Franco

Im Namen der Neutralität sympathisierte die offizielle Schweiz mit Diktator Francisco Franco. © Pedrodg11/Wikimedia/cc

Wie der Bundesrat gegen Anti-Faschisten vorging

Armin Stalder /  Der Publizist Harry Gmür beschrieb faschistische Strömungen der Schweizer Politik. Ein Buch veröffentlicht nun 30 seiner Texte.

Red. Der Autor ist Diplom-Journalist MAZ und studiert Zeitgeschichte und Philosophie an der Universität Fribourg.

Harry Gmür geisselte die Neutralität der Schweiz. Sie sei mitverantwortlich für die scheinheilige, offizielle Regierungslinie des Bundesrates vor und während des Zweiten Weltkriegs gewesen. Mit ihr habe er Massnahmen zur Repression von ihm nicht genehmen innenpolitischen Aktivitäten legitimiert.

Harry Gmür (1908-1979) war kritischer Analyst des politischen Geschehens in der Schweiz und darüber hinaus und engagierte sich jahrzehntelang als Publizist. Zur Zeit des Nationalsozialismus und des Kalten Krieges schrieb er gegen Faschismus und Kolonialismus. Er war von 1937 bis 1938 Redaktor der antifaschistischen Wochenzeitschrift «ABC», an deren Realisierung er mitarbeitete und die er mit seinem Erbe finanziell unterstützte.

Nun erscheint im Europa-Verlag das Buch «Reportagen von links» mit 30 Reportagen, Essays und Kommentaren von Gmür aus jener Zeit. Gmürs Werk stellt ein Zeugnis unterbeleuchteter Intellektuellenforschung und der Repression politisch links-orientierter Politik durch die Schweizer Behörden während des 20. Jahrhunderts dar. Als «prinzipientreuer Kommunist» habe Gmür einen hohen Preis als Dissident bezahlt, schreibt Jean Ziegler im Vorwort.

Gmür war damals Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, die ihn 1942 wegen zu radikalen Positionen ausgeschlossen hatte. 1944 war er Mitgründer der Partei der Arbeit (PdA) und von 1944 bis 1947 Chefredaktor der Parteizeitung «Vorwärts». Er schrieb zwischen 1958 und 1979 unter Pseudonymen für die DDR-Zeitschrift «Weltbühne».

Abbau schweizerischer Freiheitsrechte

Gmür stellte fest, wie der Bundesrat schweizerische Freiheitsrechte im Zuge der Spanien-Politik beschnitt: Einfuhrverbot für republikanische Zeitungen, Freiheitsstrafen für «Spanienfahrer», Zuchthaus für leitende Funktionäre der Kommunistischen Partei als Werber von Freiwilligen. Im Namen der Neutralität hatte sich der Bundesrat auf die Seite des Diktators Francisco Franco geschlagen.

Ein Einstehen für die republikanische Seite bedeutete für Gmür eine moralische Verpflichtung für die Unabhängigkeit des eigenen Landes. Der Ausgang des Krieges war wichtig. Warum? Bei einem Sieg prophezeite Gmür eine Stärkung der faschistischen europäischen Achsenmächte – mit denen die offizielle Schweiz subalterne Beziehungen pflegte und ökonomisch profitierte – weil sie dadurch Zugriff auf die kriegswichtigen Rohstoffe, etwa die nordspanischen Bergwerke, hätten. Dies hätte eine strategische Schwächung Frankreichs und der Demokratien insgesamt bedeutet.

Unterstützung für die republikanische Seite verhindert
Gmür kritisierte die Bundesrats-Beschlüsse vom August 1936 (die bis zum 19. Juni 1939 in Kraft blieben – der Spanische Bürgerkrieg endete am 1. April 1939), die jede Waffenausfuhr nach Spanien verboten und die Teilnahme von Schweizern unter verschärfte Strafe stellten. Dies habe eine Unterstützung für die republikanische Seite verhindert und den Faschisten in die Karten gespielt, die sich «in ausreichendem Masse aus Italien und Deutschland mit Kriegsmaterial und ‹Freiwilligen› versorgen konnten». Die Militärgerichtsprozesse gegen «Spanienfahrer» folgten «am laufenden Band», so Gmür.

Doch nicht nur direkte Beteiligungen am Spanischen Bürgerkrieg war der offiziellen Schweiz ein Dorn im Auge. Auch auf dem Gebiet der «Softpower» wurde gehandelt. So wurde zum Beispiel in Genf im Mai 1938 ein Vortrag von Margarita Nelken aus der spanischen Feminismusbewegung über die «Kunst im republikanischen Spanien» verboten.
Dafür durfte ein angeblicher Pater und Philologie-Professor der Universität Oviedo im katholischen Gesellenhaus in Zürich die Zuhörerschaft gegen die «roten Banditen» in Spanien aufhetzen – durch «unflätige Beschimpfungen und einen ganzen Schwall niederträchtiger Lügen», so Gmür, währenddessen er Franco als «makellosen christlichen Helden und Retter» lobhudelte. Keine Polizeibehörde sah sich veranlasst, einzugreifen. Im Gegenteil: «Am zweiten Jahrestag der nationalen Erhebung fand in der Berner Dreifaltigkeitskirche ungehindert eine offizielle Feier der in der Schweiz lebenden Franco-Spanier statt», schreibt Gmür.

Sympathie mit Faschisten

Die offizielle Schweiz sympathisierte mit dem Faschismus. Aussenminister Giuseppe Motta erteilte im Mai 1938 dem Ex-Divisionär Roger de Diesbach – laut Gmür «ein notorischer Bewunderer Francos» – für seinen Besuch bei Franco grünes Licht. Zuvor wurde dies Schweizer Ärzten und Journalisten für eine Fahrt nach Barcelona verweigert. Im September 1938 empfing Motta den offiziösen Vertreter der spanischen Faschisten, Domingo de Las Barcenas y Lopez-Mollinedo. Im November dann wurde der schweizerische Abgesandte in Barcelona versetzt, ohne ihn zu ersetzen.

Gmür urteilte: «In einem gesagt, entsprach die offizielle schweizerische Spanienpolitik vollkommen der Haltung der Bürgerblock-Presse, die fortfuhr, in einmütigem Hass gegen die verfluchten ‘Roten’ zu geifern (…)» Diese Politik habe, so Gmür, den Druck auf die verzweifelt kämpfende spanische Demokratie verstärkt. Dadurch, dass die schweizerischen Behörden Aktivitäten gegen die Republik duldeten, «haben sie der Gewaltpolitik des faschistischen Kriegsblocks aus freier Willkür den Weg gebahnt». Die Missetaten habe man als notwendige Folgen der Neutralitätspolitik hinzustellen versucht.

Duldung von Nazi-Agitationen

Die Nazis unterhielten im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges ein weit verzweigtes Netz von Spionen, Spitzeln und Agenten, die überall aktiv waren, u.a. in Schulen, Theatern oder Wohnquartieren. Diese Aktivitäten wurden geduldet. Allerdings sah sich der Bundesrat nach dem Mordattentat am 4. Februar 1936 auf den NSDAP-Landesgruppenleiter der Schweiz, Wilhelm Gustloff, dazu genötigt, die Neubesetzung von Gustloffs Posten und den Reichsdeutschen (die Zeitung der Nazis in der Schweiz) zu verbieten. Doch schon im März 1938 erschien als Ersatz die Deutsche Zeitung in der Schweiz.

Gmür kritisierte: «Der Bundesrat duldete nicht nur diese Unverschämtheit, er erteilte zu allem Überfluss dem radikal-nationalsozialistischen Agitator Gerhard Horn, der die Redaktion besorgen sollte, die Aufenthaltsbewilligung für Bern (…). Im Juni 1938 lehnten die Herren Motta und Baumann [Bundesrat Johannes Baumann, Justiz- und Polizeidepartement] im Parlament ein Vorgehen gegen die deutschen Nazis in der Schweiz als überflüssig ab.» Das Treiben der Nazis in der Schweiz und die Spitzelgefahr seien unbegründet.

Verfassungsrechte wiederhergestellt

Antifaschistische Arbeiter wurden oft nur wegen Verteilung von Flugschriften verhaftet und verurteilt. Erst dank dem Druck der Volksmassen nach Kriegsende wurden die verfassungsmässigen Rechte und Freiheiten – etwa die Beschränkung der Presse- und Redefreiheit und das Verbot von antifaschistischen Organisationen – wiederhergestellt, die durch den Bundesrat erlassen worden waren. Gmür forderte im «Vorwärts» die Demission des «Polizeiministers des Krieges» Bundesrat Eduard von Steiger, der mitverantwortlich für die Polizeirepression gegen die Linke war.

Im Mai 1945 sah sich die Schweizer Regierung gezwungen, die nazideutsche Botschaft in Bern und des Generalkonsulats in Zürich zu schliessen und die NSDAP zu verbieten. In Zürich fand die erste Versammlung des «Nationalkomitees Freies Deutschland» statt. Redner war der Herausgeber von «Moorsoldaten» und Mitwirkende am Zürcher Schauspielhaus, Wolfgang Langhoff, der, wie Gmür schreibt, resümierte, dass sich «gewisse Kreise» damit abfinden müssen, «dass die Kommunisten in vorderster Front des antifaschistischen Kampfes standen, dass sich die Arbeiter als die besseren Patrioten erwiesen als die Grossbürger, die stets das Vaterland für sich allein reklamierten, sich jedoch zu Kollaborateuren durchgemausert haben.»

Harry Gmür, Reportagen von links. Vier Jahrzehnte Kampf gegen Faschismus und Kolonialismus, Europa-Verlag, 2020, 336 Seiten, CHF 37.90

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Eine Meinung zu

  • am 21.12.2020 um 00:17 Uhr
    Permalink

    Aus der Darstellung hier schließe ich, dass Gmür zu denjenigen gehörte, für die alles auf eine Endausscheidung zwischen Faschisten und Kommunisten (auch «Republikaner» oder «Demokraten» genannt) hinauslief. Er stellte damit viele Bürgerlichen und Christen unnötig vor eine Wahl, bei der sie aus Selbstschutz die Faschisten unterstützen mussten.
    Alles das ist doch obsolet durch die ideelle Wiederbegründung der freiheitlichen Demokratie ab 1945. Will der Europa-Verlag uns tatsächlich wieder in die Alternativen von 1936 verwickeln?

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