Kommentar

Sprachlust: Im Reich der Überzeugungsredner

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Täglich zuhauf in Zeitungen: Dieser oder jene «ist überzeugt», etwas sei so und so. Gehts wirklich um Überzeugungen, und um echte?

«Mark Streit ist überzeugt, dass die Schweiz aus den Niederlagen gegen Finnland und Kanada die richtigen Schlüsse gezogen hat.» Sätze wie diese Bildlegende liest man in Zeitungen zuhauf: Jemand hat etwas gesagt, und es wird mit der Behauptung wiedergegeben, er oder sie habe damit eine Überzeugung geäussert. Sogar wenn es stimmen sollte: Woher weiss es die Zeitung? Hat die Person gesagt, sie sei überzeugt? Dann könnte eine journalistisch korrekte Formulierung so lauten: «Mark Streit zeigt sich überzeugt …». Damit bliebe offen, ob der Captain der Eishockey-Nationalmannschaft (sie ist hier «die Schweiz») nur Zweckoptimismus betrieben hat oder ob er kraft seines Amtes zur fundierten Überzeugung gelangt ist, sein Team habe die richtigen Schlüsse verinnerlicht und werde danach handeln. Dass er gemeint haben könnte, die Schlüsse seien wohl gezogen worden, aber man sei nicht fähig oder nicht willens, ihnen zu folgen, wollen wir ja nicht annehmen.
Im vorliegenden Fall gibt es sogar die Möglichkeit, die Aussage zu überprüfen, denn das Bild mit Legende begleitet ein Interview. Und darin ist, jedenfalls im abgedruckten Teil, weder direkt noch indirekt von Überzeugungen die Rede. Vielmehr sagt der Spitzenspieler über die Niederlagen: «Wir müssen die richtigen Schlüsse daraus ziehen und als Mannschaft wachsen.» Und nennt dann genau einen Schluss, nämlich dass die Mannschaft «jeden Gegner unter Druck setzen» könne.
Die Angst, «sagen» zu sagen
Wer die fragliche Bildlegende verfasst hat, ist in zahlreicher Gesellschaft: Ein Blick in die Schweizer Mediendatenbank SMD zeigt für letzten Samstag 118 Einträge des Worts «überzeugt» in genau dieser Form. Einige wenige gehören zu Sätzen wie: «Sie hat viele überzeugt.» Gemäss Stichproben stammt bestenfalls die Hälfte aus direkter Rede, also zumindest aus dem Versuch, Überzeugung auszustrahlen. Der grosse Rest entspricht dem eingangs zitierten Muster, jemandem eine Überzeugung in den Mund zu legen – wie stark das gerechtfertigt ist, muss der jeweilige Zusammenhang zeigen, und er wird kaum je einen Blick ins Innerste der Zitierten erlauben.
Oft wird es so sein, dass sich die Presseleute gar keine Gedanken über den Seelenzustand des Gegenübers gemacht hatten, sondern schlicht nach Abwechslung suchten, um nicht immer «sagen» zu sagen. Durch den häufigen Gebrauch ist «überzeugt sein» gewissermassen zum Verb der (nachdrücklichen) Äusserung geworden, obwohl davon nach dem Wortsinn keine Rede sein kann. Aber wenn niemand davon überzeugt ist, es werde mit diesem Ausdruck eine Überzeugung mitgeteilt, ist der Schaden nicht allzu gross.
Taten in den Mund gelegt
Neben dem journalistischen Problem mit «überzeugt sein» gibt es auch ein allgemein sprachliches: Das Bestreben, etwas anderes als «sagen» zu sagen, treibt immer buntere Blüten. Zum Beispiel diese: «Man habe schon des Öfteren ähnliche Probleme gehabt und sie immer überwunden, klopften sie sich auf die Schulter.» Das würde auch auf die Eishockeyaner passen, aber es ging um die EU-Aussenminister. Man könnte meinen, sie hätten sich mit handgreiflichen Morsezeichen verständigt.
Was ich da beklopfen will: Wenn es nicht um Körpersprache geht, ist «auf die Schulter klopfen» nun wirklich kein Ausdruck der Äusserung. Hier wurden den Ministern keine Worte, wohl aber Taten in den Mund gelegt. Einige der Politiker werden etwas über das Überwinden von Problemen gesagt haben, und dass sie es mit der Absicht taten, sich gegenseitig Mut zu machen oder einander zu loben, ist durchaus möglich. So wie es auch denkbar ist, dass sie damit eine Überzeugung ausdrückten. Aber wenn man über solche Motive Vermutungen anstellen will, sollte man es als Journalist ausdrücklich tun, nicht beiläufig in eine Formulierung verpackt, die erst noch sprachlich verunglückt ist.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel»; Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund».

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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