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Die SUVA hätte Hunderte von Asbestopfer verhindern können © Dantzan/Flickr/CC

Asbestopfer: Keine freiwilligen Beiträge der SUVA

Urs P. Gasche /  Die SUVA ist für Hunderte Asbestopfer in der Schweiz verantwortlich. Trotzdem will sie in den Entschädigungsfonds nichts zahlen.

Eine neue «Stiftung für Asbestgeschädigte» soll Asbestopfer «rasch und unkompliziert» finanziell unterstützen. «Rasch» vielleicht in Zukunft, unterdessen aber sind schon sehr viele Asbestopfer und ihre Angehörigen gestorben. Und für eine «unkomplizierte» Abwicklung bräuchte es einen Asbestfonds mit 100 Millionen Franken. Bisher liegen von der Wirtschaft freiwillige Zusagen für lediglich 30 Millionen vor.
Unter den Abwesenden befindet sich ausgerechnet die SUVA. Sie beschränkt sich strikt auf Zahlungen, für die sie als Versicherung gesetzlich verpflichtet ist. Sie ist also nicht «mehr als eine Versicherung», wie sie in der Werbung behauptet. In den letzten dreissig Jahren musste sie Leistungen an Asbestgeschädigte von insgesamt rund einer Milliarde auszahlen. «Der gesetzliche Leistungskatalog ist abschliessend und sieht weitergehende Zahlungen nicht vor», erklärt Suva-Sprecher Serkan Isik. Die neue Stiftung konzentriere sich «in erster Linie auf Personen, die nicht UVG-versichert sind». Aber eben: nur «in erster Linie».
Moritz Leuenberger, der den runden Tisch zur Vorbereitung der Stiftung geleitet hatte, kritisierte an der Medienkonferenz vom 19. Dezember, dass die kantonalen Gebäudeversicherungen nichts beitragen wollen. Diese hätten nicht einmal am runden Tisch teilgenommen. Bezüglich der Suva wollte sich Leuenberger gegenüber Infosperber nicht näher äussern: «Die Finanzierung durch weitere Zahler als diejenigen, die sich bis heute verpflichtet haben, ist eine der Hauptaufgaben des künftigen Stiftungsrates

Keine Aufbereitung der Vergangenheit

Die SUVA hätte Grund, grosszügiger zu sein und den Fonds mit zu finanzieren. Denn ihre Politik gegenüber Asbestopfern war alles andere als rühmlich. Als Versicherung hatte sie in erster Linie darauf geschaut, nur ein Minimum zahlen zu müssen. Diese düstere Vergangenheit hat die SUVA nie unabhängig aufarbeiten lassen. Interessieren würde zum Beispiel die Rolle, welche die gut bezahlten 16 Gewerkschaftsvertreter gespielt hatten.

Nach eigenen Angaben hat die SUVA bis heute rund 3000 berufsbedingte Asbestopfer «anerkannt», die am tödlichen Krebs erkrankt sind. Die meisten von ihnen sind bereits gestorben, weil die Überlebenszeit nach Ausbruch des Brustfell- oder Lungenkrebses relativ kurz ist.
Die Dunkelziffer der nicht registrierten, und deshalb auch nicht mit einer Rente entschädigten Fälle, ist hoch.
Noch vielen Arbeitern, die mit Asbest in Berührung kamen, steht der grausame Asbestkrebs-Tod noch bevor. Denn bis der unheilbare Krebs ausbricht, kann es vierzig Jahre dauern. Arbeitgeber waren und sind fein raus, weil in der Schweiz eine absolute Verjährungsfrist von nur zehn Jahren seit Inverkehrbringen eines schädlichen Produkts gilt. Deshalb können beispielsweise auch Glyphosat-Hersteller ohne Langzeitforschung behaupten, ihr Produkt sei sicher. Für Schäden, die erst nach zehn Jahren auftreten, haften sie nicht.

Hunderte starben und sterben nur deshalb, weil die SUVA und etliche Arbeitgeber versagt haben
Den schwarzen Peter schieben sich SUVA und Arbeitgeber gegenseitig zu. Die SUVA sei für «die Sicherheit der Arbeitnehmer» gar nicht zuständig, hatte sich der SUVA-Sprecher Manfred Brünnler zitieren lassen. Zuständig seien die Arbeitgeber.
Gleichzeitig schoben Arbeitgeber wie die Lötschbergbahnen BLS den Ball der SUVA zu und entschuldigten sich, sie hätten sich «immer an die Sicherheitsvorschriften der SUVA gehalten». Zuvor hatte der Sonntags-Blick enthüllt, dass die BLS Asbestsanierungen von Waggons fahrlässig durchführen liessen und Arbeiter einer unnötigen Asbestbelastung ausgesetzt hatten.

Doch so leicht, wie sich die BLS herausredeten, können sich Arbeitgeber nicht aus der Affäre ziehen: Denn sowohl das Arbeits- als auch das Unfallversicherungsgesetz verpflichten die Arbeitgeber – unabhängig von SUVA-Vorschriften –, zum Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer alles Zumutbare vorzukehren.
Die SUVA meldete sich freundlich an
Aber auch die SUVA war und ist in der Verantwortung: Sie kann Schadstoffgrenzwerte festsetzen, Masken und andere Schutzmassnahmen vorschreiben und den Arbeitgebern an Ort und Stelle auf die Finger schauen. In aller Regel tat dies die SUVA nach freundlicher Voranmeldung. Die Betriebe waren gewarnt und konnten sich vorbereiten.
Um Renten und Integrationsentschädigungen geprellt
Die SUVA hat die Krankheit Asbestose und den Asbest-Krebs viel zu zögerlich als berufsbedinge Krankheiten im Sinne des Gesetzes anerkannt. Viele Arbeitnehmer wurden zu ahnungslosen Opfern. Sie erhielten oder erhalten weder Renten noch Integrationsentschädigungen.

AUS DEM ASBEST-SÜNDENREGISTER DER SUVA

Die Asbest-Tragödie zeigt:

  • Die SUVA handelte zögerlich,
  • informierte betroffene Arbeiter nicht,
  • behandelte grobfahrlässige Unternehmen mit Samthandschuhen.

1. Schon 1918 hatte sich eine Lebensversicherung in New York geweigert, mit Asbestarbeitern Lebensversicherungen abzuschliessen, weil zu viele an der Asbestkrankheit Asbestose erkrankten. Erst 1953 anerkannte die SUVA die Asbestose als gesetzliche Berufskrankheit – zwanzig Jahre nach Deutschland und Österreich. Heute behauptet die SUVA irreführend, sie habe Asbestose schon 1939 als Berufskrankheit anerkannt. Dabei handelte es sich jedoch nur um Einzelfall-Anerkennungen und nicht um die Anerkennung als Berufskrankheit im Sinne des Gesetzes.
2. Das besonders gefährliche Spritzen mit Asbest hatten die BRD, die DDR, Frankreich, Holland, Schweden, Dänemark und die USA schon längst verboten, als die SUVA immer noch behauptete, es werde in der Schweiz seit 1973 nicht mehr gespritzt. Entgegen dieser Behauptungen der SUVA wurde in der Schweiz tatsächlich noch bis 1976 Asbest gespritzt. Die SUVA hatte keine Übersicht, weil sie keine Meldepflicht eingeführt hat.
3. Dass die SUVA von ihrer Kompetenz, eine Meldepflicht für Asbestarbeiten einzuführen, keinen Gebrauch gemacht hat, erwies sich als folgenschwer. Spätere Versuche, Gebäude mit Spritzasbest ausfindig zu machen, waren lückenhaft. Immer wieder hantierten und hantieren Arbeiter bei Umbauten und Abbrüchen mit dem äusserst gefährlichen Spritzasbest, ohne Schutz und ohne sich der Gefahren bewusst zu sein. Ebenso geht es Hunderten von Arbeitern, welche Fussböden mit Asbestunterlagen abreissen oder asbesthaltige Elektrokästen demontieren. Die allermeisten dieser Arbeiter werden von der SUVA nicht erfasst und riskieren zwanzig bis vierzig Jahre später einen grausamen Asbestkrebs-Tod.
4. Deutliche Indizien für eine Krebsgefahr gab es bereits vor dem Zweiten Weltkrieg. 1964 hat Asbestforscher Irving Selikoff schliesslich unumstösslich bewiesen, dass sogar kleinste Mengen Asbestfasern nach einer langen Latenzzeit unheilbaren, tödlichen Krebs verursachen. Doch die SUVA setzte Grenzwerte für Asbeststaub an den Arbeitsplätzen viel zu zögerlich und zu spät herab, weil sie nur die Asbestkrankheit Asbestose als Grundlage nahm und die Krebsgefahr lange ignorierte.
5. Etliche Länder verboten 1978 bestimmte Asbestprodukte. Doch die SUVA war immer noch damit beschäftigt, den Asbeststaub an den Arbeitsplätzen weiter zu reduzieren, erlaubte aber trotzdem immer noch doppelt so viel Asbeststaub wie die Behörden in Schweden.
6. Erst ab 1979 mass die SUVA den Asbeststaub in Werkstätten der SBB und der BLS sowie in Industriebetrieben – stets nach Voranmeldung, so dass sich die Betriebe auf die Kontrollen vorbereiten konnten. Die Resultate ihrer Schadstoff-Messungen teilte die SUVA den betroffenen Arbeitern nicht mit – auch heute noch nicht –, häufig nicht einmal die Befunde von Röntgenaufnahmen. Die von den Firmen bezahlten Betriebsärzte verheimlichten die medizinischen Befunde gegenüber den Beschäftigten oft ebenfalls.
7. Ein Beispiel: Beim früheren BBC-Arbeiter Heinrich Moser zeigten Röntgenbilder schon 1984 Anzeichen einer Asbestose. Weder die SUVA noch die BBC (heute ABB) noch der Betriebsarzt der BBC teilten dies Moser mit. Sie versetzten Heinrich Moser nicht einmal an einen asbestfreien Arbeitsplatz. Deshalb wurde Moser zusätzlichem Asbest ausgesetzt.
Bis zu seinem Asbesttod im Jahr 2000 lud die SUVA Heiner Moser zu keiner einzigen Nachuntersuchung ein. Der ahnungslose, erkrankte Moser erhielt zu Lebzeiten weder eine SUVA-Rente noch eine SUVA-Integritätsentschädigung. «Ein Einzelfall», verteidigte sich die SUVA-Geschäftsleitung. Erst nach weiteren Beweisen musste der SUVA-Chefarzt eine «arbeitsmedizinische Katastrophe» in diesem BBC-Betrieb zugeben.
8. Bei der BBC waren viele weitere Arbeiter von der Asbest-Exposition betroffen. Obwohl damals wissenschaftlich erwiesen war, dass Raucher, die Asbestfasern einatmen, ihr Lungenkrebsrisiko um das Sechzigfache erhöhen, liess die SUVA Mosers rauchende Arbeitskollegen weiter im Asbeststaub arbeiten.
Später behauptete die SUVA kühn, am Lungenkrebs dieser Arbeiter sei nur das Rauchen schuld gewesen und hat Entschädigungen verweigert.
9. Als der Kassensturz 1988 aufdeckte, dass die Sanierungsfirma Belfor (damals RAG) minderjährige Schweizer Temporärarbeiter – zum Teil ebenfalls Raucher – unter Verletzung mehrerer SUVA-Vorschriften grobfahrlässig einem hohen Risiko aussetzte, versprach die SUVA öffentlich, die Adressen dieser Arbeiter zu erfassen und ihnen regelmässig Nachuntersuchungen anzubieten.
Doch die SUVA hat diese Minderjährigen seither nicht ein einziges Mal kontaktiert. Kein Wunder: Die Versicherungsanstalt würde in späteren Jahren das Zahlen von Renten riskieren.
Falls einige dieser damals minderjährigen Schweizer Temporärarbeiter im Alter von fünfzig Jahren an Krebs sterben, würde nur eine Autopsie verraten, dass der Asbestkontakt schuld war. Die Dunkelziffer ist deshalb hoch. Sanktionen gegen die fehlbare Belfor hat die SUVA trotz flagranter Verletzung von SUVA-Vorschriften keine ergriffen.
Auch in vielen andern Fällen war die SUVA-Devise «Aus den Augen, aus dem Sinn», namentlich bei Gastarbeitern, die wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten. Einige wenige in Italien wehren sich jetzt nachträglich – wahrscheinlich zu spät.
Nachdem sich die Suva praktisch nie um den Kontakt und die Adressen von Asbestarbeitern bemüht hat, musste sie auf Druck Italiens und auf Druck der Medien im Jahr 2009 mit der dortigen Unfallversicherung eine Vereinbarung unterzeichnen, um italienische Ärzte für Asbest-Krebsfälle von zurückgekehrten Asbestarbeitern zu sensibilisieren. Viele sterben an Lungenkrebs, ohne dass die Ursache Asbest bekannt wird.
Mit andern Ländern hat sich die Suva um keine solchen Abkommen bemüht.
10. 1996 deckte der Sonntags-Blick auf, dass die Firma Schadegg aus Hermetschwil AG beim Sanieren von Bahnwagen grobfahrlässig vorging. Wegen einer angeblichen «Schweigepflicht» wollte die SUVA nicht sagen, ob sie Sanktionen gegen die Firma ergriffen hat. Jedenfalls führte die SUVA die Firma Schadegg weiterhin unbekümmert unter den «geprüften» Firmen auf, welche die Vorschriften angeblich einhalten.
11. Gegen allfällig strenge Vorschriften und Massnahmen, welche die SUVA Unternehmen auferlegt, haben nur die Arbeitgeber ein Rekursrecht. Für ein gleiches Rekursrecht der Arbeitnehmer – im Fall von zu lockeren Vorschriften und ungenügenden Massnahmen, hat sich die SUVA nie eingesetzt. Ihre Partner sind die Arbeitgeber.
Noch heute haben Schweizer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen kein Recht zu erfahren, wie vielen Schadstoffen sie am Arbeitsplatz ausgesetzt sind – im Gegensatz zu Beschäftigten in den USA.
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Diese «Asbest-Sünden» der Suva hat Infosperber erstmals am 12. Februar 2012 veröffentlicht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor hat die Asbestpolitik seit 38 Jahren als Journalist verfolgt und regelmässig darüber publiziert.

Zum Infosperber-Dossier:

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Ob wir gesund bleiben, hängt auch von Bewegungsmöglichkeiten, Arbeitsplatz, Umwelt und Vorsorge ab.

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2 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 22.12.2016 um 10:41 Uhr
    Permalink

    Offensichtlich will die SUVA auch deswegen nichts bezahlen, weil es indirekt eben auch ein Schuldeingeständnis wäre. Der Artikel verdiente als Buch ausgebaut zu werden, sofern es nicht schon etwas Entsprechendes gibt. Es handelt sich hier um heikle Themen, die beispielsweise bei Erwin Kochs biographischem Gespräch mit dem abgetretenen SUVA-Präsidenten Franz Steinegger, einem SUVA-Buch, nicht angesprochen wurden. Hier tritt Infosperber wieder mal in eine echte Lücke. Ich würde ohnehin auf das Schlagwort «Lügenpresse» zugunsten der sachlicheren Bezeichnung «Lückenpresse» verzichten.

  • am 4.01.2017 um 18:58 Uhr
    Permalink

    Ein Dankeschön an den Autor am Thema weiterhin dran zu bleiben und eine Stimme für diejenigen zu sein, denen keine Möglichkeit offen steht sich effektiv für ihre Sache einzusetzen.

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