EU-Behörde warnt vor «innovativstem Medikament»
Frauen sollen kein «Esmya» gegen Myome in der Gebärmutter mehr einnehmen. Das Medikament kann schwere Leberschäden verursachen.
Im Jahr 2015 wählten Gynäkologinnen und Gynäkologen das Arzneimittel Esmya zum wiederholten Mal zum «innovativsten Produkt». Weltweit waren bis dann bereits 500'000 Patientinnen behandelt, davon in Deutschland rund 40'000 und in der Schweiz rund 4'000 Frauen. Das Medikament mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat behandelt Myome des Uterus.
Aufgrund schwerer Leberschäden – in drei Fällen war sogar eine Lebertransplantation nötig – hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA Anfang Februar folgende Empfehlungen erlassen:
- Esmya soll keinen Frauen neu verschrieben werden;
- Frauen, die bereits einen Einnahmezyklus mit Esmya abgeschlossen haben, sollen keinen neuen Zyklus beginnen;
- Frauen, die bereits Esmya einnehmen, sollen mindestens monatlich einen Lebertest durchführen lassen. Falls sie unter Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit oder an einer gelben Färbung der Augen oder der Haut leiden, könne dies auf Probleme mit der Leber schliessen.
Diese Empfehlungen der europäischen Arzneimittelbehörde EMA hat die Schweizerische (Fach-)Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe SGGG noch nicht übernommen. «Wir überlassen es den Autoren [der Kommission Qualitätssicherung], ob sie ihren geltenden Expertenbrief an die Ärzte anpassen möchten», teilte Gynäkologe und SGGG-Generalsekretär Thomas Eggimann Infosperber mit.
Drei der fünf AutorInnen des Expertenbriefs sind Mitglieder des «Advisory Board» der Herstellerfirma von Esmya. Ein viertes Mitglied hat an einem von der Herstellerfirma gesponserten Symposium teilgenommen, und das fünfte Mitglied ist Referentin und Mitglied des «Advisory Board» des Pharmakonzerns MSD. Diese Autoren werden es nicht besonders eilig damit haben, die Empfehlungen der EMA zu übernehmen.
Esmya in der Schweiz seit 2013 kassenpflichtig
Es kann nur auf Anhieb erstaunen, dass die Leberschäden erst jetzt entdeckt wurden, obwohl Esmya zum Beispiel in der Schweiz bereits seit Ende 2013 kassenpflichtig ist. Die Kassen müssen das Medikament zahlen, wenn es erwachsene Frauen im gebärfähigen Alter einnehmen
- für die vorübergehende Behandlung der Symptome eines Uterus myomatosus zur Überbrückung der Zeitdauer bis zu einer definitiven Myom-Therapie (d.h. einem entsprechenden chirurgischen Eingriff), limitiert auf eine einmalige Therapie während maximal drei Monaten.
- für die intermittierende Behandlung mässiger bis schwerer Symptome eines Uterus myomatosus, limitiert auf 4 Behandlungszyklen.
Dass Esmya bei Myomen der Gebärmutter wirksam ist, scheint unbestritten. Pharmakonzerne geben viel Geld aus, um eine Wirksamkeit nachzuweisen. Viel weniger Geld geben sie indessen aus, um mögliche gravierende Nebenwirkungen auszuschliessen.
In den beiden im Jahr 2012 von der Industrie vorgelegten Studie für die Zulassung von Esmya waren unter «Nebenwirkungen» die Leberwerte nicht einmal erwähnt, geschweige denn Störungen der Leber.
Mangelhaftes Erfassen von auftretenden Nebenwirkungen
Schwere Nebenwirkungen kommen oft erst ans Tageslicht, wenn ein Medikament von vielen Patientinnen in unterschiedlichem Gesundheitszustand und mit unterschiedlichen Lebensgewohnheiten eingenommen wird.
Deshalb wäre es enorm wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte auch nur mutmassliche Nebenwirkungen, die sie an ihren Patientinnen feststellen, an eine zentrale Stelle melden, und dass diese Daten veröffentlicht und international ausgetauscht würden.
Die Arzneimittelverordnung schreibt zwar vor (Art. 37), dass Ärzte und Spitäler «vermutete schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen» sowie «vermutete, bisher nicht bekannte unerwünschte Arzneimittelwirkungen» an von der Swissmedic zu «bezeichnende Stellen» melden sollen.
Doch diese Meldepflicht kontrolliert niemand, und die Swissmedic macht diese Meldungen nicht transparent. Den Aufwand für das Ausfüllen entsprechender Formulare können Ärzte höchstens unter «Leistung in Abwesenheit des Patienten» verrechnen. Auf finanzielle Anreize reagieren die meisten Ärzte wie alle andern Menschen auch. Deshalb könnte eine besondere Entschädigung für solche Meldungen deren Zahl sprunghaft in die Höhe schnellen lassen. Ärzte wenden ein, dass dann auch zweifelhafte Nebenwirkungen gemeldet würden. Ärzte würden also solche Entschädigungen zur Steigerung ihrer Einkommen missbrauchen (sic!).
Es liegt im gesundheitlichen Interesse aller Patientinnen und Patienten, dass gravierende Nebenwirkungen nach dem breiten Einsatz eines Medikamentes möglichst bald und nicht erst viele Jahre später bekannt werden – wie dies jetzt bei Esmya der Fall ist.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Keine
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4 Meinungen
Auch bei dieser Nachricht stockt mir der Atem vor Empörung. Ich sehe, dass wer in unseren Breitengraden gesund bleiben will, mehr oder weniger gezwungen ist, nach allen Richtungen Abwehrmechanismen zu entwickeln. So wird man zum knurrenden und zähnefletschenden Rottweiler, aber lieber das als jämmerlich zugrunde gehen. Oh dass mir doch der Humor dabei nicht flöten geht!!!
Fazit: Wenn ein Medikament einen Preis als bestes Medikament des Jahres erhält, dann kann ich das augenblicklich in den Müll werfen. Das ist nichts als hinterhältige Werbung für ein tödliches Gift.
Deswegen ist die Marktüberwachung der Arzneimittelsicherheit mit entsprechender Meldepflicht praktisch inexistent. Gleichzeitig geleistete verordnungsbeeinflussende Rabatte & Kickbacks gefährden die sichere Arzneimittelverordnung zusätzlich, da Ärzte oder Apotheker deswegen in einem Interessenskonflikt stehen, die beobachteten Nebenwirkungen oder Interaktionen, wenn überhaupt, nur mit dem Hersteller ohne Meldung gegenüber swissmedic besprechen, um das vorliegende preisschützende Labelling des Medikaments nicht zu gefährden.
Nur über industrieunabhängige Zweckmässigkeitsforschung kann der Nutzen gemäss WZW-Regelung genau erhoben werden. Reformvorschläge zur Preisbildung sowie industrieunabhängigen Zweckmässigkeitsforschung zur Förderung der Behandlungssicherheit/-erfolgs scheiterten, da die wirtschaftlich lobbyierten Interessen der Pharmaindustrie leider höher eingestuft werden als die patientenschützenden Interessen seitens Patientenschützer.
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