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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Ein kluger Rat – Spiele im Notvorrat

Synes Ernst. Der Spieler /  Glücklich die Menschen, die jetzt auf eine Sammlung von Spielen zurückgreifen konnten. Eine gute Vorsorge zahlt sich auch hier aus.

«Menschen möchten gemeinsam etwas erleben – auch und gerade in Zeiten, in denen wir viel zu Hause sind. Das ist ein Grund, warum in diesem Jahr in vielen Haushalten Brettspiele mehr denn je auf den Tisch kommen.» Ich kann die Feststellung, mit denen Harald Schrapers, Vorsitzender der Kritikerjury, diese Woche die Bekanntgabe der Nominierungen und Empfehlungen zum «Spiel des Jahres 2020» eingeleitet hat, nur bestätigen. Das zeigt sich nicht nur bei Gesprächen im persönlichen Umfeld, in denen man viel aufs Spielen zu sprechen kommt, was früher so nicht der Fall war. Es zeigt sich auch bei Beobachtungen in den sozialen Medien, wo viele Menschen mehr denn je erzählen, dass sie miteinander spielen.

Unendliche Möglichkeiten

Die Gründe für diesen Trend sind naheliegend: Zum menschlichen Urbedürfnis, etwas gemeinsam mit anderen zu unternehmen, kommt hinzu, dass man in Zeiten der Einschränkungen auch die Möglichkeiten, sich miteinander zu unterhalten, im Vergleich zum Normalzustand massiv reduziert sind. Und da «Netflix irgendeinmal auch ausgeguckt» sei, wie Jury-Chef Schrapers sagte, drängt sich das Spielen in Gesellschaft mit seinen unendlichen Möglichkeiten geradezu auf.

Mit Interesse habe ich verfolgt, welche Spiele in den vergangenen Wochen und Monaten auf den Tisch gekommen sind. Eines ist mir dabei aufgefallen: Es befanden sich sehr viele ältere Titel darunter, jedoch nicht die alten Klassiker wie «Eile mit Weile» oder das «Leiterlispiel». Völlig verständlich. Denn diese und andere solche Klassiker gehören zwar zum Bestand unseres spielerischen Kulturguts und haben weiter ihren festen Platz im Spieleangebot. Aber ich mache eine Wette: Mit den Spielen aus der so genannten «guten alten» Zeit hätte man die Krise nie und nimmer überlebt. Kinder und Jugendliche, die andere und höhere Ansprüche gewohnt sind, hätten sich glatt verweigert. Zu Recht, Langeweile soll man nicht mit Langeweile vertreiben.

Rascher Zugriff

Welches sind denn nun die älteren Spiele, über die sich die Menschen in den sozialen Medien derzeit mit Begeisterung äussern? Genannt werden «Catan», «Carcassonne», «Zug um Zug», «Transamerica», «Säulen der Erde», «Tikal», «Agricola», «Kingdom Builder», «Hanabi» und viele andere mehr, alles Titel mit Erscheinungsjahr ab 1990 bis heute. Da man angesichts der Corona-Beschränkungen seit März kaum mehr neue Spiele kaufen konnte (ausser im Online-Handel), ziehe ich den Schluss, dass es in vielen Haushalten Sammlungen gibt, die mit den Klassikern und weiteren bewährten Titeln der vergangenen 30 Jahre bestückt sind. Sie dienen nun gleichsam als wertvoller Notvorrat, auf den man gerade unter diesen besonderen Umständen rasch zugreifen konnte.

Dass diese modernen Klassiker gerade jetzt eine Art Renaissance erleben, dürfte auch damit zusammenhängen, dass viele Erwachsene, die sonst von Erziehungsaufgaben, beruflichen und anderen Verpflichtungen so absorbiert sind, dass sie kaum Zeit zum Spielen haben. «Ich würde so gerne spielen, wenn ich nur wüsste, wann …», höre ich oft in Gesprächen mit Freunden. Corona-bedingt gab es nun diese Zeit, und so haben sich möglicherweise viele auf der Suche nach Abwechslung und Unterhaltung an jene Spiele erinnert, mit denen sie in den 1990er Jahren gross geworden sind. An die damaligen Hits, mit denen sie die Welt der Familien- und Erwachsenenspiele kennengelernt haben. Gute Erinnerungen an spannende Runden werden wach, und schon beginnt man, sie im Spiel mit den eigenen Kindern aufzufrischen.

Bereitstellen vor der Krise

Das Problem: Notvorräte sind nicht einfach da, wenn man sie dringend benötigt. Man muss sie bereitstellen, bevor eine Krise da ist, gemäss dem in der Schweiz seit über 50 Jahren bekannten Slogan «Kluger Rat – Notvorrat!». Die Erfahrung dieses Frühjahrs legt nahe, dass man über Reserven an Lebensmitteln und Schutzmaterial hinaus auch an Gesellschaftsspiele denken sollte. Der Einwand, dafür fehle der Platz im Keller, lässt sich leicht entkräften: Spiele gehören nicht in den Keller, wo sie auf den Notfall warten müssen/dürfen, sondern in unsere unmittelbare Lebensumgebung. Dort stehen sie uns, wann immer wir wollen, zur Verfügung, ohne dass wir sie nach Gebrauch ersetzen müssen. Bei Lebensmitteln ist das anders. Einmal gegessen, ist gegessen. Und bei Gesellschaftsspielen? Einmal gespielt – spielen wir noch eine Runde?

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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Eine Meinung zu

  • am 23.05.2020 um 12:19 Uhr
    Permalink

    Bei mir, Einmanngaushalt, ist es halt Patience und Schach gegen meinen Computer.

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