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Wikileaks-Gründer Julian Assange auf dem Balkon der Botschaft von Ecuador in London © Snapperjack/Wikimedia Commons/CC BY-SA 2.0

Der Vordenker

Red. /  Schon 2006 hat Wikileaks-Gründer Julian Assange über einen Hacker-Angriff auf eine US-Partei nachgedacht.

Zehn Jahre vor dem Hacker-Angriff auf die US-Demokraten stellte sich Wikileaks-Gründer Julian Assange vor, was ein Angriff auf eine US-Grosspartei bewirken könnte.
Wir wissen nicht, wer die Computerdaten der US-Demokraten und ihrer gescheiterten Präsidentschaftskandidatin Clinton geknackt hat, und ob die Russen dahinter stecken, wie die Geheimdienste versichern, wird schlüssig wohl erst zu beantworten sein, wenn in Moskau irgendwann in den nächsten Jahrzehnten wieder einmal Archive geöffnet werden sollten.
Deutlicher sind Weltanschauung und Absichten der Vervielfältiger und Verteiler. Das ist namentlich die Organisation Wikileaks, welche das politisch aufgeladene Material aus der E-Mail-Korrespondenz von Clinton und den Parteioberen in gut getakteten Dosierungen an die Öffentlichkeit getragen hat. Ein Artikel von Jim Rutenberg, in der «New York Times» (2010 selbst Empfängerin von Wikileaks-Material aus diplomatischem E-Mail-Verkehr des US State Department) weist auf einen zehn Jahre alten Text von Wikileaks-Gründer Julian Assange hin, in welchem die Wirkung eines Hacker-Angriffs auf eine der beiden grossen US-Parteien ausgemalt wird.
Assange, unter Anklage in Schweden und aus Furcht vor einer Auslieferung in die USA seit Sommer 2012 mit Asylrecht in der ecuadorianischen Botschaft in London (die UNO nennt es offiziell «willkürliche Festsetzung»), schrieb im Dezember 2006 in einem Text für das Internet: «Nehmen wir zwei gleichgewichtige und in breitem Ausmass verschwörerische Machtgruppen, die Demokratische und die Republikanische Partei in den USA. Überlegen wir, was passieren würde, wenn eine dieser Parteien ohne ihre Mobiltelefone, Fax und E-Mail-Korrespondenz dastünde, ganz zu schweigen von den Computersystemen, welche ihre Abonnenten, Gönner, Budgets, Umfrage, Telefonzentralen und Postversand-Systeme managen. Sie würde unverzüglich in eine organisatorische Lähmung fallen und gegen die andere Partei verlieren.»
Angriff auf Machtstrukturen
Das weist Richtung Sabotage und ist im US-Wahlkampf kein Thema. Die Demokratische Partei wurde – wie sehr, ist umstritten – zurückgeworfen, weil Wikileaks Vertrauliches öffentlich machte, zum Beispiel die Machenschaften der Parteiführung gegen den unliebsamen, weil zu linken, Gegenkandidaten Sanders. Auch ein solches Verfahren wird von Assange in einem Dreischritt begründet und skizziert.

  • Schritt eins ist die Standortbestimmung: Wir leben im «modernen Kommunikationsstaat», der uns, die Bevölkerung mit «Ungerechtigkeiten» überschwemmt. Er ist autoritär und muss notgedrungen «verschwörerisch» agieren, da wir, das Volk, es nicht goutierten, wenn seine schlechte Regierungsführung («governance») offen betrieben würde. Neue Kommunikationstechnologien ermöglichen das in ungekanntem Ausmass – wir, das Volk, sind einer gigantischen Verschwörung ausgesetzt.
  • Schritt zwei steckt das Ziel: Wir, das Volk, müssen handeln und in «nobler und wirksamer Aktion» die «Strukturen ersetzen, die zu schlechter Regierungsführung führen». Wir müssen «starken Widerstand gegen autoritäre Absichten» und «kräftige Anreize für humanere Formen der Regierungsführung» aufbauen.
  • Schritt drei erklärt, wie das gehen kann: Es gilt, die «Verschwörungen» hinter den «autoritären Machtstrukturen» zu lähmen. Dabei ist im Auge zu behalten, dass wir es nicht mit einer einzigen Verschwörung zu tun haben, sondern mit vielen ineinandergreifenden, von je unterschiedlichem Stellenwert. Wie weiland Mao Tse-tung, der die Unterscheidung von «Haupt- und Nebenwidersprüchen» verordnete, unterscheidet Assange zwischen Verschwörungen von hohem und solchen von minderem Gewicht. Gemeinsam bilden sie einen grossen Zusammenhang, die «autoritäre Verschwörung als Ganzes», ein «System von interagierenden Organen».

Die Bestie erlegen

Assange sieht das buchstäblich organisch, wie einst die faschistischen Denker: Das System ist «ein Tier mit Arterien und Venen, deren Blutfluss verdickt und verlangsamt werden kann, bis es fällt». Wie also ist die Bestie zu erlegen? Das Nächstliegendste ist Töten, und Assange stellt nüchtern fest, dass Verschwörungen verschwinden, wenn die Verschwörer tot sind. Diesseits von Mord und Totschlag bieten sich andere Eingriffe in den Kommunikationsfluss an: Verwirrung, Täuschung, Drosselung.
Verschwörungen, doziert der Programmierer und Mathematiker (ohne Uni-Abschluss) Assange, seien als «kognitive Geräte» zu verstehen, welche Informationen von aussen aufnehmen (Input), sie als Datenverarbeitungsnetz («computational network») in Handlungsabsichten umsetzen und danach ihre Umwelt manipulieren (output). Da dem «output» selbst nichts entgegengesetzt werden kann, muss bei der kommunikativen Vorbereitung angesetzt werden: «Wir können eine Verschwörung täuschen oder blenden, indem wir ihre verfügbare Information verzerren oder begrenzen. Wir können die Gesamt-Verschwörungskraft (total conspiratorial power) durch unstrukturierte Angriffe auf Links oder durch Drosselung und Spaltung reduzieren».
In Julian Assanges Vorstellungswelt ist das politische System der USA ein Ganzes und sind die beiden Grossparteien zwei Arme desselben Organismus. Deshalb das eingangs erwähnte Beispiel: Republikaner und Demokraten sind «zwei verschwörerische Machtgruppen» – einfacher ausgedrückt Hans was Heiri. Gelingt es, eine von ihnen kommunikativ zu kastrieren, wird das «System» als Ganzes geschwächt.
«Chancen zum Wandel»
Soweit die Theorie. Die zehn Jahre ausgeführte Praxis fand in einem spezifischen Umfeld statt, gegeneinander standen die Establishment-Figur Clinton gegen die beiden Aussenseiter Sanders (ihr parteiinterner Rivale) und Trump (der schliessliche Sieger). Hans was Heiri? Egal, wer da gewann? Nicht für Julian Assange. In einem Interview mit der italienischen Zeitung «La Repubblica» erklärte er kurz vor Weihnachten: «Hillary Clinton’s Wahl wäre eine Konsolidierung der Macht der bestehenden herrschenden Klasse in den USA gewesen. Donald Trump ist kein District of Columbia Insider, er ist Teil der besitzenden herrschenden Klasse in den USA, und er schart ein Spektrum von anderen reichen Leuten und mehreren idiosynkratischen Persönlichkeiten um sich. Sie allein sind keine bestehende Struktur, also haben wir es mit einer schwachen Struktur zu tun, welche das bestehende zentrale Machtnetz im District of Columbia ersetzt und destabilisiert. Eine neue Patronagestruktur wird sich rasch entwickeln, aber die momentane Ungefestigtheit bedeutet Chancen zum Wandel in den Vereinigten Staaten: Wandel zum Schlechten und Wandel zum Guten».
Welchen «Wandel zum Guten» Julian Assange mit der Trump-Regierung aufkommen sieht, wissen wir nicht. Der Journalist von «La Repubblica» hatte nicht gefragt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Wahlkreise werden willkürlich festgelegt. Lobbys greifen ein. Viel Lärm um Einfluss aus dem Ausland.

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Eine Meinung zu

  • am 12.01.2017 um 10:04 Uhr
    Permalink

    Welchen (möglichen) «Wandel zum Guten»:

    – Fefe (Humanist und bekannter Blogger):
    Echte Wandel wurden bis anhin meist durch die jeweilig ideelle Gegenpartei ermöglicht. (In Deutschland konnte nur eine Linke Regierung (Schröder/Fischer) Agenda 2010 durchbringen. Auch der deutsche Tabubruch durch die Teilnahme am Angriffskrieg gegen Serbien war wohl gesellschaftlich nur mit solch einer Regierung möglich. Eine Rechtsliberale Regierung wär an Linker Opposition gescheitert!)

    > Kurz: Ein vermeintliche Republikanischer Präsident kann wohl nur Demokratischen Werten zum Durchbruch verhelfen.

    – Neue Köpfe in Verwaltung:
    Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass die sogenannten Falken in DC in beiden Parteien verankert sind.
    Daher kann durch Trump erstmalig seit längerm ein echter, demokratisch wichtiger Wechsel in DC erfolgen. Was möglicherweise die Vetternwirtschaft etwas reduziert. Dazu gehört auch, dass keiner der üblichen verdächtigen Trump bei der Wahl behilflich war, – daher Trump auch keine «Geschenke» machen muss.

    > Bezeichnend dafür ist zur Zeit das Verhalten der Falken die an vorderster Front mit Unterstützung der Medien und Obama-Administration eine regelrechte Kampagnen gegen Trump fahren.

    Keiner kann sagen wie ein Trump agieren wird. Nur die schon pathologisch vor Trump Warnenden, erscheinen mir in ner Art EchoKammer gefangen.

    Zum Sieg Trumps, Soziologe Stefan Schulz:
    – Dieser wurde doppelt durch Clinton/DNC ermöglicht! Durch Ausbremsen Sanders, Fixierung auf Trump.

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