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Ein neues Hüftgelenk hält unterschiedlich lang: Je nach Qualität des Implantats und der Operation © cc

Sie operieren unverantwortlich und kassieren teils doppelt

Urs P. Gasche /  Chirurgen überlassen Patienten mit neuen Hüft- und Kniegelenken meist ihrem Schicksal. Seit 30 Jahren schaut das BAG tatenlos zu.

«Aus den Augen – aus dem Sinn». Nach diesem Motto implantieren die meisten Orthopäden Knie- und Hüftgelenke und verdienen sich dabei eine goldene Nase. Ganz Clevere beteiligen sich an Firmen, welche Implantate herstellen oder profitieren von geldwerten Leistungen, wenn sie ein bestimmtes Fabrikat bevorzugen.
Fast keiner dieser Chirurgen interessiert sich für seine Patientinnen und Patienten, nachdem diese das Spital verlassen haben. Ob und wie sich die Implantate und die gewählten Operationsmethoden nach einem oder nach fünf Jahren bewähren, ist den meisten Chirurgen in der Schweiz offensichtlich egal. Sie lassen nicht kontrollieren, wie beweglich und schmerzfrei ihre Hüft- und Knieoperierten ein bis fünf Jahre nach der Operation sind.
Betroffen sind in der Schweiz viele. Im Jahr 2016 bekamen rund 42’000 Frauen und Männer zum ersten Mal ein neues Knie- oder Hüftgelenk.

Das Ausland ist weit voraus

Zentrale Register, die alle implantierten Hüft- und Knieprothesen erfassen, gibt es in Schweden, Dänemark, Norwegen und Finnland bereits seit den Achtziger- und Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts, in Frankreich seit 2006 und in England seit 2007.


Einführung von Implantatsregistern in europäischen Ländern. Sie erlauben ein Frühwarnsystem. Das teuerste Schweizer Gesundheitssystem ist viele Jahre im Rückstand.

Solche «sehr erfolgreichen» Register seien auch in der Schweiz nötig, erklärte Urs Müller im Jahr 2010 an einer Medienkonferenz des «Instituts für Evaluative Forschung in der Medizin» der Universität Bern und illustrierte den Nutzen: «Wäre schon 1982 bekannt gewesen, dass sich Hüftprothesen aus Titan-Schäften zu früh lockern, hätten bis 4’200 vorzeitige Neu-Operationen verhindert werden können.» Um solche vermeidbaren Komplikationen und Neuoperationen zu vermeiden, forderte Müller obligatorische Nachkontrollen jeweils fünf Jahre nach dem Implantieren eines neuen Hüft- oder Kniegelenks.

Seither sind acht Jahre verflossen. Zwar werden seit fünf Jahren alle eingesetzten Hüft- und Knieimplantate in ein Register namens SIRIS aufgenommen. Doch nach Spitalaustritt erfasst das Register die Patientinnen und Patienten noch heute nicht.
Im Ausland werden solche Register von den Aufsichtsbehörden geführt und nicht in «Eigenverantwortung». Im SIRIS-Stiftungsrat dagegen sitzen Orthopäden, Spitäler, Santésuisse und sogar der Verband der Implantate-Verkäufer.

Das mag mit ein Grund sein, warum es bei uns so lange geht. Denn Qualitätskontrollen sind schlecht fürs Geschäft der Spitäler, Chirurgen und Implantate-Hersteller. Denn Kontrollen führten im Ausland meistens zu weniger Erstoperationen und zu weniger vorzeitigen Zweitimplantationen.

Jedenfalls blieben postoperative Qualitätskontrollen in der Schweiz eine Geschichte der ewigen Ankündigungen. Ein Beispiel: Im Jahr 2007 nahm SIRIS-Stiftungspräsident Josef E. Brandenberg an einer Medienkonferenz den Mund voll: Ab 2008 würden alle Implantate in der zentralen Datenbank registriert, angefangen mit den Hüft- und Kniegelenken. Das ermögliche ein «Frühwarnsystem beim Auftreten von Schäden». Zudem erlaube SIRIS «erstmals Qualitätsvergleiche zwischen Produkten, Kliniken und operierenden Ärztinnen und Ärzten».
Schön wäre es.
Auf die Ankündigungen reingefallen

Die Kantone hätten ihren Spitälern schon längst vorschreiben können, die postoperative Qualität zu erfassen. Doch sie sind auf die wiederholten Versprechen der Orthopäden reingefallen. Der Geduldfaden ist als erstem dem Kanton Basel-Stadt gerissen. Vor zwei Jahren kündigte er an, ab 2017 von den Patienten kurz vor der Operation und dann 6 und 24 Monate nach der OP den international standardisierten Fragebogen COMI über ihr Befinden ausfüllen zu lassen. Der Kanton Basel-Land wird sich anschliessen.
Wahrscheinlich nicht ganz zufällig operierten Chirurgen in Basel nach Angaben des Gesundheitsdepartements im 2017 im Vergleich zum Vorjahr 34 Prozent weniger Hüften und 24 Prozent weniger Kniegelenke. Eine «erfolgreiche Sensibilisierung» durch die angekündigten COMIs könne eine Rolle gespielt haben, meint Thomas von Allmen, Leiter Spitalversorgung des Gesundheitsdepartements. Mit der Auswertung beauftragt der Kanton Basel-Stadt das spezialisierte Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern.

Als zweiter Kanton will der Kanton Zürich Mitte 2019 mit einer Outcome-Messung starten. Mit einem unterschiedlichen Fragebogen soll das Befinden kurz vor der Operation und dann 12 Monate nachher erfasst werden. Durchführung und Auswertung wird nach Angaben der Zürcher Gesundheitsdirektion der Gesellschaft für Orthopädie übertragen. Diese überwacht damit die Operationsqualität ihrer Mitglieder in «Eigenverantwortung» selber.

Das Bundesamt schaut dem Treiben zu

Mit vielen Jahren Verspätung machen sich jetzt zwei Kantone daran, nach Operationen Qualitätsdaten zu erfassen oder erfassen zu lassen: Mit Fragebogen, die miteinander nicht kompatibel sind und in ungleichen Zeitabständen. Das ermöglicht wohl kaum «Qualitätsvergleiche zwischen Spitälern und operierenden Ärztinnen und Ärzten», wie es SIRIS-Präsident Brandenberg vor elf Jahren angekündigt hatte. «Nur einheitliche Daten aus der ganzen Schweiz» liessen eine Qualitätsbeurteilung zu», erklärt der Waadtländer Gesundheitsdirektor Pierrre-Yves Maillard. Er bedauert, dass der Bund das Nachfassen der Knie- und Hüftoperierten nicht längst angeordnet hat.

Tatsächlich hätte der Bund schon längst eingreifen können. Denn bereits seit über zwanzig Jahren kann er Spitälern und Chirurgen vorschreiben, postoperative Resultate von Prothesen-Operationen einheitlich zu erfassen und zu liefern. Nur mit solchen Daten könnte der Bund seinen gesetzlichen Auftrag erfüllen, die Qualität der Leistungserbringer zu überwachen. Schon seit 1996 verpflichtet das Krankenversicherungsgesetz den Bund, «zu regeln, mit welchen Massnahmen die Qualität … der Leistungen zu sichern» ist. Dazu kann er «systematische wissenschaftliche Kontrollen zur Sicherung der Qualität» der Leistungen machen. Das Bundesamt für Gesundheit entschuldigt die Passivität des Bundes mit der Behauptung, «hauptverantwortlich» für die Qualität seien die «Tarifpartner». Als ob Krankenkassen wüssten, wie man die Qualität medizinischer Leistungen erfasst.

Ärzte und Spitäler hätten dem Bund Daten zu Qualitätsindikatoren gemäss Gesetz schon seit langem liefern müssen, also auch Outcome-Daten. Doch das BAG erkennt keine Verletzung dieser Verordnungs-Vorschrift, weil der Bund solche Daten «bisher nicht verlangt» habe.

Das gilt auch für Bandscheiben-Implantate. Nach dem Auffliegen des Skandals um die fehlerhaften Prothesen konnten Spitäler, Chirurgen, Swissmedic oder das Bundesamt für Gesundheit nicht einmal sagen, wie viele dieser schadhaften Implantate wer wo benutzt hatte. Als Swissmedic die Chirurgen im Jahr 2014 aufforderte, ihre Patientinnen und Patienten mit den fehlerhaften Prothesen zu warnen und zu regelmässigen Kontrollen einzuladen, konnte es sich der als «Star-Orthopäde» gehandelte Max Aebi sogar leisten, diese Aufforderung zu ignorieren. Er nahm in Kauf, dass eine seiner Patientinnen es viel zu spät merkte, als ihr Kunststoff-Implantat zu verbröseln begann.
Aebi musste seiner wertlosen Kaufoption nachtrauern, die er nach seinen eigenen Angaben auf Aktien der Firma besass, welche das von ihm propagierte, jetzt aber wertlos gewordene Implantat herstellte. Gleichzeitig präsidierte er die «Stiftung für Qualitätssicherung in der Implantationsmedizin», die zusammen mit den Implantat-Herstellern, Spitälern, Orthopäden und Santésuisse das Implantat-Register SIRIS führt. Dieses verspricht, eines Tages auch vergleichbare Outcome-Daten der Patientinnen und Patienten zu erfassen.
Versprechen und Hoffen ist gut. Besser wäre es, der Bund nähme endlich seine Kompetenzen wahr.
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Infosperber-DOSSIER: «Mehr Staatsmedizin oder mehr Wettbewerb?»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

ArztmitGeld

Mehr Staatsmedizin oder Wettbewerb?

Zu viele falsche Diagnosen, Untersuchungen und Komplikationen bei Operationen: Was bringt bessere Qualität?

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2 Meinungen

  • am 28.01.2019 um 16:47 Uhr
    Permalink

    BAG? Das ist doch die Abkürzung für «Bundesamt für Geschäftemacher». Und: Kontrolle ist doch nur Papierkrieg, der sich nicht lohnt….

  • am 13.03.2019 um 23:41 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank, Herr Gasche für diesen ausgezeichneten Artikel !!!
    Dass Max Aebi die «Stiftung für Qualitätssicherung in der Implantationsmedizin» präsidierte, hatte ich nicht mitgekriegt und lässt meine Bandscheiben erschauern.

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