Kommentar

Vom Ende des Bannwalds der Demokratie ?

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Hans Ulrich Jost /  Fakten und Beobachtungen zu Demokratie und Pressevielfalt.

Red. Der emeritierte Geschichtsprofessor Hans Ulrich Jost studierte in Zürich und Bern Geschichte und Soziologie. Von 1981 bis 2005 lehrte er an der Universität Lausanne Neuere Allgemeine Geschichte und Schweizer Geschichte.

Zur schweizerischen patriotischen Rhetorik zählen Parolen wie «Freies Land und freie Presse», oder «Pressevielfalt, Grundlage der pluralistischen Öffentlichkeit und der Demokratie». Dass die Wirklichkeit diese Floskeln längst hinfällig werden liess, hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte deutlich gezeigt. Der Untergang wichtiger Blätter, zuletzt das Magazin L’Hebdo in der welschen Schweiz, nagt ernsthaft an der Pressevielfalt. Ähnliche Folgen zeigen die Übernahmen lokaler Blätter durch die zwei dominierenden Konzerne, Tamedia und Ringier. Dahinter steht der Rückgang der Einnahmen aus Inseraten, der zu massiven Verkleinerungen der Redaktionen führte. Von Meinungsvielfalt ist, wenn man noch den belanglosen Einheitsbrei der Gratispresse mit einbezieht, keine Rede mehr.

Blätterwald – geschüttelt von Stürmen, Lawinen und Strukturwandel

Vor rund zwanzig Jahren schon hat die NZZ dieses Problem kommentiert. Unter dem Titel «Rodungen im Bannwald der Demokratie» (28./29.12.1996) wurde auf den schweren Stand der Presse eingegangen. Vergleiche mit Naturgewalten – wie etwa «jetzt stürzt die nächste grosse Lawine auf den Blätterwald» – sollten die schwierige Lage illustrieren. Auch zehn Jahre später wird zu ähnlichen Metaphern gegriffen («Der Blätterwald im Sturmwind», NZZ 15./16.9.2007). Dabei ist sogar von «Blutbad» und «Götterdämmerung» die Rede.

Doch schon im Beitrag von 1996 wurde beruhigt. Der «Bannwald der Demokratie», heisst es, habe «bereits mehrere Stürme gut überstanden». Mit diesen an Gotthelf gemahnenden aufmunternden Worten geht der NZZ-Schreiber dann zum neusten Stand der Presse über. Er spricht von wirtschaftlich bedingtem «Strukturwandel» — das tönt schon viel objektiver und «liberaler» als «Rodungen im Bannwald der Demokratie» —, dem die Verleger sich nicht entziehen könnten. Nun ist es nicht mehr der Sturm, aber die Naturgewalt des Marktes, die den Zeitungen zusetzt. Schliesslich fügte der Autor noch eine die Vielfalt und die Freiheit betreffende Warnung hinzu: «Der unternehmerische Wettbewerbsdruck darf nicht dazu führen, dass letztlich der publizistische Wettbewerb verkümmert. Mit andern Worten: Die noble Aufgabe der politischen Presse, die Vielfalt der Meinungen zu widerspiegeln und damit die freie Debatte zu ermöglichen, ist trotz allen wirtschaftlichen Zwängen stets im Auge zu behalten.»

Links mehr Wähler als Auflage, rechts mehr Auflage als Wählerinnen

Der Einbruch der Inseratenaufträge verschärfte jedoch die wirtschaftlichen Zwänge. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gingen diese um die Hälfte zurück , und das war nur der Anfang. Die NZZ betonte nun in einem Grundsatzartikel («Es gibt ein Leben nach der Todesanzeige», NZZ 3./4. Dezember 2005), dass die «Krise der Tagespresse […] demokratiepolitisch zweifellos bedeutsam» sei. Sie schloss ihre Betrachtungen mit der Feststellung, dass «die Journalisten als Wachhunde der Demokratie und Anwälte des Staatsbürgers zusehends zu Dienstleistern der Konsumenten» degradiert würden. Schuld daran seien die «Protagonisten der McDonald’s-Publizistik», die keine «staatspolitischen Verpflichtungen» kennen. Man könnte, mit andern Worten, auch sagen, der freie Markt schaufle das Grab der für die Demokratie lebenswichtigen Presse.

Doch die Meinungspluralität war schon in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wie Schnee in der Sonne geschmolzen. Der erste grosse Einbruch dieser Pluralität erfolgte am linken Rand. Zwar war die linke Presse schon immer eine marginale Erscheinung – aber es gab sie wenigstens. Um 1900 waren sieben Prozent der politischen Zeitungen sozialdemokratisch, 1930 waren es noch fünf Prozent – heute jedoch praktisch null. Die Wählerstimmen der Linken übertrafen etwa drei Mal die Auflagengrösse ihrer Zeitungen. Im bürgerlichen Lager war es genau umgekehrt: Die Auflagen ihrer Blätter war mindestens drei Mal grösser als ihre Wählerstimmen. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts bezeichneten sich 95 Prozent der Parteipresse als «bürgerlich». In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfügte der Freisinn über 40 Prozent der Parteipresse, während die Sozialdemokraten unter die 5-Prozent-Marke fielen.

Einheitsbrei und braune Suppe

Die sogenannten «wirtschaftlichen Zwänge» des allmächtigen Marktes hatten dann am Ende des 20. Jahrhunderts den letzten sozialdemokratischen Blättern endgültig den Todesstoss versetzt. Als letzte der traditionsreichen Zeitungen der Linken ging 1997 die Berner Tagwacht ein. Zehn Jahre zuvor, als die sozialdemokratische Parteipresse schon im Sterbebett lag, beschuldigte die NZZ sie der «ideologischen Verblendung und Verbohrtheit» (NZZ 11./12.04.1987). Diese sei, so die NZZ, wesentlich für ihren Untergang verantwortlich. Die bürgerliche Presse konnte schliesslich das 21. Jahrhundert in einer am linken Rand gesäuberten Presselandschaft beginnen.

Im oben genannten NZZ-Artikel von 1996 heisst es, unser Land sei «vor einem Einheitsbrei» zu bewahren. Doch der «Einheitsbrei» war schon im 20. Jahrhundert weit fortgeschritten. Verschiedene Institutionen halfen mit, diesen Brei zu kochen. Da wäre einmal die Schweizerische Depeschenagentur (SDA). Von der bürgerlichen Presse 1894 gegründet, übernahm sie mehr oder weniger freiwillig die Parolen der bürgerlichen Politik. Kleines pikantes Detail: Während des Kalten Krieges wurden der Linkslastigkeit verdächtigte Journalisten vom Direktor der SDA persönlich zwecks Fichierung der Bundespolizei gemeldet.

Ein anderer Koch, der diese Suppe mit anrichtete, war die sogenannte, 1917 ins Leben gerufene Mittelpresse, die insbesondere viele kleine, finanzschwache Blätter kostengünstig versorgte. Diese von der Wirtschaft unterstützte Presseagentur segelte dann in der Zwischenkriegszeit im Kielwasser der rechtsradikalen und nazifreundlichen Bewegungen. Es wurde eine braune Suppe serviert, die, mangels eigener Ressourcen, von zahlreichen kleineren bürgerlichen Zeitungen übernommen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg nannte sie sich, um die braunen Flecken zu verbergen, Schweizerische Politische Korrespondenz (spk). 200 Zeitungen, vom Aargauer Tagblatt bis zur Zürichsee-Zeitung servierten sich am ideologisch scharf gewürzten Einheitstopf dieser Küche.

Deutungshoheit des Marktes statt Bannwald der Demokratie

Bei der heutigen Pressekrise steht nicht einmal mehr die Forderung «bürgerlich» im Vordergrund. Die brutale Marktlogik hat selbst die traditionellen bürgerlichen Grundwerte jener Presse hinweggefegt, die eigentlich die demokratische Meinungsbildung ermöglichen sollte. Der Markt frisst auch jene, die ihn bewundern. Meinungsvielfalt, kritische Transparenz oder Bildung zählen nicht zu den Grundwerten der «McDonald’s-Publizistik».

Es ist zudem zu erwarten, dass die Monopolisten, das heisst die grossen Medienkonzerne, auch noch die letzten Bollwerke einer nicht den «Marktkräften» unterworfenen Informationslandschaft schleifen. Die in den letzten Wochen lancierten Angriffe auf die SRG beziehungsweise die Radio- und Fernsehkonzessionen sind nur Vorgeplänkel grösserer Schlachten, die in den nächsten Jahren zu erwarten sind.

Qualitätsjournalismus dürfte allerdings nicht ganz verschwinden. Man kann beispielsweise davon ausgehen, dass Blätter wie die NZZ für sich in Anspruch nehmen, «die noble Aufgabe der politischen Presse» und die «Vielfalt der Meinungen» zu wahren. Ihr könnte es auch gelingen, mit den der Presselandschaft zusetzenden Marktkräften pflegefreundlich umzugehen. Dazu gehört eine subtile Strategie. Sie besteht darin, im politischen und wirtschaftlichen Teil dogmatisch der Ideologie der «Marktkräfte» zu huldigen, im Feuilleton und Kulturbereich für den gebildeten linksliberalen Leser eine anspruchsvolle Spielwiese zu pflegen. Das schafft Meinungsvielfalt, aber auch Deutungshoheit – zumindest für eine zahlungskräftige Leserschaft.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob damit tatsächlich eine für die Demokratie fruchtbare publizistische Vielfalt gewahrt wird. Geht es hier nicht vielmehr um die Etablierung einer in einem einzigen Blatt vereinigten Deutungshoheit, die nichts mit Pressevielfalt zu tun hat ? Von einem «Bannwald der Demokratie» kann jedenfalls kaum mehr gesprochen werden.


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6 Meinungen

  • am 15.04.2017 um 13:27 Uhr
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    "Man kann beispielsweise davon ausgehen, dass Blätter wie die NZZ für sich in Anspruch nehmen, «die noble Aufgabe der politischen Presse» und die «Vielfalt der Meinungen» zu wahren» ???
    Aus welchem Jahrzehnt stammt diese Bewertung?
    Heute gilt auch für die NZZ: Der Feind ist Moskau, die Freunde sitzen in Bad Aibling.
    NZZ, Tamedia und Springer-Ringier kommen daher wie irgend ein Mainstream-Blatt aus NATO-Ländern.
    MfG
    Werner T. Meyer

  • am 15.04.2017 um 13:53 Uhr
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    Danke für diese Zusammenfassung des Zustandes der nicht mehr vorhandenen Medienvielfalt.

    Mit dem Einheitsbrei werden wir – mit löblichen Ausnahmen – leider auch in Bezug die Berichterstattung und Beurteilung über das Geschehen im Ausland, insbesondere im Nahen Osten versorgt.

    Wer die Liste der Autoren von INFOsperber und auch Journal21 anschaut, fragt sich wohl unwillkürlich, ob sich Journalisten erst frei äussern können, wenn sie nicht mehr im Dienste eines der Monopolunternehmen stehen?

  • am 15.04.2017 um 14:04 Uhr
    Permalink

    Hans Ulrich Jost stellte die Frage: Bleibt in der Schweiz für die Demokratie fruchtbare publizistische Vielfalt heute noch gewahrt? Bewahrt wird diese Vielfalt heute eher von Internetplattformen, wie in der Schweiz durch den Infosperber, das Journal 21 und in Deutschland durch die Neue Rheinische Zeitung, Telepolis usw. Diese Plattformen getrauen sich Themen aufzugreifen, die für die Printmedien Tabu sind, Zuschriften landen im extra grossen Papierkorb.

    Die Neue Rheinische Zeitung veröffentlichte zum Beispiel Texte über die Terroranschläge vom 11. September 2001:

    "Veröffentlichungen zur Operation 9/11, Bin Laden, Insider Deals und WTC-Einsturz"
    http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23413

    Auch über den Mars Rover, der schon bald 13 Jahre auf dem Mars herumkurven soll, publizierte die Neue Rheinische Zeitung einen Artikel:

    «Von den Präsidentschaftswahlen und vom Mars, Positives aus den USA"
    http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22679

    Dieses phänomenale Mars-Mobil der NASA, der «Rover Opportunity», fährt mit der Kraft seiner Solarzellen, (etwa eine 100 Watt Glühbirne), seit bald 13 Jahren, seit dem 25. Januar 2004 auf dem Mars herum. Laufend werden vom Mars von diesem Vehikel via einer Zwischenstation, die um den Mars kreist, Bilder zur Erde gesendet. Am 11. April 2017 funktionierte der Rover auf dem Mars immer noch und fuhr munter herum, wie sie auf der website der US-Weltraumbehörde NASA sehen können.

    https://mars.nasa.gov/mer/mission/tm-opportunity/index.html

  • am 15.04.2017 um 18:56 Uhr
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    Normalerweise richtet sich die Presse nach den Wünschen der Leser; d.h. wenn es genügend linke Leser gibt, gibt es auch eine linke Presse. Selbst wenn die Presse mehr von inserenten lebt als von Käufern: Wo genügend linke Leser existieren, gibt es auch Inserenten, die diese linken Leser ansprechen wollen und deshalb in linken Blättern inserieren.

    Das sind die «Marktkräfte» und sie wirken im Sinne der Demokratie. Wenn eine Schicht allerdings so sehr schrumpft, dass sie sich am Markt nicht mehr behaupten kann und statt dessen eine privilegierte Stellung mittels staatlicher Subventionen verlangt: wird die Demokratie dadurch etwa besser? Oder entsteht eine «Aristokratie"?

  • am 16.04.2017 um 10:58 Uhr
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    @Rainer Möller. Dass hier nicht nur der Markt für ZeitungskonsumentInnenen spielt, sehen sie in der Schweiz klar: die Stimmenanteile der linken / grünen Massenparteien liegen immer noch leicht unter 50 % aber die ganze sozialdemokratische Presse ist verschwunden. Wenn Sie an Märkte glauben, dann müssen sie mindestens Anzeigenmarkt und Arbeitsmarkt für JournalistInnen miteinbeziehen. Erst dann wird klar, warum die beiden verbreitetsten Zeitungen gratis sind. Womit ich Sie keineswegs in einer rein ökonomischen Betrachtung bestärken möchte. Wenn sie ein Gesamtbild der Medien bekommen wollen, rate ich zu «Meinungsmacht: Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha­-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse (Reihe des Instituts für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung (IPJ) 9)» Krüger, Uwe Herbert von Halem Verlag. Hier werden die zuständigen Wissenschaften an Fakten erprobt.
    MfG
    Werner T. Meyer

  • PeterGraf_Portrait
    am 19.04.2017 um 10:00 Uhr
    Permalink

    Noch ein pikantes Detail zur Meldung Linker in der SDA an die Bundespolizei: Wer wie ich durch glückliche, wenn auch vom Absender unbeabsichtigte Umstände Kenntnis vom Wortlaut der Meldung der SDA an die Polizei hatte, konnte später kontrollieren, ob die Übertragung des Wortlautes auf die Fiche des Gemeldeten korrekt war. In meinem Fall traf das im Gegensatz zu anderen Eintragungen auf der Fiche zu.
    Peter Graf am 19.4.2017

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