Bildschirmfoto20180516um17_23_56Kopie

Trumps Kündigung des Atomvertrags gibt fundamentalistischen Hardlinern Auftrieb © cc

Der US-Präsident verspielt leichtfertig eine einmalige Chance

Toby Matthiesen /  Trump geht auf Konfrontation mit Iran. Die Lehre daraus: Mit einer Atombombe ist man sicher (Nordkorea, Israel), ohne nicht (Iran).

Red. Toby Matthiesen ist Senior Research Fellow für Internationale Beziehungen des Nahen Ostens an der Universität Oxford und Autor mehrerer Bücher zu Saudiarabien und zur Golfregion.

Die Kündigung des Nuklearabkommens mit Iran ist ein strategischer Fehler historischen Ausmasses. Denn das Nuklearabkommen hatte neben dem Ziel, eine iranische Atombombe zu verhindern, auch eine psychologische Dimension: Es war ein erster Schritt hin zu einer Normalisierung der amerikanischen Beziehungen mit Iran. Doch genau diese Rehabilitierung Irans war den Gegnern des Abkommens, Israel und Saudiarabien, ein Dorn im Auge. Sie fürchteten, ihre privilegierte Stellung in der amerikanischen Nahostpolitik zu verlieren.

Doch der Reihe nach. Heute geht oft vergessen: Bis 1979 war Iran neben Israel der wichtigste Verbündete der USA im Nahen Osten. Damals war der Schah Mohammed Reza Pahlevi an der Macht. Er war ein Kalter Krieger, der zusammen mit den Amerikanern in vielen Konflikten mitmischte. Die USA überliessen ihm mehr oder weniger die Kontrolle des Persischen Golfs, nachdem die Briten abzogen waren.

Als 1979 die Iranische Revolution ausbrach, traf dies die Amerikaner besonders hart. Die gesamte Nahost- und Zentralasienpolitik war um Iran herum als zentralen Verbündeten organisiert. Obwohl der Schah und Hunderttausende seiner Getreuen und der alten Eliten nach Amerika flohen und in Iran der religiöse Führer Ayatollah Ruhollah Khomeiny die Macht übernahm, intervenierte der damalige US-Präsident Jimmy Carter nicht. Stattdessen versuchten die Amerikaner, mit dem neuen, sich allmählich formenden Regime die guten Beziehungen aufrechtzuerhalten. Zu wichtig war das Land. Den Amerikanern ging es ­damals vor allem darum, die iranischen ­Kommunisten von der Macht fernzuhalten. Deshalb waren auch 1980 noch zahlreiche Diplomaten und Geheimagenten im Land.

Mit der Besetzung der amerikanischen Botschaft 1980 kam der grosse Bruch zwischen den USA und Iran. 52 Diplomaten waren vor Ort und wurden 444 Tage in Geiselhaft gehalten. Es waren zunächst Studenten und junge Revolutionäre, welche die Botschaft stürmten. Revolutionsführer Ayatollah Khomeiny hatte dies zu Beginn nicht genehmigt. Amerikanische Rettungsversuche scheiterten. Die Geiselnahme führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Für die Amerikaner war das Ganze ein Trauma – die USA wurden vor aller Welt gedemütigt. Überwunden ha­ben sie das nie. Die Geiselnahme hinterliess tiefe Spuren im kollektiven Gedächtnis, vor allem der Diplomaten, Militärs und Geheimdienstler, die nicht akzeptieren wollten, dass ein anderer Staat die Amerikaner so behandelt. Zwischen den Ländern herrscht bis heute ein Ausnahmezustand. Seit dem Abbruch der Beziehungen vertritt die Schweiz im Rahmen der Guten Dienste die USA in Iran und umgekehrt.

Geheime Atomverhandlungen

Während für die Amerikaner die Geiselnahme ein Schock war, entpuppte sich für die Iraner die Botschaft, die sie fortan als Höhle der Spione bezeichneten, als einzige Fundgrube. Die Dokumente, die zwar geschreddert waren, aber von den Iranern wieder zusammengesetzt und umgehend publiziert wurden, gaben Einblick in die engen Beziehungen der USA zum Schah.

Sie belegten, dass die Amerikaner versucht hatten, die iranische Politik nach der Revolution zu beeinflussen. Das weckte Erinnerungen an 1953, als der britische Geheimdienst MI6 und der amerikanische CIA Mohammad Mossadegh wegputschten, weil dieser das ­iranische Öl nationalisieren wollte. (Das Öl wurde dann im Rahmen der Revolution von 1979 nationalisiert.) Es sind diese schlechten Erinnerungen, die jetzt durch das unilaterale Aufkündigen des Abkommens und die israelischen Spionageaktivitäten wieder in der iranischen Bevölkerung geweckt werden.

In den achtziger Jahren setzte sich die Feindschaft fort. Die USA unterstützten den Irak in seinem Angriffskrieg gegen Iran. Nach Khomeinys Tod und mit der Wahl der Präsidenten Rafsanjani und später Khatami, entspannte sich das Verhältnis Irans zu seinen Nachbarn und zu den Amerikanern ein wenig. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA kam es zu Kontakten – im Rahmen der Planung zur Invasion in Afghanistan, wo Iran und die USA gemeinsame Interessen hatten. Doch just als US-Diplomaten mit den Iranern die Zukunft Afghanistans besprachen, setzte Präsident George W. Bush Iran auf seine «Achse des Bösen».

2003 marschierten die Amerikaner im Irak ein und stürzten den Erzfeind Irans, Saddam Hussein. Obwohl Iran eigentlich als nächstes Land auf der Liste stand, entmachteten die USA bloss die antiiranischen Kräfte im Irak und in Afghanistan. Die USA waren sowohl in Irak als auch in Afghanistan mit einem Grossaufgebot vor Ort. Diese physische Präsenz machte sie verwundbar. Deshalb mussten sie mit den Iranern ein Einvernehmen finden.

In dieser Atmosphäre belasteten Vermutungen, dass Iran geheime Atomanlagen betreibe, das Verhältnis. Die ersten, geheimen Kontakte zwischen den Iranern und den Amerikanern zur Beilegung dieses Streits fanden 2009 in Oman statt, einem Land, das zwar auf der Arabischen Halbinsel liegt und Teil des Golfkooperationsrats ist, mit Iran aber gute Beziehungen unterhält.

Saudiarabien verstand nach dem Einmarsch der Amerikaner im Irak die Welt nicht mehr. Der sunnitischen Regionalmacht passten diese Entwicklungen gar nicht. Ihr bester Verbündeter, die USA, hatten gegen ihren Willen Saddam gestürzt und danach den schiitischen politischen Parteien, die oft vorher in Iran im Exil gelebt hatten, zur Macht verholfen. Ein arabisches Schlüsselland sahen sie daher als verloren an, und die USA waren schuld. Als die Saudis dann noch von den Verhandlungen in Oman Wind bekamen, waren sie ausser sich. Sie verstanden die omanische Mediation als Verrat. Oman sollte als Land auf der Halbinsel doch unter ihrem Einfluss stehen und nicht dazu beitragen, Iran aus der Isolation zu verhelfen. Seither sehen die Saudis in der ganzen Region jede Entwicklung nur noch durch eine Schablone: Iran.

Diese Versessenheit auf Iran teilen sie mit den Israeli. Diese sehen Iran als Bedrohung an, obwohl sie ihm militärisch überlegen sind. Diese Asymmetrie, insbesondere in Bezug auf die Nuklearwaffen, wollen die Israeli beibehalten. Israel ist eine Atommacht. Es besitzt illegalerweise, also ausserhalb des Atomwaffensperrvertrages, nukleare Waffen und ist somit die einzige Atommacht im Nahen Osten. Die Israeli fürchten, dass ihre militärische Überlegenheit schwinden könnte, sollte Iran eine Atombombe entwickeln. Israel würde sich mit Iran, das sich gerne als Schutzmacht der Palästinenser aufspielt, in einem Patt ­befinden.

Diese Zusammenhänge dürfen nicht aus dem Blick geraten, wenn jetzt Ministerprä­sident Benjamin Netanyahu ins Kriegshorn bläst, mit der Begründung, Iran habe vor 2003 ein geheimes Atomprogramm betrieben und also in den Verhandlungen gelogen. (Dies ist anscheinend die Haupterkenntnis aus dem vom Mossad gestohlenen Archiv des iranischen Nuklearprogramms.)

Wenn es Israel und Saudiarabien primär darum ginge, die Entwicklung von Atombomben in Iran zu unterbinden, dann sollten sie das Atomabkommen unterstützen, das dies ja zum Ziel hat. Doch es geht ihnen nicht in erster Linie darum. Sie kämpfen vor allem dagegen, dass Iran seinen Einfluss im Nahen Osten ausbauen kann und dass die Amerikaner und Iraner längerfristig eine Normalisierung ihrer Beziehungen zustande bringen.

Trumps Lügen

Spätestens seit Trumps Rede zum Austritt aus dem Atomvertrag steht es schlecht um die Normalisierung. Die Rede, die den Bruch mit dem Atomabkommen erklären sollte, enthielt etliche faktische Fehler. Der US-Präsident behauptete, Iran arbeite daran, die Bombe zu bauen. Die internationale Atomenergieagentur bestätigt, dass Iran jedoch das Atomprogramm eingefroren hat und seinen Teil des Abkommens einhält. Die rigorosen Inspektionen sind erst durch das Abkommen möglich geworden.

Der Bruch des Nuklearabkommens war ein Wahlkampfversprechen Trumps, und er führt damit seinen Plan, die wichtigsten Errungenschaften der Obama-Jahre rückgängig zu machen, weiter. Das Atomabkommen mit Iran war zusammen mit der Öffnung gegenüber Kuba der grosse aussenpolitische Erfolg Obamas. Der Deal konnte auch nur in einer Konstellation zusammenkommen, in der sowohl in Amerika wie in Iran Hardliner nicht in der Lage waren, die Verhandlungen zu sabotieren. Denn sowohl in Amerika wie in Iran gab es von Anfang an negative Stimmen.

In Iran ist die Zukunft des Atomabkommens stark mit der Zukunft der sogenannten Reformer verwoben. Diese hatten sich vom Vertrag wirtschaftliche Verbesserungen erhofft, die jedoch nicht eingetreten sind. Der Rial bricht immer weiter ein, in den letzten Wochen noch einmal stark. Und die westlichen Grossbanken haben sich mehrheitlich geweigert, Geschäfte mit Iran abzuwickeln. Sie fürchteten sich davor, dass sie innerhalb kürzester Frist wieder aus dem Iran-Geschäft aussteigen und eventuell in den USA hohe Bussen zahlen müssen. Genau dieses Szenario ist nun eingetreten.

Der neue amerikanische Botschafter in ­Berlin, Richard Grenell, forderte nach Trumps Rede die grossen deutschen Firmen auf, sich umgehend aus Iran zurückzuziehen. Dies kam in Deutschland gar nicht gut an. Denn zum einen sieht Deutschland das Abkommen ­weiterhin als Garantie dafür, dass Iran keine Atombombe baut. Es will deshalb am Abkommen festhalten. Zum anderen sieht es Iran als potenziell wichtiges Absatzland für deutsche Produkte an.

Trump hat die Europäer, allen voran die Mitträger des Abkommens, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien, desavouiert mit seinem Entscheid. Dies könnte folgenreich sein. Es wird den Europäern einmal mehr gezeigt haben, dass auf die USA im Moment kein Verlass ist und dass die Amerikaner wichtige internationale Verträge zu brechen bereit sind. Das Nuklearabkommen war nicht zuletzt das Resultat eines transatlantischen Efforts und eines Dialogs mit Russland und China. Als das Abkommen nach langen Verhandlungen in Genf und Lausanne in Wien unterzeichnet wurde, standen die Zeichen auf Entspannung. Das Ganze war ein Erfolg für die Diplomatie.

Dass jetzt die alten Bedrohungsszenarien des «bösen» Iran, die über Jahrzehnte die amerikanische Nahostpolitik mitbestimmt haben, wiederbelebt werden, ist beängstigend. Trump scheint zu glauben, mit Iran wie mit Nordkorea umspringen zu können. Zuerst droht er dem als «verrückten Raketenmann» beschriebenen Kim Jong Un mit einem nuklearen Erstschlag. Ein paar Monate später will er ihn treffen und hofft, dass dieser die Atomwaffen, die er hat, wieder vernichtet. Mit Iran wird diese Rhetorik und diese hemdsärmelige Umgangsweise aber wohl kaum funktionieren. Iran ist ein Land, das über Jahrzehnte internationalen Sanktionen getrotzt und seinen Einfluss diesen zum Trotz in der gesamten Region ausgebaut hat.

Die Lehre aus Trumps Verhalten ist folgende: Mit einer Atombombe ist man sicher (Nordkorea, Israel), ohne Bombe nicht (Iran). Anstatt auf internationales Recht und Diplomatie setzt Trump auf «The Art of No Deal» und Unberechenbarkeit. Das ist gefährlich, vor allem wenn es um die Verbreitung von Nuklearwaffen geht.
—————————————————————————–
Diese Analyse von Toby Matthiesen erschien am 13. Mai in der «NZZ am Sonntag»

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20170115um09_51_27

US-Politik unter Donald Trump

Weichenstellungen: An seinen Entscheiden ist Trump zu messen, nicht an seinen widersprüchlichen Aussagen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...