllen und erhielt am Schluss ein Ergebnis, das ich mich als extrem unterprivilegiert anzusehen habe. Das habe ich als weisser Cis-Mann nicht erwartet. Was war falsch an diesem Fragebogen?

    Zwar ist das Abfragen von prägenden (neagativen) Erfahrungen an sich zielführend, doch muss man auch anerkennen, dass diese oft positive (und nötige) Entwicklungen anschieben. Offenbar hatte ich einige davon in meinem bisherigen Leben. Es fällt geradezu auf, dass oft in diesen Diskursen das Leben aus einem verengten Blickfeld betrachtet wird. Es soll ja am Schluss ein griffige Formel hinausposaunt werden. Da ich aber ungern vereinnahmt werde, möchte ich selber entscheiden, wie ich mich sehe.

    Während lautes Klagen über die fehlende Diversität zu vernehmen ist, so nimmt im realen Leben die Mysogenie zu. Warum das? Mit der wachsenden sozialen Ungleichheit nimmt der Stress in der Gesellschaft wieder zu. Dass aber mit dem Mittel der Sprachpolizei die Ungleichverteilung auszuglätten versucht wird, das ist bewährte Symbolpolitik um nichts an den Ursachen ändern zu müssen.

  • am 25.09.2020 um 14:43 Uhr
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    Danke, ich bin immer froh, wenn die Sprachglossisten und vermeintlichen -hüter auf ihren Podesten ein bisschen durchgerüttelt werden. Aber hätten Sie noch den Link zum Originaltext?
    [Antwort Redaktion: Dafür muss man bezahlen]

  • am 25.09.2020 um 15:33 Uhr
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    ‹Geschlechtsneutral› war noch nie (sic) ’neutral› sondern schon immer ein irreführender Kampfbegriff der Linkspopulisten / Lnksextremen.

    Laut Berliner Landesstelle für (Un-)Gleichbehandlung soll es keine «Mitarbeiter», sondern nur noch «Mitarbeitende» geben. Selbst Ausländer, p.c. “Menschen mit Migrationshintergrund” – eine Wort-Neuschöpfung – sei nicht mehr p.c. und soll durch „Menschen mit Migrationsgeschichte“ oder „Menschen mit internationaler Geschichte“ ersetzt werden.
    vgl. Leitfaden des Senats „Mitarbeitende der Berliner Verwaltung zum diversitysensiblen Sprachgebrauch“
    https://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/diversity/landesprogramm-diversity/
    https://www.berliner-kurier.de/berlin/beamte-sollen-nicht-mehr-schwarzfahrer-sagen-li.106569

    Laut linksradikaler Sprachpolizei werden demzufolge “Staatsbürger” zu “Staatsbürgende” und “Schweizer” zu „Menschen ohne internationale Geschichte“

    Weiterführende Information: Brave New World.

  • am 25.09.2020 um 19:07 Uhr
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    Mir mutet der Wunsch nach einer Diskriminierungsfreien Sprache als ein Versuch Neusprech einzuführen.
    Der Trend Geschlechtskonform zu schreiben ist für mich eigenartig und wirkt sehr gekünstelt, sowie unnötig kompliziert.
    Die Suche nach Fehlern, ist zwanghaft; dazu bedient sie sich der Manipulation, wo scheinbar eine ungeheure Ungerechtigkeit gutgemacht werden müsse.
    Lesen ist ein grosses Hobby von mir, diese angestrebte Verschlimmbesserung brauche ich nicht.
    Die Sprache ist mächtig genug und bedarf solcher aufgesetzter Spitzfindigkeiten nicht.
    Hört auf mit dieser ewigen Opferhaltung und setzt euch ein mit Taten.

  • am 27.09.2020 um 23:06 Uhr
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    Meine Worte sind Ausdruck meines Denkens.

    Wenn ich beispielsweise an Studentinnen und Studenten denke, sage ich Studentinnen und Studenten, vielleicht auch Studierende. Würde ich hingegen Student sagen, wäre das ungenau und damit irreführend, und es wäre auch diskriminierend.

    Umgekehrt beinflussen Sprachnormen mein Denken. Um von alten, überholten Werte- und Rollenbildern wegzukommen, muss ich mich bewusst auch von den entsprechenden Sprachnormen lösen. Damit sind diese wandelbar. Zum Glück.

  • am 28.09.2020 um 13:21 Uhr
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    Wenn die Sprache das Denken so prägt, daß geschlechtsneutrale Sprache zur gerechteren Gesellschaft führt, dann müßte in Ländern mit geschlechtsneutralen Sprachen ja das Paradies herrschen, oder? Pakistanisch…Chinesisch… Türkisch… allesamt geschlechtsneutral.

  • am 4.10.2020 um 22:27 Uhr
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    Was nutzt gendergerechte Sprache, wenn sich innen und außen nix ändert?
    Jetzt haben wir ein *, ein Binnen I, einen Unterstrich….
    Ist damit auch nur einem LBTG Menschen gedient?
    Nach wie vor bleiben sie Außenseiter, die in der Arbeitswelt benachtrilgt werden, bei kirchlichen Arbeitgbern nach wie vor riskieren, ihren Job zu verlieren, einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind Opfer von Gewalt zu werden …
    Von den kleinen» spassig» geneinten Nickeleien im Alltag mal abgesehen. Das Binnen I existiert schon seit Jahrzehnten, dsd Lohngefälle aber auch noch.Die ganze Gendersprache ist zu einem Fähnchen, einem Werbelabel verkommen, un genauso patriarchal weiter zu machen, wie immer schon.
    By da way:
    "Neger» darf man nicht sagen. Aber in der Schweiz ….gibts racial Profiling. Und. 95 % der in den Todeszellen sitzenden Gefangenen in den USA sind Menschen mit schwarzer Hautfarbe….
    Da nehme dich die «gerechte» » Sprache nicht so ernst, obwohl ich für mich auch das * benutze wissend dass es nix bringt.

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