USA_vote

Ist die Demokratie noch das Modell der Zukunft? © nk

Der weltweite Krebsgang der Demokratie

Jürg Müller-Muralt /  Die Demokratie befindet sich weltweit unter Druck. Als besonders dramatisch beurteilen Demokratieforscher die Lage in den USA.

Die Demokratie ist historisch gesehen eine Ausnahme und eine junge Erscheinung. Es ist nicht in Stein gemeisselt, dass demokratische Staatsformen den Endpunkt der Geschichte darstellen. Vielleicht bleibt das Erbe der Aufklärung gar eine blosse Episode in der Menschheitsgeschichte. Jedenfalls gibt es weltweit Zerfallserscheinungen grundlegender demokratischer Werte; die Grenzen zwischen Autoritarismus und Demokratie sind bereits ziemlich unscharf geworden. Vielerorts macht sich, in unterschiedlicher Stärke und Ausprägung, ein zwar durch Wahlen abgestützter, aber nationalistisch unterfütterter Autoritarismus breit. Schleichend wird der politische Pluralismus eingeschränkt. Demokratische Institutionen, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Medienfreiheit werden in Frage gestellt. Sind diese klassischen Pfeiler der Demokratie einmal morsch, hat der Autoritarismus leichtes Spiel.

«Signifikante Rückschritte»

Um diese Diagnose zu stellen, reicht es, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Doch man kann den Trend auch wissenschaftlich nachweisen, man kann ihn sozusagen messen. Verschiedene Institutionen tun das, unter anderen auch die Forschungs- und Analyseabteilung der britischen Zeitschrift Economist, die Economist Intelligence Unit (EIU), in ihrem jüngsten Demokratie-Index (Democracy Index 2017). Die Untersuchung wird jährlich seit 2006 durchgeführt. Der Hauptbefund: Die Demokratie hat 2017 weltweit «signifikante Rückschritte» gemacht. Es sei das schlechteste Jahr seit der Finanzkrise von 2008. Wichtige Gründe für diese Entwicklung seien der Niedergang der Pressefreiheit und die Einschränkungen der Meinungsäusserungsfreiheit. Als weitere Ursachen für die Krise der Demokratie werden genannt: schwindende Teilnahme an Wahlen, schwindendes Vertrauen in die Institutionen, schwindender Einfluss der einstigen Volksparteien bei gleichzeitig wachsendem Einfluss nicht-gewählter und nicht-legitimierter Institutionen.

Revolte gegen Mainstream-Parteien

Weltweit geniesst die Demokratie grundsätzlich zwar nach wie vor breite Unterstützung, dies allerdings bei gleichzeitig weit verbreiteter Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie und dem System der politischen Repräsentation. Diese Unzufriedenheit ist gemäss Untersuchung vor allem in den hochentwickelten Staaten verbreitet und erkläre teilweise die «Revolte gegen die Mainstream-Parteien».

Der Economist-Index misst den Grad der Demokratie in 167 Ländern. Er wird anhand von 60 Fragen zu folgenden fünf Faktoren erstellt: Wahlprozess und Pluralismus, Funktionsweise der Regierung, politische Teilhabe, politische Kultur, Bürgerrechte. Die Staaten werden in vier Typen eingeteilt: vollständige Demokratien, unvollständige Demokratien, Hybridregime und autoritäre Regime.

Schweiz unter den Top Ten

Demokratischer Musterknabe ist mit Rang 1 Norwegen, den Schluss der Rangliste ziert Nordkorea. Zu den Top Ten gehört, neben Island, Schweden, Neuseeland, Dänemark, Irland, Kanada, Australien auch die Schweiz; sie liegt zusammen mit Finnland auf Platz 9. Punkte gekostet hat der Schweiz die Rubrik «politische Teilnahme», dies möglicherweise wegen der im internationalen Vergleich tiefen Stimm- und Wahlbeteiligung. Näher ausgeführt wird es jedoch nicht.

Schlechte Noten erhalten auch die meisten osteuropäischen Staaten. Die Gründe liegen in einer schwach entwickelten politischen Kultur, einer chaotischen Übergangsphase nach dem Untergang des Kommunismus, Korruption und Schwierigkeiten bei der Schaffung rechtsstaatlicher Institutionen. Auch weite Teile Asiens haben nach Jahren demokratischen Fortschritts 2017 deutlich rückwärts gemacht.

Die USA sind «unvollständige Demokratie»

Gar nicht gut weg kommt Spanien. Die Demokratie-Forscher kritisieren das repressive Verhalten der Regierung in Madrid gegenüber der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien sehr deutlich. Spanien riskiere damit von einer vollständigen in eine unvollständige Demokratie abzurutschen. Dort sind die USA bereits angelangt – und zwar nicht wegen Donald Trump. Bereits vor seinem Amtsantritt haben die Economist-Forscher die Vereinigten Staaten zur unvollständigen Demokratie erklärt, und zwar wegen dem massiven Verlust von Vertrauen in öffentliche Institutionen, dem extremen, kaum überbrückbaren Graben zwischen den beiden grossen Parteien in wichtigen Fragen und der wachsenden sozialen Polarisierung.

Der tiefe Fall von Trumps Amerika

Ebenfalls hart ins Gericht mit den USA geht ausgerechnet eine Institution, die zu 86 Prozent durch die amerikanische Regierung finanziert wird: Freedom House. Ziel der Organisation ist die Förderung liberaler Demokratien; sie publiziert seit 1973 einen jährlichen Index zu Freiheit und Demokratie. In ihrem jüngsten Jahresbericht vom Januar 2018 beurteilen die Verfasser die Lage in den Vereinigten Staaten als besonders dramatisch: Die USA unter Präsident Donald Trump hätten sich «von ihrer traditionellen Rolle als Champion und Beispiel für die Demokratie verabschiedet». Auch die Grundrechte seien stark unter Druck geraten. Noch hielten zwar Institutionen wie die Presse und die Justiz den heftigen Attacken von Trump stand. Doch der Dauerbeschuss mit Fake-News-Vorwürfen könnten diese Institutionen stark in Mitleidenschaft ziehen.

«Schwerste Krise seit Jahrzehnten»

Michael J. Abramowitz, Präsident von Freedom House, bezeichnet den Niedergang demokratischer Werte in den USA als eine äusserst dramatische Entwicklung. Das Wort Demokratie nehme Trump kaum je in den Mund, vielmehr äussere er «Gefühle der Bewunderung und sogar der persönlichen Freundschaft für einige der ekelhaftesten starken Männer und Diktatoren der Welt». Das sei ein harter Bruch mit der amerikanischen Tradition. Alle Präsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg hätten auch mit autoritären Regierungen zusammengearbeitet, aber nur aus strategischen Gründen; sie haben sich jedoch laut Abramowitz immer klar zu demokratischen Werten bekannt.

Der Freedom-House-Jahresbericht kommt auch für den Rest der Welt zu ähnlichen Schlüssen wie der Economist. Demokratie und Grundrechte haben 2017 «ihre schwerste Krise seit Jahrzehnten» erlebt. Freie und faire Wahlen, Minderheitenrechte, Rechtstaatlichkeit und Pressefreiheit seien weltweit in bisher unbekannter Heftigkeit angegriffen worden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20120107um17_56_48

Die Demokratien im Stress

Die Finanz- und Politkrisen setzen den Demokratien im Westen arg zu. Auch mit der Gewaltenteilung haperts.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

9 Meinungen

  • am 4.02.2018 um 11:46 Uhr
    Permalink

    Warum immer America first! In Bezug auf den Krebsgang der Demokratie ist die Schweiz an erster Stelle zu erwähnen! Switzerland first, diesmal leider negativ.
    Aber die direkte Demokratie wird ohnehin alsbald abgeschafft, die Schweiz geht in die EU und da heisst es in Bezug «Direkte Demokratie» njet, die parlamentarische Demokratie ist angesagt. Wetten dass? Wetten nehme ich gerne entgegen.

  • am 4.02.2018 um 12:17 Uhr
    Permalink

    Die Demokratie ist die Staatsform der Eliten und des Bürgertums, wenn sie keine Angst um ihre Privilegien haben. Der Faschismus wird zur Staatsform, wenn oben Genannte Angst haben, ihre Privilegien zu verlieren.
    Weil sich das Imperium USA bzw. sein Tiefenstaat und seine Vasallen herausgefordert fühlen und weil ihr zutiefst ungerechtes Geldsystem seinem vorhersehbaren Untergang entgegen geht, droht uns heute wieder der Faschismus.
    Russland- und Islam-Bashing sind nur Nebelpetarden, die von der Tatsache ablenken soll, dass es um die Meinungshoheit geht. Unser westliches System steht vor einem Neuanfang.
    Wollen wir die Werte der Aufklärung wie Freiheit, Gleichheit & Brüderlichkeit – und damit die wirkliche Demokratie – verteidigen, dann sollten wir alle Arten von mutigen Zivilgesellschaften unterstützen und gleichzeitig alle Instrumente von Machtkonzentration und autoritärer Führung friedlich ablehnen. Kein Geld für Rüstung & Krieg oder für propagandistische Mainstream-Medien. Dafür Föderalismus, Transparenz, Vollgeld und kommende Mikro-Finanztransaktionssteuer JA und Unterstützung aller Beiträge für eine Völkerverständigung und die Einhaltung des UNO-Gewaltverbots, UNO-Charta Art. 2.
    Die Entscheidung liegt bei jedem einzelnen Menschen, ob wirkliche Demokratie oder Faschismus unsere Zukunft ist.

  • am 4.02.2018 um 13:34 Uhr
    Permalink

    Komisch recherchierter Artikel.
    Demokratie heisst dem Volk gewidmet, im Gensatz zur Plutokratie, dem Geld gewidmet.

    Kanada unter dem Top 10 ? CETA dem Volk gewidmet, kann mir das mal einer erkl�ren ?

    Trump soll die Wende zum negativen in der USA gebracht haben ?
    Demkratie gab es in den USA bis Anfang der 80er Jahre, dann folgte die Reagan Regierung, mit dem asozialen wirtschaftsfeindlichen neoliberalen System. Sozialer Kahlschlag, drastischhe Senkung des Spitzensteuersatzes ( war vorher >70 % )und explodierende Staatsverschuldung, waren die Folge. Welchem Volk war das gewidmet ?
    George Soros sagt dazu, das Festhalten am Markfundamentalismus seit Reagan und Thatcher, f�hrte zu einer Superblase, die nun zu platzen droht. Soros spricht also in Verbidnung mit dem neoliberalen System von Extremismus !
    Die Superblase wird durch die Deregulierung der Finanzm�rkte, durch die Clinton Regierung unterst�tzt. Der deutsche Finanzminister Oskar Lafontaine, wollte zusammen mit der Clinton Regierung, die Fianzm�rkte an die kurze Leine nehmen, da er die Ausma�e voraus sah !

    Presse- und Meinung kann man einschr�nken durch Verbote wie in Osteuropa in der Zeit des Sozialismus oder durch Manipulation, nach den Erkenntnissen von Erdward Bernays.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Bernays

    "Wenn wir den Mechanismus und die Motive des Gruppendenkens verstehen, wird es m�glich sein, die Massen, ohne deren Wissen, nach unserem Willen zu kontrollieren und zu steuern."

  • am 4.02.2018 um 15:44 Uhr
    Permalink

    Na ja, das Wahlsystem in den USA und die Machtfülle des Präsidenten sind völlig veraltet. Komisch, dass sich keine Bewegung dieser Problematik fundamental annimmt.

  • am 4.02.2018 um 17:50 Uhr
    Permalink

    Diese Feststellung stimmt wirklich nur zum Teil. Tatsache ist, dass viele Politiker, also Volksvertreter, die mit den Demokratien jeglicher Färbung, Mühe haben! Sie sind immer weniger bereit, Volksmehrheiten anzuerkennen und umzusetzen, also die Demokratie (nach unserem Verständnis: die Mehrheit des Volkes bestimmt) in teilweise rücksichtsloser, trickreicher Manier, versuchen zu umgehen, abzuschwächen, oder mangelhaft umsetzen. Ich bin wirklich kein «Trump-Fan», doch wüsste ich nicht, welche Diktatoren er «anhimmelt», wie der Auszug aus obigem Text vermuten lässt: «Gefühle der Bewunderung und sogar der persönlichen Freundschaft für einige der ekelhaftesten starken Männer und Diktatoren der Welt».
    Wenn sich Trump als Präsident der USA, zuerst für sein Land einsetzt, ist das genau das, was sein Volk von ihm erwartet! Vielen Politikerinnen und Politiker anderer Staaten würde es gut anstehen, sich etwas mehr auf ihre Ursprungsaufgaben für ihr Land zu besinnen! Viele Medien und deren Macher können immer noch nicht akzeptieren, dass Trump demokratisch gewählt wurde. Ob mit Manipulation oder nicht, ist im Rechtsstaat solange unbedeutend, solange eine Manipulation nicht bewiesen wurde! Es sind offenbar eher die «Hüter der Demokratie», die den Volkswillen in Frage stellen – und schon gar nicht die Völker!

  • am 4.02.2018 um 20:00 Uhr
    Permalink

    Diese Passage der Analyse sagte es recht prägnant: «schwindender Einfluss der einstigen Volksparteien bei gleichzeitig wachsendem Einfluss nicht-gewählter und nicht-legitimierter Institutionen». Nur dahinter versteckt sich auch der immer weiter sich ausdehnende Einfluss der Finanzlobbyisten. Parteimitglieder werden von Interessenvertretern zu Rhethorik-Kursen eingeladen und da natürlich vorgespurt. Es ist traurig, wie zB der gesamte Bundesrat und Städnerat sich nicht mal eigene Gedanken macht über die Vollgeld-Initiative, weil sie es ja mundgerecht vorgekaut und zusammengefasst parat gestellt wird von denen, die sicher keine Veränderung wollen, weil dann mit Vollgeld ja weniger immense Gewinne gemacht werden können. Nicht mal in die Materie selber einlesen scheint nötig zu sein, weil der Mainstream hat seine Meinung schon gemacht und ehrlich zu einer eigenen Meinung stehen ist für die politische Karriere gefährlich. Es muss uns schon ziemlich weh tun bevor wir als Volk aufstehen und Klarheit fordern. Ich freue mich auf die Krise.

  • am 5.02.2018 um 13:34 Uhr
    Permalink

    Musterknabe in Sachen Demokratie ist wohl die EU: die 28 Kommissare sind nicht gewählt, das Parlament hat nicht viel zu sagen, äusserst seltene Volksabstimmungen in Frankreich und Holland zum EU-Verfassungsvertrag, Lissabonvertrag und in Holland zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine werden von der EU nicht zur Kenntnis genommen.
    Hurra, wir sind auch bald in diesem diktatorisch geführtem «demokratischen» Gremium!

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...