Kommentar

Bühlers würden die Grünen wählen

Beat Gerber © bg

Beat Gerber /  Doch die vierköpfige Familie* aus Burgdorf kann und will sich Klimaschutz gar nicht leisten. Wegen Geldmangels und der Umstände.

Bühlers sind (wie wir alle) entsetzt über die abbrennenden Wälder im Amazonas. Besonders die 17-jährige Tochter Nadine macht sich grosse Sorgen um die Lunge unseres Planeten. Mit ihren Kameradinnen aus der zweiten Gymnasiumklasse ging sie auf den Bundesplatz demonstrieren. An jenem Samstag des 28. September fuhr ihre Mutter Martha den Vater Bruno zu seiner allwöchentlichen Jassrunde in den «Frohsinn». Wie üblich am Steuer des bewährten Occasions-SUV, eines erschwinglichen Dacia Duster. Martha Bühler ging danach einkaufen, meistens für die ganze kommende Woche. Das Shopping Center liegt etwas ausserhalb der Stadt. Gut bestückt mit Migros, Coop, Denner, Aldi und Lidl. Sowie einem grosszügigen Parkplatz.
Bühlers wohnen in Burgdorf, dem Tor zum Emmental, in einem Block aus den 1970er-Jahren. Die Hauswände sind immer noch schlecht isoliert, die Heizung verbrennt zu viel Öl. Die Warmwasserbereitung ebenso. Der Besitzer will trotz Subventionen nicht gross ökologisch investieren, sonst müsse er die Zinsen um einiges erhöhen. Die langjährigen Mieter halten sich daher still.
Bühlers gehören zum unteren Mittelstand. Vater Bruno arbeitet bei einer Privatfirma als Mechaniker, der die technischen Anlagen funktionstüchtig hält. Mutter Martha geht bei den Bessergestellten putzen und macht älteren, alleinstehenden Männern den Haushalt. Zusammen verdienen die beiden monatlich um die 6’500 Franken brutto (inklusive 13. Monatslohn). Das entspricht laut Statistik dem schweizerischen Medianlohn. Die eine Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer verdient gleichviel oder weniger, die andere bekommt mehr ins Portemonnaie.
Moralische Verhaltensappelle ohne Gehör
Bühlers lesen Gratiszeitungen, zumindest die Eltern. Tochter Nadine ist oft auf Google, Facebook und YouTube anzutreffen, Sohn Patrick (14) vergnügt sich beim Gamen. Gelegentlich schauen Bruno und Martha die Tagesschau oder das Regional-TV. 10vor10 kommt relativ spät, der Vater ist bereits am Dösen. Von der Klimaforschung wissen sie wenig. Klar, die Erde erwärmt sich, es gibt mehr Stürme und Dürren. Aber auch in der Schweiz? Klimaforscher wie Reto Knutti von der ETH Zürich und Thomas Stocker von der Uni Bern, die sich prominent gegen die globale Erwärmung ins Zeug legen, kennen sie nicht. Wissenschaftliche Erkenntnisse und damit verknüpfte moralische Verhaltensappelle erreichen grosse Teile der Bevölkerung nicht, auch bei Bühlers finden sie kein Gehör. Herbeigeschriebenes Weltuntergangsgeschwätz, meint Vater Bruno.
Tochter Nadine ist da besser im Bild, weist aber auch differenziert auf Widersprüche hin. Zum Beispiel: Der Abbau von Lithium ist ökologisch sehr problematisch. In Portugal ist deswegen eine idyllische Tourismus- und Landwirtschaftsregion bedroht (Courrier international, 07.10). Auch die Schinderei der Minenarbeiter in Südamerika und Afrika ist kein Vorzeigebeispiel für Nachhaltigkeit (NZZ, 09.10.). Die Lithium-Batterien für Elektroautos haben demzufolge (noch) ein paar böse Schönheitsfehler. Alles kompliziert, nicht so einfach. Gymnasiastin Nadine weiss das aus dem Unterricht, sie will später Umweltwissenschaften studieren.
Bühlers müssen nicht unten durch, aber mit dem Geld besonders sorgsam umgehen. Der Bruttojahreslohn von insgesamt 78’000 Franken bringt die Familie auf keinen vermögenden Zweig. Nach Abzug von AHV/IV/EO (8’000), Pensionskasse (4’500), Steuern (8’500, Kanton Bern), Krankenkasse und anderen Versicherungen (12’500), Miete mit Nebenkosten (17’000), Auto mit Amortisation und Garage (6’500), Arzt- und Spitalkosten (2’000), Schulauslagen für die beiden Kinder (1’500) sowie Rückstellungen für das geplante Studium der Tochter (2’500) bleibt nicht mehr viel übrig. Hinzukommt ein bescheidenes Stipendium für die Tochter von 2’000 Franken. Unter dem Strich gibt das nicht mehr her als 17’000 Franken pro Jahr für das Essen, die Ferien und Taschengeld für die Kinder und Eltern. Man rechne!
Bio nur für Bessergestellte
Bühlers und Bio, das liegt überhaupt nicht drin, Biogemüse ist bis zu 50 Prozent teurer, Biofleisch fast um einen Fünftel. Vater Bruno hält rein gar nichts von Vegetariern, sein Grill nimmt ihm keiner weg. Man gedenke kurz Kurt Weill: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Von den Preisen für regionale Frischprodukte auf dem Wochenmarkt ganz zu schweigen. Das sei nur für Bessergestellte, sagt Mutter Martha. Eindeutig zu teuer ist die Schweiz auch für Ferien. Bei Hotels und Chalets in den Bergen oder im Tessin müssen Bühlers passen. Da fliegt man bedeutend günstiger in die Türkei oder nach Griechenland. Sogar die Karibik ist billiger. CO2-Bilanz hin oder her. Denn schliesslich will man ans Meer und am Strand einmal im Jahr intensiv faulenzen.
Bühlers sind sonst ökologisch recht offen, aber finanziell sehr eingeschränkt. Beim Energieverbrauch, Auto, Einkauf und den Ferien haben sogenannt nachhaltige Angebote bei Bühlers keine Chance. Auch die Umstände sind widrig. Die Politik kommt Bühlers, also der Hälfte der Bevölkerung, diesbezüglich nicht entgegen. Wirksame Lenkungsmassnahmen sind realistisch gesehen nicht in Sicht. Belohnt wird Klimaschutz (vorläufig) nicht.
Votum gegen eigene Vorteile
Bühlers würden aber trotzdem die Grünen ins Schweizer Parlament wählen. Ihre Tochter besteht darauf und hält ihre Eltern verdientermassen von rechtspopulistischen Verführungen ab. Doch eigentlich stimmen Bühlers mit diesem Votum gegen ihre Interessen, weil damit Heizöl, Benzin, Kerosin und das Essen teurer werden. Jedoch ohne echten Nutzen für diejenigen, die sich umweltgerecht verhalten. Allerdingst stimmt das Schweizervolk meistens gegen seine Vorteile, z.B. gegen mehr Ferientage und gegen mieterfreundlichere Gesetze. Aus unergründlicher Angst vor den Arbeitgebern (früher Patrons) und den Vermietern. Grotesk, aber wahr.
Bühlers werden jedoch den Eidgenössischen Wahlen fernbleiben. Sie gehören damit zur Hälfte der Bevölkerung, die sagt, dass die da oben in Bern ohnehin machen, was sie wollen. Ihren Einfluss erachten diese Bürgerinnen und Bürger als überaus beschränkt. Beim Klimaschutz, einer globalen Problematik, haben Bühlers gar nicht so unrecht. Hoffnungsträgerin Nadine wird also noch lange auf gesellschaftliche Veränderungen warten müssen, die Emme bis dahin noch viel Wasser in die Aare tragen. Zum Glück hat Nadine einen langen, kämpferischen Atem. Der Klimawandel hingegen passiert von selbst.
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*Die Mitglieder der Familie Bühler sind Kunstfiguren und keineswegs identisch mit Personen gleichen Namens.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der langjährige Wissenschaftsjournalist des «Tages-Anzeiger» war bis 2014 Öffentlichkeitsreferent der ETH Zürich. Er publiziert heute auf seiner satirischen Webseite «dot on the i».

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Beat Gerber

Der langjährige TA-Wissenschaftsjournalist und ehemalige ETH-Öffentlichkeitsreferent publiziert auf www.dot-on-the-i.ch Texte und Karikaturen. Kürzlich erschien sein erster Wissenschaftspolitkrimi «Raclette chinoise» (Gmeiner-Verlag).

4 Meinungen

  • am 17.10.2019 um 11:05 Uhr
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    "Klar, die Erde erwärmt sich, es gibt mehr Stürme und Dürren."

    Es ist schon erstaunlich, wie eine solche Behauptung in einem solchen Kontext wiederholt wird, und sogar noch mit dem Wort «klar». Natürlich ist es eine Aussage von «Bühlers», die über die Klima-Erwärmung nicht so gut informiert sind und deshalb auch nicht wissen, dass es gemäss IPCC bezüglich der Häufigkeit von Stürmen und Dürren keine klaren Trends gibt.

    Leider scheinen aber nicht nur diese «Bühlers», sondern auch viele Journalisten in diesem Zusammenhang schlecht informiert zu sein, und man trifft immer wieder auf Falschaussagen wie dass es «klar» sei, dass es mehr Stürme und Dürren gäbe.

    Die Klima-Erwärmung ist sicher ein bedeutendes Problem, insbesondere langfristig. Deshalb ist es besonders wichtig, im Zusammenhang mit dieser Falschaussagen entschieden entgegenzutreten.

  • am 17.10.2019 um 14:43 Uhr
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    Leider liegen sie mit Ihrer Geschichte für den Schnitt der Bevölkerung völlig richtig. Mangelnde finanzielle Möglichkeiten und Bequemlichkeit sind die persönlichen Haupthindernisse für einen Wandel. Bei den Bessersituierten, zu denen meine Frau und ich nicht gehören, habe ich festgestellt, dass viele der Auffassung sind, dass ihnen einfach noch etwas zu steht im Leben: ein paar Reisen in Länder, wo man noch nie war – natürlich mit dem Flugzeug -, einen Personenwagen, der über eine gewisse Leistung und Komfort verfügt, und das fast tägliche Fleisch auf den Teller. Wie hoch muss das Wasser stehen und wie weit die Felsen runter kommen, bis frau und mann freiwillig-unfreiwillig verzichten?

  • am 18.10.2019 um 09:26 Uhr
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    Es ist gut, sich das vor Augen zu halten.
    Aber richtig spannend wird es im Anschluss daran. Was nun?
    Was lernen wir daraus? Und vor allem: Was tun wir also?
    (Mein persönlicher Schluss ist leider unerfreulich, da das Grundproblem m.E. im menschlichen Wesen angelegt ist und sich vermutlich nicht wegentwickeln wird.)
    Doch hoffen und sich engagieren macht trotzdem mehr Spass. Und dafür ist ja das Leben da. Nicht wahr? 😉

  • am 18.10.2019 um 18:14 Uhr
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    @ Adrian Engler
    Ist es nicht so, dass mit steigender Temeratur die Unordnung (Entropie) zunimmt?

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