kontertext: An Pudels Kern vorbei
Die aktuelle Aufregung übers Datenleck in Deutschland lenkt ab von den substantiellen Fragen des täglichen Datenschutzes.
Man las dieser Tage viel darüber, wie ein nordhessischer Schüler Politiker und andere Respektsfiguren mit der Publikation von Daten in Aufregung versetzt hat, die er mit Fleiss und offenbar auf der Strasse herumliegenden Methoden gesammelt hatte. Nach einigen Tagen Werweissen – bei dem der Chef der deutschen Bild-Zeitung mit Orakeln über staatlich gestützte Angriffe sich lächerlich gemacht hat – stellte sich das Ganze als ziemlich banal heraus.
Unter deutschen Politikern war ein merkwürdiges Geschrei losgegangen – eine Ministerin der SPD beklagte pathetisch «einen schwerwiegenden Angriff auf das Recht auf Privatsphäre und damit einen Grundpfeiler unserer Demokratie»; der Fraktionschef der Linken sprach von «einem schweren Anschlag auf die Demokratie und den sozialen Zusammenhalt in unserem Land», meinte damit aber nicht das soeben von der rot-roten Brandenburger Regierung ausgeheckte Polizeigesetz, das schwerwiegende Datenschutzbedenken laut werden liess.
Da durften auch die Grünen nicht hintanstehen und monierten den «sehr ernstzunehmenden Versuch, unsere Demokratie zu destabilisieren» (alle Zitate nach dem zusammenfassenden Bericht bei heise.de)
Die Aufregung solcher Politiker steht in bizarrem Gegensatz zu deren regelmässiger Passivität – um nicht zu sagen: Komplizität –, wenn immer es um die schleichende Aufweichung des Datenschutzes geht, wie ihn die Behörden seit Jahren betreiben.
Wenige reden dazu Klartext, erst recht selten auch die dazu angestellten Datenschützer: Sie geben heute dem Bürger wohlfeile Empfehlungen ab, wie er sich mit sicheren Passwörtern oder mit Vorsicht beim E-Mail-Öffen wappnen könne, sagen uns aber selten, wie wir uns gegen die behördliche wie kommerzielle Datensammlung zur Wehr setzen müssen.
Angesichts der sich verschärfenden Defizite beim Datenschutz muss man dem deutschen Blogger Felix von Leitner beipflichten, wenn er sagt: «Aus meiner Sicht ist die Politik nicht Opfer, sondern Täter». «Wir haben das falsche Ziel vorgegeben, wir erheben sinnlos Daten, wir speichern sie unsicher in der Cloud, und unsere Software ist auch unsicher. Es sind nicht Fehler in der Umsetzung, es sind Fehler in der Zielsetzung!»
Die Politik zeigt sich heute widersprüchlich: zum einen reagieren, wie Figura zeigt, Politiker mimosenhaft auf Datenleaks, sobald sie selber betroffen sind; wenns aber ans Stopfen der Lücken und um die eigene Datenhygiene geht, stecken sie den Kopf in den Sand. Notorisch sind die Fälle, wo Behörden, statt Sicherheitslücken sofort bekannt und damit unschädlich zu machen, diese erst mal fürs eigene Spitzelwesen benutzen wollten – Daseinsvorsorge nicht für die Bevölkerung, sondern für den staatlichen Überwachungsapparat.
Selbst Akteure, die sich als Datenpolitiker profilieren, sündigen im Codegestrüpp ihrer Webseiten ungeniert. Wer sich ungeschützt auf die Website des Fraktionschefs der Schweizer Grünen Balthasar Glättli begibt, wird unverlangt mit Google verbunden; die Website der Grünen kommuniziert im Hintergrund mit dem US-Datendienst Addthis.
Die Sorglosigkeit, mit der auch Akteure, die es besser wissen könnten, mit den lauernden Gefahren des Datenkapitalismus umgehen, ist immer wieder frappant. Bei einem Hätschelkind unter den neuen Medienprojekten, der Online-Publikation «Republik», findet man eine in mancher Hinsicht fortschrittliche Praxis – es werden nur Ressourcen von eigenen Domains eingesetzt –, anderseits aber bleibt die statistische Ausforschung der Besucher durch den Dienst Piwik in der Datenschutzerklärung so wenig erklärt wie das Abstützen des ganzen Projekts auf Server des Klassenfeinds Amazon.
Solange nicht einmal die «alternativen» Projekte pionierhaft vorangehen, ist eine Heilung der wunden Medienökonomie nicht zu erwarten.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Mathias Knauer ist Musikwissenschafter, Publizist und Filmemacher. Er
ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der
Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Als Mitglied des Verbands
Filmregie und Drehbuch Schweiz war er an der Ausarbeitung des «Pacte
de l'audiovisuel» und anderer filmpolitischer Instrumente beteiligt. Er ist
Vizepräsident von Suisseculture und Mitbegründer der Schweizer Koalition
für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorständen er u.a. das Dossier Medienpolitik
betreut.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.
Meinungen / Ihre Meinung eingeben
Ähnliche Artikel dank Ihrer Spende
Möchten Sie weitere solche Beiträge lesen? Ihre Spende macht es möglich:
Mit Kreditkarte oder Paypal - oder direkt aufs Spendenkonto
für Stiftung SSUI, Jurablickstr. 69, 3095 Spiegel BE
IBAN CH0309000000604575581 (SSUI)
BIC/SWIFT POFICHBEXXX, Clearing: 09000
Einzahlungsschein anfordern: kontakt@infosperber.ch (Postadresse angeben!)
3 Meinungen
= Google + Amazon + Microsoft + Apple tun das für ihre Mitarbeiter längst. Sie könnten gar nicht seriös arbeiten, wenn solche Zustände wie derzeit unter den Parlamentarier:Innen in Deutschland (und wohl auch in der Schweiz) diesbezüglich herrschten.
- Diese Firmen haben eine technische Lösung entwickelt + zur Verbreitung ein Konsortium namens FIDO gebildet.
-- Die Lösung beruht auf dem 2FA-Konzept (Zwei-Faktor-Authentifizierung), ergänzt um einen sog.en 'FIDO Key' (FIDO-Schlüssel)
-- Ich benutze diesen FIDO-Schlüssel längst + habe seither keine Einbrüche auf meinen eGeräten (WIN-10-PC - MAC-Laptop - Chromebook-Laptop) mehr. (Wegen meiner politischen Facebook-Arbeit bin ich seit Jahren echt exponiert + musste mehrere schwere Attacken über mich ergehen lassen ...).
-- Der FIDO-Schlüssel hängt an meinem Schlüsselbund. Er kostet in Amazon inzwischen nur noch EUR 11 (modernste Ausführung; es gibt auch ältere, teurere). Seine Bedienung ist völlig trivial.
= Wieso also instruieren die Parlamentsdienste unser armen, armen Parlamentarier:Innen nicht längst über solche Lösungen?
- Unsere Banken benutzen Lösungen auf 2FA-Basis. Allerdings ist ihre Lösung nicht gleich sicher wie der 'FIDO Key'.
- Bei der Banken-Lösung erhalten wir einen zusätzlichen Schlüssel per EMAIL oder SMS. 'The man in the middle' kann sie abfangen + missbrauchen, beim 'FIDO Key' nicht.
Ihre Meinung
Loggen Sie sich ein. Wir gestatten keine Meinungseinträge anonymer User. Hier können Sie sich registrieren.
Sollten Sie ihr Passwort vergessen haben, können Sie es neu anfordern. Meinungen schalten wir neu 9 Stunden nach Erhalt online, damit wir Zeit haben, deren Sachlichkeit zu prüfen. Wir folgen damit einer Empfehlung des Presserats. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge, welche andere Personen, Institutionen oder Unternehmen beleidigen oder unnötig herabsetzen, oder sich nicht auf den Inhalt des betreffenden Beitrags beziehen, zu kürzen, nicht zu veröffentlichen oder zu entfernen. Über Entscheide der Redaktion können wir keine Korrespondenz führen. Zwei Meinungseinträge unmittelbar hintereinander sind nicht erlaubt.
Spende bei den Steuern abziehen
Sie können Ihre Spende von Ihrem steuerbaren Einkommen abziehen. Für Spenden über 20 CHF erhalten Sie eine Quittung zu Handen der Steuerbehörden. Die Spenden gehen an die gemeinnützige «Schweizerische Stiftung zur Förderung unabhängiger Information» SSUI, welche die Internet-Zeitung «Infosperber» ermöglicht. Infosperber veröffentlicht Recherchen, Informationen und Meinungen, die in der grossen Presse wenig oder gar keine Beachtung finden. Weitere Informationen auf der Seite Über uns.
Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Spende!