PIPImplantate

Gerissenes Brustimplantat der Firma PIP mit billigem Industrie-Silikon gefüllt © ARD

Brustimplantante: Auf Gütesiegel war kein Verlass

Natalie Perren /  Ein Gericht in Toulon sagt: Der TÜV ist mitverantwortlich für fehlerhafte Brustimplantate. Auch in Deutschland sind Klagen hängig.

Schon lange bevor der Skandal um die Billig-Brustimplantate der französischen Firma PIP bekannt wurde, wussten Prüfer des TÜV Rheinland von Mängeln im Qualitätsmanagement der Firma. Trotzdem führte der TÜV beim französischen Hersteller keine unangemeldeten Kontrollen durch und zertifizierte die PIP-Implantate bis 2010 weiter. Das haben Recherchen des ARD-Wirtschaftsmagazins «Plusminus» aufgedeckt.
So haben Chirurgen Hunderttausenden Frauen auf der ganzen Welt fehlerhafte Brustimplantate eingesetzt, die mit billigem Industrie-Silikon gefüllt waren. Sie hatten sich auf das CE-Siegel des TÜV verlassen, der für die Zertifizierung des Herstellers verantwortlich war. Doch die PIP-Kissen rissen in vielen Fällen, und das ausgetretene Silikon verursachte bei zahlreichen Frauen Entzündungen. Nachdem der Skandal im Jahr 2010 aufflog, liessen sich viele Frauen die minderwertigen Implantate entfernen. Eine teure und schmerzhafte Prozedur.
Opfer und Importeure fordern Schadenersatz
Auch für den TÜV Rheinland könnte der Skandal teuer werden. Laut dem Handelsgericht im französischen Toulon ist das Prüfinstitut haftbar, weil es «Kontroll- und Aufsichtspflichten vernachlässigt» habe. Der TÜV soll Opfern und Importeuren mehrere Millionen Euro Schadenersatz zahlen. Der TÜV hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Der Skandal um Billig-Implantate beschäftigt auch Gerichte in Deutschland. Die AOK-Bayern, eine der grössten Krankenkassen, fordert vom TÜV Rheinland 50’000 Euro zurück, die sie für das Entfernen der schadhaften Brustimplante gezahlt hat. Der Vowurf: Die Kontrollen waren nicht streng genug. Auch deutsche Frauen klagen – bislang jedoch ohne Erfolg. Kein Gericht war bisher der Ansicht, dass der TÜV seine Pflichten verletzt habe.
Der TÜV hatte eine Verantwortung stets zurückgewiesen und sieht sich selbst als Opfer. Seine Aufgabe war, die Produktunterlagen sowie das das Management zur Qualitätssicherung des Herstellers zu prüfen – aber nicht die Implantate. Die Kontrolleure seien vom mittlerweile insolventen Hersteller getäuscht worden, argumentieren die Anwälte des TÜV. Der Betrug mit dem gepanschten Silikon sei nicht erkennbar gewesen.
CE-Siegel trotz Qualitätsmängeln
Laut «Plusminus» gab es jedoch schon früh Hinweise, dass der Implantate-Hersteller es mit der Qualität nicht so genau nahm. Interne Berichte zeigen: Bereits 1996 stellte der TÜV beim Managementsystem zur Qualitätssicherung «62 Abweichungen» fest – 7 davon waren sogar «wesentliche Abweichungen». So war die Person, die für die Qualität der Implantate in der Firma zuständig war, für diese Aufgabe gar nicht genügend ausgebildet. Ein schwerer Mangel, der nach Ansicht des Experten Professor Christian Johner dazu führen kann, dass einem Hersteller die Zertifizierung verweigert wird. Dennoch bekamen die Implantate 1997 vom TÜV-Rheinland das CE-Siegel. Das ist entscheidend für den europaweiten Marktzugang.
Die lasche europäische Praxis bei der Marktzulassung von Medizinalprodukten steht immer wieder in der Kritik. Hersteller können eine Prüfstelle nach ihrer Wahl beauftragen. Die Prüfstellen werden von den Herstellern bezahlt und sind von deren Aufträgen abhängig. Das bedeutet: Allzu streng dürfen die Institute nicht sein. Wer als streng gilt, muss mit weniger Aufträgen rechnen – ein klassischer Interessenkonflikt. (Siehe Artikel «Auch Schweizer Patienten sind Versuchsobjekte»).
«Unregelmässigkeiten» beim verwendeten Silikon
Professor Christian Johner schult seit Jahren die Kontrolleure von Prüfeinrichtungen, auch den TÜV. Eine der wichtigsten Kontrollen für ihn ist die Rechnungsprüfung. Sie gibt Auskunft darüber, woher die verwendeten Materialien stammen und von welcher Qualität sie sind. Beim Silikon für die PIP-Implantate stellte der TÜV bereits im Jahr 2001 sieben «Unregelmässigkeiten» fest. Trotzdem liess man den französischen Hersteller gewähren.
Aufschlussreich sind auch die Rechnungen: Zwischen 2005 und 2009 kaufte die Firma PIP nur rund 27’000 Kilogramm medizinisches Silikon – eine unwahrscheinlich geringe Menge für die grosse Anzahl verkaufter Implantate. Heute weiss man, dass mit billigem Industriesilikon gepanscht wurde. Hätte das den Kontrolleuren vom TÜV nicht auffallen müssen? Haben sie die Rechnungen überhaupt geprüft? Und warum gab es keine unangemeldeten Kontrollen? «Plusminus» fragte nach, doch die Verantwortlichen verweisen auf die laufenden Gerichtsverfahren und wollten sich dazu nicht äussern.
PIP-Implantate in den USA seit 2000 verboten
Pikant: Bereits im Jahr 2000 haben amerikanische Aufsichtsbehörden die PIP-Implantate in den USA verboten. Sie stellten Verstösse im Herstellungsprozess und bei der Qualitätskontrolle fest. Doch auch da reagierte der TÜV Rheinland nicht. Man habe davon erst im Jahr 2011 erfahren – nach Aufdeckung des Betruges, behauptet die TÜV-Anwältin. Das wirft kein besonders gutes Licht auf die Prüfstelle. Denn die Warnung war seit zehn Jahren für jedermann sichtbar auf der FDA-Website veröffentlicht.


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