Kommentar

75 Jahre UNO: Anlass zum Feiern?

Andreas Zumach © zvg

Andreas Zumach /  Ist der Multilateralismus gescheitert? Anlässlich der 75 Jahr-Feier wird diese Frage häufiger als je zuvor gestellt.

Es passt eigentlich gut, dass eine grosse Jubiläumsfeier in New York wegen der Corona-Pandemie ohnehin nicht in Frage kommt und die heute beginnende Generalversammlung nur virtuell stattfindet.
Nach wie vor steht die Frage „Reform oder Kollaps“ der Weltorganisation im Raum, die bereits zu ihrem 50. und ersten runden Geburtstag nach Ende der globalen West-Ost-(Un)ordnung aufgeworfen wurde. Zehn Jahre später, zum 60., begrüsste die Generalversammlung zwar eine Vorlage von Generalsekretär Kofi Annan mit 101 Reformvorschlägen. Doch davon haben die 194 Mitgliedsstaaten bis heute kaum zehn Prozent umgesetzt.
Eine Reform des Sicherheitsrates, die über 90 Prozent der UNO-Mitglieder seit langem für notwendig halten, scheitert nicht nur am Unwillen der drei grossen Vetomächte USA, China und Russland. Auch Frankreich und Grossbritannien sind nicht bereit, ihr Privileg auch nur einzuschränken, etwa durch Umwandlung ihrer beiden nationalen ständigen Ratssitze in Sitze für die EU, die deren Mitglieder dann im Rotationsverfahren wahrnehmen würden. Zudem haben vier der fünf Vetomächte seit Anfang des Jahrtausends durch ihre gravierenden Brüche und die Missachtung des Völkerrechts im Irak, auf der Krim und im Asiatischen Meer die UNO erheblich geschwächt und ihr Ansehen beschädigt. Hinzu kommen das nun schon neun Jahre andauernde Versagen des Sicherheitsrates im Syrienkonflikt sowie das kooperationsunwillige und offen UNO-feindliche Verhalten ihres (bislang noch) mächtigsten Mitgliedstaates USA seit Anfang 2017.
Doch bei aller verständlichen Bedrückung über das globale Chaos, die scheinbar machtlose UNO sowie ihre unzureichenden Reformen sollten ihre Leistungen und Erfolge nicht vergessen und übersehen werden. Ohne diplomatische Vermittlung durch die UNO wären in den letzten 75 Jahren noch mehr Konflikte zu Kriegen eskaliert, möglicherweise sogar unter Einsatz von Atomwaffen. Ohne die humanitären Organisationen der UNO wären hunderte Millionen überlebender Opfer von Gewaltkonflikten und Naturkatastrophen nicht versorgt worden. Im Rahmen der UNO vereinbarten die Mitgliedsstaaten zudem inzwischen tausende von Normen und Verträgen zu Menschenrechten und Völkerrecht, Rüstungskontrolle und Abrüstung, Sozial- und Arbeitsstandards sowie zu Gesundheits-, Arten-, Umwelt- und Klimaschutz. Die Weltorganisation ist trotz all ihrer Unzulänglichkeiten keineswegs überflüssig geworden. Und niemand hat bislang eine bessere und zugleich realistische Alternative präsentiert.


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