Interessenkonflikte_BCI

Wie umgehen mit Interessenkonflikten? © BCI

Medi-Studien: Die Krux mit Interessenkonflikten

Etzel Gysling /  Es geht um Milliarden. Es gibt viele Schwindelmöglichkeiten. Das Offenlegen von Interessenkonflikten kann auch ein Alibi sein.

Red. Der Arzt Etzel Gysling von Wil SG ist seit vielen Jahren Herausgeber und Redaktor der unabhängigen Pharma-Zeitschrift «Pharma-Kritik», die zur Gruppierung unabhängiger und inseratefreier Arzneimittel-Publikationen gehört («International Society of Drug Bulletins», ISDB). Im Folgenden zeigt Gysling, dass die Forderung nach Offenlegen von Interessenkonflikten nicht so leicht zu erfüllen ist. Schon vor zehn Jahren hatte er darüber publiziert1.
Ein ISDB-Meeting hat im letzten Juli beschlossen, dass ISDB-Publikationen keine Texte von externen Mitarbeitenden mit Interessenkonflikten publizieren sollen. Redaktionsmitglieder dürfen schon lange keine Interessenkonflikte haben. Was jedoch weder festgelegt noch genauer diskutiert wurde: Was bedeutet konkret, «keine Interessenkonflikte» zu haben? Es stellen sich viele, komplexe und teilweise ungelöste Fragen.
Formular legt Pflichtangaben fest
Das «International Committee of Medical Journal Editors» (ICMJE) hat ein Formular veröffentlicht2, mit dem Interessenkonflikte deklariert werden können. Bei der Eingabe von wissenschaftlichen Texten fordern heute viele medizinische Zeitschriften, dass ihnen dieses Formular vorgelegt wird. Verschiedene Punkte werden dabei berücksichtigt: Eine erste Frage befasst sich mit der Finanzierung der Arbeit, die die Basis des Textes bildet. Dabei sollen alle Geldquellen, also neben der Industrie z.B. auch Forschungsfonds oder Stiftungen genannt werden; ebenso sind Finanzen anzugeben, die primär dem Arbeitgeber (z.B. der Universität) zugekommen sind.
Aber auch Einnahmen, die nicht direkt mit dem Thema des Textes zu tun haben, sollen deklariert werden, sofern sie innerhalb von 3 Jahren vor der Eingabe und von Sponsoren kamen, die allenfalls von für sie «positiven» Aussagen profitieren könnten. So soll beispielsweise ein Onkologe auch Finanzquellen angeben, von denen er für andere Onkologie-Studien (mit anderen Medikamenten oder mit diagnostischen Verfahren) als den in der Publikation besprochenen Mitteln Geld erhalten hat. Ferner wird nach «intellektuellem Eigentum» (wie Patente) gefragt und schliesslich sollen selbstverständlich Honorare, Spesenvergütungen und nicht-finanzielle Unterstützung (z.B. bei der Redaktion von Texten) deklariert werden.
Das ICMJE-Formular ist so konzipiert, dass es am Schluss, nachdem man alles angegeben hat, «automatisch» ein «Disclosure Statement» produziert. Leserinnen und Leser bekommen in der Regel (wenn überhaupt) dieses Statement zu sehen. Für die grossen medizinischen Zeitschriften ist es quasi unvermeidlich, dass ihre Autorinnen und Autoren häufig Interessenkonflikte haben – wobei unklar bleibt, in welchem Ausmass dies dem lesenden Publikum bewusst wird.
Im Vordergrund Konflikt mit Pharmainteressen

Die vordergründige Problematik bei medizinischen Texten ist der Konflikt mit den Interessen der Pharmaindustrie und der Hersteller von medizinischen Geräten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch die Verflechtung mit anderen Interessen – andere Industriezweige, Versicherungen, Berufsorganisationen usw. – nicht belanglos ist. Die Interessen einer Institution, eines Universitätsinstituts oder auch einer Behörde können ebenfalls mit im Spiel sein.
Dennoch besteht kein Zweifel, dass eine finanzielle Unterstützung durch die Pharmaindustrie das weitaus grösste Problem darstellt, weil es möglich ist, mit «manipulierten» Daten sehr viel Geld zu verdienen. Dies trifft umso mehr zu, als es immer noch vorkommt, dass Studienprotokolle die Klausel enthalten, Resultate dürften nur mit Genehmigung seitens des industriellen Sponsors veröffentlicht werden. So kann es sein, dass zum Beispiel unerwünschte Wirkungen, die den Studienverantwortlichen aufgefallen sind, in der Publikation gar nicht oder nur am Rande erwähnt werden.
Regeln bei der Cochrane Collaboration
Interessant ist auch, wie die Cochrane Collaboration mit Interessenkonflikten umgeht. Diese Organisation widmet der Interessen-Problematik in ihren Grundsätzen ein längeres Kapitel3. Sie verwendet eine modifizierte Version des erwähnten ICMJE-Formulars4, in welchem viele der möglichen Interaktionen (z.B. Aktienbesitz, Zahlungen für Vorträge, Unterstützung für schriftliche Arbeiten) präzis abgefragt werden. Wer sich an einer Arbeit («Review») für die Cochrane Collaboration beteiligen will, muss vor Beginn der Arbeit dieses Formular vorlegen. Dieses wird von der entsprechenden Review-Fachgruppe (und im Zweifelsfall noch von einer weiteren Instanz) beurteilt.

  • Autorinnen und Autoren mit Interessenkonflikten können an der Arbeit mitbeteiligt sein; einzig Angestellte von interessierten Firmen und Eigentümer von Patenten sind allgemein explizit von der Mitarbeit bei der Cochrane Collaboration ausgeschlossen.
  • Eine Review kann nicht von einer Firma gesponsert werden.
  • Ferner muss innerhalb einer Gruppe von Fachleuten, die für die Arbeit verantwortlich zeichnen, die Mehrheit frei von Interessenkonflikten sein.
  • Von den Mitgliedern der leitenden Review-Fachgruppe wird erwartet, dass sie in den Ausstand treten, wenn sich aus ihrer persönlichen Interessenlage bei bestimmten Arbeiten ein Konflikt ergäbe.
  • Auch für externe Reviewer («Peer Reviewer») von Cochrane-Übersichten gilt, dass sie keine finanziellen Interessen im Zusammenhang mit dem untersuchten Thema haben dürfen.

Alle diese Grundsätze entsprechen gewiss den besten Intentionen; dennoch verbleiben zahlreiche Szenarien, in denen dennoch Konflikte entstehen5.
Abhängigkeit von Industriestudien
In den Cochrane-Reviews werden auch Studien berücksichtigt, die durchaus «konfliktbeladen» sein können. Gemäss einer Arbeit, in der rund 150 Cochrane-Reviews untersucht wurden, enthalten nur 11 Prozent dieser Reviews Angaben zu industriellem Sponsoring oder zu finanziellen Interessenkonflikten der für die berücksichtigten Einzelstudien Verantwortlichen6. Dies weist auf ein grundsätzliches Dilemma von Berichten zur Arzneimitteltherapie hin: Fast alle Medikamenten-Studien werden im Auftrag der Industrie durchgeführt und sehr viele der Studienautorinnen und -autoren erhalten in der einen oder anderen Form Gelder seitens der Industrie. Mit anderen Worten: wer über Medikamente berichten will, muss sich notwendigerweise auf solche Studien stützen.
Ungeklärte mögliche Interessenkonflikte
Es gibt noch einige weitere Punkte, die zu denken geben: Ist es nicht auch ein Interessenkonflikt, wenn nahe Verwandte von Autorinnen und Autoren finanzielle Beziehungen zur Industrie haben? Es kann ja zum Beispiel kaum belanglos sein, wenn der Vater oder die Tochter eines Autors Eigentümer bestimmter Aktien ist. (Dass fast alle von uns indirekt – via Altersvorsorge – an Industrieaktien und -profiten beteiligt sind, sei nur am Rande vermerkt.)
Einige der ISDB-Mitglieder veröffentlichen ihre Texte anonym. Unklar bleibt dabei, ob tatsächlich alle Texte vollumfänglich vom (interessefreien) Redaktionsteam verfasst sind. Mindestens bei einzelnen Publikationen ist anzunehmen, dass auch externe Mitarbeitende mitwirken. Für diese mag gelten, dass sie ebenfalls frei von Interessenkonflikten sind – wissen kann man es aber nicht sicher.
Wie glaubwürdig sind Selbstdeklarationen?
Schliesslich die Gretchenfrage: Ist die Aussage, man sei frei von Interessenkonflikten, wirklich glaubwürdig? Mit welchen Verfahren liesse sich dies überprüfen? Es ist nämlich keineswegs ausgeschlossen, dass Deklarationen zu Interessenkonflikten geschönt sind. Dazu gibt es verschiedene Beispiele, die zeigen, dass manchmal Konflikte ganz einfach «vergessen» werden7,8.
Damit ist klar: trotz allen Beteuerungen geht es hier um eine Frage von Treu und Glauben. Ob sich das Problem der Überprüfbarkeit in absehbarer Zeit lösen lässt, ist zu bezweifeln. Ein Grossteil der Pharmafirmen hat sich zwar verpflichtet, ihre sogenannt geldwerten Leistungen an Fachleute publik zu machen. Solange sich die letzteren aber auf den Datenschutz berufen und die Nennung ihrer Namen verweigern können9, ist es illusorisch, die «no conflict of interest»-Deklarationen überprüfen zu wollen.
Die Texte verraten mehr als die Deklarationen
Bedenkt man alle fraglichen Punkte, so kann man sich kaum des Gedankens erwehren, die Deklarationen zu Interessenkonflikten erfüllten in erster Linie eine Alibifunktion. Wohlgemerkt: Interessenkonflikte sind ein echtes Problem, nur wird es von diesen Deklarationen nicht gelöst. Da es aber heute für eine «anständige» Zeitschrift quasi erforderlich ist, werden wir auf unserer Website auch eine ausführliche Deklaration veröffentlichen. Ich selbst bin aber überzeugt, dass sich die Unabhängigkeit von finanziellen Interessen an bestimmten Qualitäten des Textes besser abschätzen lässt als an den schönsten Deklarationen.
Meine Liste von zehn Merkmalen, die eine Medikamenten-Analyse ohne Interessenkonflikte auszeichnen, kann dabei helfen:

  1. Sie berücksichtigt auch nicht-publizierte Studien und deren Beurteilung, z.B. anhand der Daten der FDA oder der EMA
  2. Sie berücksichtigt andere kritische Berichte, z.B. seitens des IQWiG oder des NICE
  3. Sie überprüft den Nachweis einer Wirkung auf echte klinische Endpunkte (nicht nur auf Surrogat-Endpunkte)
  4. Sie überprüft die Wirksamkeit gegenüber anderen aktiven Behandlungsoptionen (nicht nur gegenüber Placebo)
  5. Sie fragt nach der klinischen Relevanz von statistisch signifikanten Resultaten
  6. Sie widmet unerwünschten Wirkungen besondere Aufmerksamkeit
  7. Sie fragt nach der Überprüfung und Relevanz von Arzneimittel-Interaktionen
  8. Sie fragt nach der Überprüfung der möglichen Risiken bei Kranken mit Organschäden (z.B. Personen mit Niereninsuffizieinz)
  9. Sie stellt Überlegungen zur Berechtigung der Kosten an
  10. Sie kommt zu einer abwägenden und zurückhaltenden Schlussfolgerung

Dieser hier nur leicht gekürzte Beitrag erschien im Juli 2016 in der Zeitschrift «Pharma-Kritik» und auf «infomed-online»
———
REFERENZEN
1) Gysling E. pharma-kritik 2005; 27: 77-8 (pk143)
2) ICMJE Form for Disclosure of Potential Conflicts of Interest: http://www.icmje.org/downloads/coi_disclosure.zip
3) The Cochrane Collaboration: Editorial and Publishing Policy Resource: Conflict of interest and Cochrane Reviews: http://goo.gl/Uyvfxu
4) The Cochrane Collaboration: Disclosure of Potential Conflicts of Interest: http://goo.gl/FThj3N
5) The Cochrane Collaboration: Potential scenarios and actions for editorial teams and authors: http://goo.gl/9iEy7b
6) Roseman M et al. BMJ 2012; 345: e5155
7) Ruff K. Environ Health 2015; 14: 45
8) Eisner M et al. PLoS One 2015; 10: e0142803
9) Aiolfi S. NZZ 2015 (13. August): http://goo.gl/jAXImB

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Arzt Etzel Gysling von Wil SG ist seit vielen Jahren Herausgeber und Redaktor der unabhängigen Pharma-Zeitschrift «Pharma-Kritik».

Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

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Eine Meinung zu

  • am 19.08.2016 um 15:44 Uhr
    Permalink

    Sozialmedizinische Gutachter erhalten für ein Gutachten ca. 200,00 € und nehmen dabei den Tod des Probanden in Kauf.

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