GlaxosAvandia1

Risikobeweis bereits im Jahr 2007 © Health News

Strafanzeige mutiger Ärzte gegen Pharmakonzern GSK

upg /  Zum ersten Mal klagen Ärzte gegen einen Pharmakonzern, weil dieser die Ärzteschaft über schwere Nebenwirkungen nicht informierte.

Anfang dieser Woche haben mehrere Ärzte und ein ehemaliger Pharmaverkäufer gegen den Pharmakonzern GlaxoSmithKline GSK in Hamburg eine Strafanzeige eingereicht. «Wir tun dies aus Verantwortung gegenüber der Bevölkerung», erklärte der pensionierte Professor Bruno Müller-Oerlinghausen, der bis 2003 als Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft amtete.
GlaxoSmithKline GSK habe seit längerem gewusst, dass das Diabetes-Mittel Avandia zu Herzinfarkten und Knochenbrüchen führt, dies jedoch an Ärztekongressen und Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte lange Zeit weitgehend verschwiegen. Offensichtlich wollte GSK die Milliardenumsätze mit diesem teuren Medikament zur Senkung des Blutzuckers nicht gefährden. Erst viel zu spät, im Jahr 2010, rieten die Aufsichtsbehörden der USA und der EU von Avandia ab, und hinterher auch die Swissmedic. GSK zog dieses Medikament, mit dem es während Jahren Milliardenumsätze erzielte, aus dem Markt zurück.
Pro 100’000 Menschen, denen Ärzte Avandia verschrieben, erlitten 1250 einen Herzinfarkt, zeigte eine Studie im «British Medical Journal». Das Diabetes-Mittel erhöhte auch das Risiko für andere Herzkrankheiten und Knochenbrüche. Diese Risiken habe der Pharmakonzern früh erkannt, sie jedoch unter dem Deckel gehalten, werfen die Unterzeichner der Strafanzeige der GSK vor. Viele Ärzte hätten Avandia nicht mehr verschrieben, wenn sie über die Risiken richtig informiert worden wären. In der Schweiz gaben die Krankenkassen im Jahr 2008 5,2 Millionen und 2009 noch 3,9 Millionen Franken für Avandia aus. Das zeigt eine Hochrechnung der Krankenkasse Helsana. Für Avandia und das Kombi-Präparat Avandamet mit dem gleichen Wirkstoff gab es für Patienten mit Diabetes vom Typ 2 genügend Alternativen – und erst noch viel günstigere.

Die Medien in der Schweiz haben über die Strafanzeige bisher nicht berichtet.
FMH: «Strafanzeige ist unterstützungswürdig»
«Irreführende Werbung», die «zu einem unzweckmässigen Einsatz von Arzneimitteln verleiten kann» ist laut geltendem Heilmittelgesetz auch in der Schweiz verboten. Für die Ärzteverbindung FMH sei klar, dass Vorträge von Pharma-Vertretern an Ärztekongressen keine solche nach Gesetz «unzulässige Werbung» enthalten dürfen, erklärte FMH-Zentralvorstandsmitglied Gert Printzen gegenüber Infosperber. Die Strafanzeige der deutschen Ärzte halte die FMH für «sinnvoll und unterstützungswürdig». Printzen ist im FMH-Zentralvorstand für das Ressort Arzneimittel zuständig.
«Völlig unzureichende Informationen»

Der Pharmakonzern GSK habe «spätestens seit 2007 sicher gewusst», dass Avandia auch bei bestimmungsgemässem Gebrauch «erhebliche gesundheitliche Gefahren für die behandelnden Patienten» habe, heisst es in der Strafanzeige. Der GSK sei bekannt gewesen, dass das Einnehmen des Medikaments ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und für kardiovaskuläre Erkrankungen bedeute. Doch die «Informationen in den Fortbildungsveranstaltungen, welche die Firma zu verantworten hat, waren für die Ärzte völlig unzureichend», beanstandet Professor Müller-Oerlinghausen. Es sei nicht auszuschliessen, dass «deswegen auch Patienten gestorben sind». Die New York Times berichtete von 304 Todesfällen in den USA allein in den letzten drei Monaten des Jahres 2009.
Häufig seien solche Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte «nichts anderes als umbenannte Werbeveranstaltungen», meint Christiane Fischer, Geschäftsführerin des deutschen Ärztenetzwerks «Mein Essen zahl ich selber» Mezis. Der Diabetologe Peter Sawicki kritisiert Ärzte-Fachgesellschaften, die Ärzten, welche an solchen Kongressen teilnehmen, Punkte für die Fortbildung vergeben. Sawicki war bis 2010 Leiter des «Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.

«Die Firma hat Patienten gefährdet»

Die Unterzeichner der Strafanzeige stützen ihre schweren Vorwürfe gegen GSK auf konzerneigene Studien und Dokumente, Veröffentlichungen im «New England Journal of Medicine» sowie auf Warnhinweise im «Arznei-Telegramm». Die Unterlagen stammen aus den Jahren 2004 bis 2010. Fazit von Müller-Oerlinghausen: «Die Firma hat wissend Ärzte nicht zureichend informiert und damit Patienten gefährdet.»
Ein Sprecher des Pharmakonzerns wollte sich gegenüber deutschen Medien zur Strafanzeige nicht äussern. Er wies lediglich darauf hin, dass die Behörden Avandia im Jahr 2010 nicht verboten, sondern lediglich empfohlen hätten, die «Zulassung ruhen zu lassen». Die Firma sei trotz der Studienlage «von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis überzeugt».
Die deutsche Aufsichtsbehörde BfArM betont allerdings, dass ein Medikament «bei ruhender Zulassung faktisch nicht mehr verkehrsfähig» sei.
GSK brachte Avandia vor dreizehn Jahren auf den Markt. Das Bundesamt für Gesundheit BAG und ausländische Behörden gewährten einen hohen Preis, weil Avandia den Blutzuckerspiegel effizient senkt und oral eingenommen werden kann. Eine riesige Marketing-Kampagne sorgte dafür, dass das teure Avandia zum weltweit meist verschriebenen Diabetesmittel wurde. Doch auch zehn Jahre nach Markteinführung war der Beweis nicht erbracht, ob Diabetes-Patienten dank Avandia weniger Spätfolgen ihrer Krankheit haben als mit andern Behandlungen. Weder das BAG noch die FDA hatten Studien gefordert, die diesen Nachweis erbringen.
Diabetologen in der Schweiz bleiben passiv
Auch Schweizer Diabetes-Spezialisten haben in den Jahren 2006 bis 2010 an einigen der fraglichen Weiterbildungsveranstaltungen teilgenommen. Die Schweizerische Diabetes-Gesellschaft, deren Webseite von der Pharmaindustrie gespondert wird, blieb bis heute passiv. Sie hat die damaligen Informationen nicht beanstandet und will sich auf Anfrage auch nicht dazu äussern, ob sie die deutsche Strafanzeige unterstützungswürdig findet. Der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Diabetologie und Diabetes-Spezialist am Berner Inselspital, Emanuel Christ, meinte lediglich, die langfristigen Nebenwirkungen seien «hinlänglich bekannt», weshalb Diabetologen Avandia nicht mehr verschrieben. Die Frage, ob er die Klage der deutschen Ärzte für unterstützungswürdig halte, liess er unbeantwortet. Auf der Homepage der Gesellschaft für Diabetologie ist der Pharmakonzern GSK als «Silber Sponsor» aufgeführt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Swissmedic

Swissmedic

Diese BAG-Behörde erlaubt alle Medikamente, deren Nutzen grösser ist als der Schaden. Zu viel läuft geheim.

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2 Meinungen

  • am 10.03.2013 um 21:22 Uhr
    Permalink

    Ich hoffe, dass noch viel mehr Aerzte erwachen und nicht mehr alles schlucken, was die Pharma ihnen schmackhaft machen will und die volle Wahrheit unterschlägt.
    Ich frage mich auch immer wieder, ob die immer wieder neu entwickelten Medikamente wirklich notwendig sind, die meist viel teurer sind als die Vorgängerprodukte. Ich frage mich, ob die nicht oft Neuentwicklungen so vorantreiben, weil beim Vorgänerprodukt früher oder später das Patent abläuft.
    Ich frage mich auch, ob man sich nicht immer mehr entscheiden muss, ob man sich lieber mit der Krankheit auseinandersetzen will oder mit den Nebenwirkungen und Folgekrankheiten. Ueberspitzt gesagt: Will ich lieber am meiner Krankheit sterben oder an den den Nebenwirkungen der Medikamente.

  • am 11.03.2013 um 10:29 Uhr
    Permalink

    Die Klage gegen GSK hat ihr Gleichnis bei BAYER. Bitte informieren Sie auch über Lipobay. Siehe dazu http://www.cbgnetwork.org/4812.html. Darin alle Details mit
    Klage und Zeugenaussage Adolf Groebl. Und Ermittlung der Staatsanwaltschaft Köln.
    Bei Interesse sende ich Ihnen den Vorgang per Mail.
    Freundliche Grüße
    Adolf Groebl

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