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Helmut Kohl mit dem Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch in den 60er Jahren © Screenshot ARD

Die gekaufte Bundesrepublik Deutschland

Helmut Scheben /  Neue Dokumentationen zeigen, dass die systematische Bestechung in der Regierung Kohl weitaus schwerer war als bisher angenommen.

In bestimmten Regionen von Hessen und der Pfalz bezeichnet das Mundartwort «Bimbes» einen Brotaufstrich aus eingedicktem Birnensaft. In der Entourage des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl wusste man, dass damit eine bestimmte Art von Schmiergeld gemeint war.

Letzten Mittwoch zeigte das SWR-Fernsehen den Dokumentarfilm «Bimbes – die schwarzen Kassen des Helmut Kohl». In dem Film von Stephan Lamby und Egmont R. Koch treten zahlreiche Politiker, Staatsanwälte und Journalisten auf, die den 2017 verstorbenen Helmut Kohl schwer belasten.

Aus den umfangreichen Recherchen ergibt sich, dass deutsche Industriekonzerne nicht erst in den achtziger Jahren, sondern schon seit Ende der sechziger Jahre den Aufstieg des Helmut Kohl zum Bundeskanzler mit systematischen Zahlungen gefördert und beeinflusst haben. Das Geld wurde über Stiftungen oder gemeinnützige kirchliche Organisationen gewaschen und in schwarze Kassen verschoben, die in keinem Rechenschaftsbericht der CDU/CSU auftauchten.

200 Millionen Euro in die Schweiz verschoben

Die Ermittlungen der Staatsanwälte ergaben, dass allein die in die Schweiz verschobenen DM-Beträge einen Wert von 200 Millionen Euro hatten. Das ist neu und ändert die Qualität der ganzen Sache. Als in den 80er Jahren die Parteispenden-Affäre öffentlich wurde, war jeweils von der einen oder anderen Million die Rede. Die neuen Enthüllungen legen eine systematische und umfassende Bestechungspraxis offen, die über Jahrzehnte lief und die BRD jener Zeit in den Dunstkreis von Bananenrepubliken rückt.

Denn dass es sich um verdeckte politische Einflussnahme – auf gut deutsch Bestechung – handelt, haben die Hauptakteure der Industrie nie in Abrede gestellt. Eberhard von Brauchitsch, CEO des Flick-Konzerns und einer der einflussreichsten Industriemanager Deutschlands, pflegte von «politischer Landschaftpflege» zu reden. In seinen 1999 (auf dem Höhepunkt des Skandals) erschienenen Memoiren hält er fest, mit der Machtübernahme Helmut Kohls sei es darum gegangen «die aus dreizehn Jahren sozialdemokratischer Verteilungspolitik resultierenden Wucherungen zurückzuschneiden.»

Kohl habe aber die Erwartungen dann nicht zufriedenstellend erfüllt: «Kohl blieb auch als Kanzler in der katholischen Soziallehre verankert, deren unsubstantielle Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit wenig praktikabel und für die Interessen der deutschen Wirtschaft mitunter höchst hinderlich waren.» (S. 278)
Hinderlich waren auch laut Von Brauchitsch «die Herz-Jesu-Marxisten, die ihn in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen berieten. Männer wie Heiner Geissler und Norbert Blüm genossen nicht unbedingt das Vertrauen der Wirtschaft.» (S.236)

Von Brauchitsch (gestorben 2010 in Zürich) war also überzeugt, dass die Wirtschaft eingreifen müsse, um Deutschland auf den rechten Weg zu bringen. Im Film-Interview sagt er in verblüffender Offenheit: «Um kein unmittelbares Verhältnis zwischen Geber und Nehmer aufzudecken, wurde die Staatsbürgerliche Vereinigung (SV) dazwischengeschaltet. Man zahlte in die SV ein.» Die in Koblenz ansässige SV war ein gemeinnütziger Verein, der bereits in den 50er Jahren von der CDU gegründet worden war.

Die Familien Von Brauchitsch und Kohl hatten eine enge freundschaftliche Beziehung. Schon in den siebziger Jahren, als Kohl noch Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz war, schaute Von Brauchitsch nach Dienstschluss in Kohls Büro rein und man begab sich «in die geschmackvoll bescheidene Weinprobierstube in der Staatskanzlei, wo Kohl immer einen guten Tropfen und eine Brotzeit bereit hielt.»

Der famose Paragraph 6b

Selbstverständlich ging es nicht nur um allgemeine politische Weichenstellungen, sondern auch um konkrete Vorteile wie Steuererleichterungen. FDP-Wirtschaftsminister Friedrichs und sein Nachfolger Graf Lambsdorff hatten bereits 1975 den Flick-Konzern von der Steuer befreit, als er Daimler-Aktien an die Deutsche Bank verkaufte. Die Entscheidung stützte sich auf den famosen Paragraphen 6b des Einkommensteuergesetzes, welcher Steuerbefreiung vorsah, wenn es sich um «volkswirtschaftlich förderungswürdige Reinvestitionen» handelte. Flick sparte rund eine Milliarde D-Mark. Lambsdorff und Friedrichs standen auf der Liste der 40 Geldempfänger, die Steuerfahnder 1981 beim Flick-Buchhalter Rudolf Diehl fanden.

Nach jahrlangen Ermittlungen und Gerichtsverfahren eskalierte die Bestechungsaffäre 1999 erneut, als das Amtsgericht Augsburg wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung einen Haftbefehl gegen den CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep erliess. Er sollte erklären, um welches Geld es sich bei der Million DM handelte, die auf einem Parkplatz in der Schweiz in bar übergeben worden waren.

Im November 1999 gab CDU-Generalsekretär Heiner Geissler zu, man habe im Adenauerhaus «schwarze Konten» geführt. Kohl selbst sah sich in die Enge getrieben, konnte sich zunächst an nichts erinnern und versuchte es schliesslich mit Salamitaktik und Nebelpetarden: Ja, er habe ein paar Spenden in Höhe von 2,1 Millionen Mark entgegengenommen. Er habe aber den «vier oder fünf» Spendern sein Ehrenwort gegeben, keine Namen zu nennen. Bei dieser Version blieb Kohl durch alle Untersuchungs-Instanzen und vor allen Mikrofonen, und er nahm sein Geheimnis mit ins Grab. Die Erzählung war – wie der 75minütige Dokumentarfilm nun zeigt – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Lüge.
Wolfgang Schäuble, damals Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU, und später Innenminster und Finanzminister unter Angela Merkel, erscheint im Film in einem Interview von 2015 mit der lapidaren Aussage: «Es gab keine anonymen Spender!» Laut Schäuble stammten die fraglichen Beträge aus den schwarzen Kassen der CDU. Es handelte sich also um Restbestände von den Schmiergeldern, die seit den siebziger Jahren von Konzernen wie Flick, Thyssen, Ferrero und anderen vor allem zur CDU/CSU und FDP geflossen waren ( in geringerem Umfang zur SPD).

Steuerfahnder: Das kennt man sonst nur von der Mafia

Der Steuerfahnder Frank Wehrheim war ab 1975 mit den illegalen Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik befasst. Er konnte kaum glauben, was er da aufdeckte:

«Das sind Methoden, die man sonst nur von der Mafia kennt. Da weiss ich: Das sind Gangster. Aber hier haben sich Parteien nicht anders verhalten und haben mit geheimen Systemen unter Zuhilfenahme von Steuerhinterziehung Straftaten begangen und das als normal angesehen. Banken, Industrie, alle haben brav gespendet.»

Wenn Koffer mit Millionenbeträgen auf Autobahnraststätten die Hand wechseln, wie es immer wieder praktiziert wurde, dann trägt dies das Markenzeichen mafiöser Organisationen. Auch die Beseitigung von störenden Personen durch Autounfälle gehören zu dieser Art von kriminellen Geschäften. Im Fall des Chefs der Augsburger Staatsanwaltschaft ist nichts bewiesen, aber es bleibt ein verstörender Verdacht.

Oberstaatsanwalt Jörg Hillinger, der gegen den Widerstand seines Vorgesetzten die Ermittlungen im Spendenskandal weitertrieb, kam im April 1999 bei einem spektakulären Autounfall ums Leben. Hillinger hatte sich vorher beschwert, seine Ermittlungen würden systematisch behindert.

Als bekannt wurde, dass diverse Aktennotizen Hillingers auf Anordnung seines Nachfolgers geschwärzt wurden, ohne dass dies eine juristisches Untersuchung nach sich zog, verbreitete sich in der Öffentlichkeit die Meinung, Hillinger sei ermordet worden. Experten des bayrischen Landeskriminalamtes untersuchten den Unfallwagen, fanden jedoch nach ihren Angaben keine Hinweise auf Manipulationen.

Der Flick-Manager von Brauchitsch wurde wegen Steuerhinterziehung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die Strafe wurde gegen Zahlung einer Geldbusse von 550’000 Mark auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Lambsdorff und Friedrichs wurden ebenfalls wegen Steuerhinterziehung zu Geldstrafen verurteilt.

Helmut Kohl gab im Januar 2000 auf Drängen seiner Partei den Ehrenvorsitz der CDU auf. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde wegen geringer Schuld eingestellt. Die Memoiren des Eberhard von Brauchitsch tragen den Titel «Der Preis des Schweigens».

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7 Meinungen

  • am 13.01.2018 um 12:34 Uhr
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    Schön, dass es in diesem Riesen-Skandal um ‹die Lichtgestalt Kohl› endlich etwas mehr Licht gibt.

    Dumme Frage: Wann deckt die deutsche Zivilgesellschaft endlich diesen (und andere) deutsche Skandale (zB auch um Strauss) ohne Ansehen der Person auf?
    – Demokratie setzt voraus, dass die 4. Gewalt im Staat funktioniert.
    – Die 4. Gewalt funktioniert weder in Deutschland, noch in der Schweiz. Und dieses Thema wäre eigentlich das zentrale in der aktuellen NoBillag-Debatte.

    Wollen wir Demokratie in der Schweiz oder irgendeine Pseudo-Demokratie?

  • am 13.01.2018 um 13:04 Uhr
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    Dank fuer den Artikel. Politiker nehmen alles Geld, das sie bekommen koennen. Die arme CDU. Was kann man mit Geld machen? Es klingt wie Russland bei facebook. Es haengt vielleicht immer vom Bildungsstand des Volkes ab. Wie vernuenftig sind die Waehler? Richtig und falsch kann man mit Geld jedenfalls nicht beeinflussen.

  • am 14.01.2018 um 08:56 Uhr
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    Es geht doch nicht um Bestechung. Pflege der politischen Landschaft. Was haben denn die anderen bekommen? Was ist das fuer eine armseelige unpolitische Betrachtungsweise. Ohne eine Wirtschaft gaebe es Deutschland uberhaupt nicht. Ohne eine Lobby wuessten Politiker ueberhaupt nicht, was in dem Land geschieht. Wir unten, die da oben? Wer denn sonst?

  • am 14.01.2018 um 11:11 Uhr
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    Systematische Bestechung ist nicht aussergewöhnlich und nicht auf korrupte oder diktatorische Regime beschränkt. Bestechung ist auch in den grossen Verbänden wie FIFA, IOC Tagesgeschäft. Die politische Schweiz bildet keine Ausnahme. Die grossen bürgerlichen Parteien hängen am Geldtopf der Grossbanken. Dafür nehmen die Parteien die Wünsche der Banken auf und setzen sie im politischen Prozess umd. Die legale Korruption nach Schweizer Art ist genauso schädlich wie die verstackte Korruption und wie im Fall der CDU Bargeld über die Grenze zu transferieren!

  • am 14.01.2018 um 11:41 Uhr
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    Sorry, Victor Brunner: Diese Sicht war einmal gültig bis spätestens zur Bankenkrise 2008 in der Schweiz. Da finanzierten ‹die Banken› unsere Volksparteien, seither nicht mehr dominant.
    – Sie gilt seither nicht mehr: Der eigentliche Politikwechsel fand 1989 statt mit der Übernahme der Macht in der FDP von den Bremi-Boys (mit Girl Spoerry), wirkte sich aber erst später öffentlich erkennbar aus.
    – Damit erkennen wir auch, wieso FDP + (rechte) CVP spätestens seither eine neo-liberale Politik betreiben (müssen).
    — FDP + CVP verfügten nicht mehr über die nötige Finanzkraft aus Mitgliederbeiträgen für die Politik einer Volkspartei. Denn die FDP allein verlore seit 1989 mind. 200’000 Mitglieder + aktive Sympathisanten.
    — FDP + CVP mussten sich nach neuen Finanzquellen umsehen, um den Anschein einer Volkspartei aufrechterhalten zu können (die FDP löste sich ca. 2002 offiziell von diesem Status). Sie fanden sie bei Wirtschaftsbranchen (Chemie + internationale Rohstofffirmen + internationale Sportverbände; ich dokumentierte 10 Branchen, worauf die FDP mich in der NZZ als eKommentator aus rein inhaltlichen Gründen sperren liess …), deren Anliegen sie fortan in Bundesbern vertraten, und wofür sie sich von ihnen bezahlen lassen. Mit dem Gewinn aus jenen Aktionen finanzieren sie ihren Betrieb + die (spärlichen) Volksbegehren ihrer eigentlichen Zielgruppen.

    Sie können von Korruption sprechen. Tatsächlich war das Interessenpolitik, statt die Politik zum Allgemeinwohl einer Volkspartei.

  • am 19.01.2018 um 22:18 Uhr
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    Es mag schon sein, dass sich die Geldflüsse in den letzten Jahren verändert haben. Nach wie vor trifft jedoch die Aussage von Victor Brunner zu, dass die verdeckte Finanzierung von Parteien und politischen Kampagnen in der Schweiz legal sind. Ob man das nun Korruption, Interessenpolitik, politische Landschaftspflege oder wie auch immer nennt: Es schadet der Demokratie!
    Das Beispiel Deutschland zeigt, dass eine Pflicht zur Offenlegung zwar fraglos richtig, deren Durchsetzung jedoch auch kein Spaziergang ist.

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