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Blick-Schlagzeile: Irreführende Werbung für die Tabakindustrie © ringier

«Fake News» über die Schweizer Tabakindustrie

Red. /  Grosse Medien haben irreführende Informationen über Exporterfolge der Tabakkonzerne verbreitet. Diese können sich freuen.

Am 10. Februar hatten viele Schweizer Zeitungen einen Artikel mit ähnlichem Inhalt verbreitet:
«Araber lieben Schweizer Zigis» («Blick»),
«Scheichs lieben Schweizer Zigaretten» («Freiburger Nachrichten»),
«Arabische Raucher schwören auf Schweizer Zigaretten» («Berner Zeitung») oder
«Araber stehen auf Schweizer Zigaretten» («20Minuten»).
Dem Schweizer Publikum wurde der Mythos eingeprägt, dass die Tabakindustrie eine wichtige Exportbranche und eine wichtige Arbeitgeberin sei.
Zur Erinnerung: Die Schweiz hält sich als einziges Land in Europa nicht an das WHO-Übereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums. Das erlaubt den Tabakkonzernen in der Schweiz, in die Ostländer, nach Asien und Afrika «swiss made»-Tabakprodukte zu exportieren, die durch ihren höheren Nikotingehalt noch leichter abhängig machen, und die nirgendwo sonst in der westlichen Welt produziert und exportiert werden dürfen. (Siehe Infosperber vom 12. Dezember 2016: «Den Tabakkonzernen zu Diensten: FDP, SVP und NZZ».) Die «Berner Zeitung» hat in ihrem Artikel darüber informiert.

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Red. Pascal Diethelm, Präsident von Oxyromandie, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für eine rauchfreie Umgebung einsetzt, hat die Anfang Februar verbreiteten Artikel analysiert und eine Reihe von Irreführungen und Unwahrheiten aufgedeckt. Die folgende Zusammenfassung auf deutsch stammt von Rainer M. Kaelin, Arzt für Innere Medizin und Pneumologie, ehemaliger Vizepräsident der Lungenliga Schweiz. Den Originalartikel von Diethelm auf französisch fügen wir unten als PDF an.
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Die kursiv gesetzten Irreführungen und Unwahrheiten im Einzelnen
«In dreissig Jahren haben die Zigarettenhersteller ihre Exporte beinahe verdoppelt.»
Diese Aussage trifft nur zu, wenn man den Beginn der Exporte mit dem Höhepunkt in 2008 vergleicht. Seither nehmen die Exporte aber ab. Wenn man die 44’000 Tonnen exportierter Zigaretten von 2011 mit den weniger als 25’000 Tonnen von 2016 vergleicht, kommt jeder Primarschüler auf eine Abnahme von 44 Prozent.
«Die Schweizer Produktion ist sehr gesucht in Marokko, Bahrein und Saudi Arabien.»
Dies trifft nur für Marokko zu. Nur die Exporte in dieses Land haben seit 2010 regelmässig zugenommen (sie waren vorher unbedeutend). Demgegenüber sinken die Exporte seit 2013 nach Bahrein, und noch mehr seit 2011 nach Saudi-Arabien. In den Artikeln nicht erwähntes Detail: Marokko ist das einzige arabische Land, welches die WHO Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle nicht ratifiziert hat.
«Allein für Bahrein hat der Wert der exportierten Schweizer Zigaretten seit 1988 um den Faktor 54 auf 51 Millionen CHF zugenommen.»
Diese Aussage ist grob irreführend, weil sie nicht mehr aktuell ist: Seit 2013 haben sich die Exporte von 3100 Tonnen auf 2250 Tonnen im Jahre 2016 verringert, was einer Reduktion von 28 Prozent entspricht. (Die Angabe in Tonnen ist aussagekräftig, weil Angaben in Preisen von Wechselkursen, Preisänderungen, Steuern usw. abhängen.)
Die Exporte nach Bahrein haben in den letzten Jahren ab- und nicht zugenommen:

Auch die gesamten Exporte von Zigaretten gingen seit 2011 stark zurück:

Produktion mit Exporten verwechselt
«In der Schweiz werden jährlich 28 Milliarden Zigaretten produziert.»
Diese Aussage ist falsch: 28 Milliarden Zigaretten wurden im Jahr 2015 exportiert. Produziert wurden 37,7 Milliarden Zigaretten. Die Produktion ist ziemlich schwankend , aber im Trend abnehmend: Im Jahre 2011 waren es noch 44,3 Milliarden, im Jahre 2014 noch 30,3 Milliarden Zigaretten, die mit dem zum allergrössten Teil importierten Tabak in unserem Land produziert wurden.
«Die Tabakriesen Philip Morris in Serrières, British American Tobacco Switzerland in Boncourt (JU) und Japan Tobacco International in Dagmersellen dominieren den Markt und beschäftigen 4800 Angestellte.»
Die ist eine irreführende Darstellung: Tatsächlich beschäftigen diese Zigarettenhersteller nach ihren eigenen Angaben in der Schweiz 4800 Angestellte. Aber nur 1200 davon an den genannten Produktionsstätten. Diese sind hochgradig automatisiert. Der Grossteil ihrer Angestellten arbeitet in den Büros von Genf und Lausanne, die wie alle multinationalen Hauptquartiere von den Steuer- und anderen Vorteilen unseres Landes profitieren.

Wirtschaftliche Bedeutung der Tabakkonzerne in der Schweiz nimmt ab

Die kritische Analyse der Zahlen zeigt, dass der Standort Schweiz als Produktionsort der Zigaretten-Konzerne abnehmende Bedeutung hat, weil anderswo billiger produziet werden kann, und weil der Tabakkonsum weltweit zurückgeht.
Die Anfang Februar gezielt gestreuten und von grossen Medien verbreiteten Artikel sollten offensichtlich die poltischen Entscheidungsträger beeindrucken, welche den Drohungen mit Arbeitsplatzverlusten fast alles zu opfern bereit sind, auch die Interessen der Volksgesundheit. Die meisten der hier kritisierten Artikel hat die Tamedia-Gruppe verbreitet.
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NACHTRAG
Infosperber hatte vorerst den Vorwurf erhoben, es sei PR-Strategen der Schweizer Tabaklobby gelungen, irreführende Artikel zu platzieren. Grosse Medien hätten sich instrumentalisieren lassen. Dieser Vorwurf war nicht belegt. Die «Berner Zeitung» teilte uns mit: «Ausgangspunkt der Geschichte war die Bemerkung eines Vertreters aus der Berner Wirtschaft, dass die Schweiz im grossen Stil Zigaretten in den arabischen Raum exportiert. Dieser hatte aber keinen Bezug zur Tabaklobby. Diese Aussage hat unsere Neugier gepackt und wir gingen dem Sachverhalt nach.»
Infosperber hat den Artikel am 6. März um 16.00 Uhr angepasst.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Pascal Diethelm ist Präsident von Oxyromandie, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für eine rauchfreie Umgebung einsetzt. Der Arzt Rainer M. Kaelin ist Oxyromandie-Vizepräsident.

Zum Infosperber-Dossier:

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Kritik von Zeitungsartikeln

Printmedien üben sich kaum mehr in gegenseitiger Blattkritik. Infosperber holt dies ab und zu nach.

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3 Meinungen

  • am 6.03.2017 um 13:42 Uhr
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    Wenn eine Branche oder Industrie es nötig hat, Irreführungen oder Behauptungen via Medien zu verbreiten, hat das meist seinen Grund im Produkt, das einen zweifelhaften Ruf hat.

    Ob Schweizer Zigaretten «begehrt» sind oder «die Nachfrage gross ist» oder «ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist» – diese Aussagen sind bloss Meinungen oder Einschätzungen, kolportiert von einem Journi oder Werbetexter, aber sicher keine Tatsachen. Halt «Fake News» wie man Neudeutsch Gerüchte bezeichnet.

    Tabakerzeugnisse sind unabhängig von der Herkunft massivstens gesundheitsschädlich und schaden der Volksgesundheit. Ihre Wirtschaftsbilanz ist negativ. Das heisst die Produkte erzeugen mehr Kosten&Schaden als Umsatz&BIP.

    "Qualitätsmedien» haben es in der Hand, der redaktionellen Boulevard-Tabak-Werbung medial auf die Finger zu schauen – sorry – zu hauen.

  • am 6.03.2017 um 15:44 Uhr
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    Herr Peter Müller, hier liegt ein kleiner Irrtum vor:
    Gesundheitsschäden können leider sehr wohl das BIP steigern, nämlich wenn sie von der Krankheits- und Pharmabranche behandelt werden. (Vorzeitiges Ableben hingegen nicht, das bedeutet ja den «Ausfall» eines Konsumenten aller möglichen Produkte +Dienstleistungen …)

  • am 6.03.2017 um 15:59 Uhr
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    Herr Nägeli, Richtig, Darum muss die Tabaksteuer für die Gesundheitskosten verwendet werden. Sicher nicht für die Alten die noch älter werden weil sie nicht rauchen. Warum ist denn die Tabaklobby nicht dafür?

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