Alsouria

Israels Premierminister Netanyahu macht Druck auf US-Präsident Trump © Alsouria

Kritik an Netanyahu: Ist sie Ausdruck von Antisemitismus?

Christian Müller /  Kritik an Israel sei die moderne Form des Antisemitismus, sagen Israel-freundliche Kreise. Die Argumentation ist kontraproduktiv.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat in den letzten Wochen alles unternommen, um US-Präsident Donald Trump zu motivieren, aus dem sogenannten Atom-Abkommen mit dem Iran auszusteigen. Seine publikumswirksame Präsentation der vom israelischen Geheimdienst Mossad aus iranischen Archiven geholten Dokumente zur Anreicherung von Uran im Iran zum Beispiel war zeitlich sehr gezielt angesetzt. So war es denn auch kein Zufall, dass Donald Trump in seiner Rede, in der er ankündigte, die Sanktionen gegen Iran wieder in Kraft zu setzen, ausdrücklich die von Netanyahu erhaltenen Informationen erwähnte.

Fast die ganze Welt bemühte sich darum, Trump zu überzeugen, dass ein Abrücken vom Atom-Abkommen die Spannungen in Nahen und Mittleren Osten und damit auch die unmittelbare Kriegsgefahr erhöhen werde. Etliche europäische Spitzenpolitiker, allen voran der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, setzten alles daran, Trump von seinem Vorhaben abzubringen. Nur einer ermunterte Trump in aller Öffentlichkeit zu diesem Schritt: Israels Ministerpräsident Netanyahu. Mit seinen Aktivitäten hat sich Netanyahu für Trumps Entscheid damit mitverantwortlich gemacht.

Harte Kritik an Trump, wenig Kritik an Netanyahu

Seither fehlt es an Kritik nicht – in Richtung der USA. Und wo ist die Kritik an Israels Ministerpräsident Netanyahu? Sie ist bis jetzt verhältnismässig leise. Aber auch das ist kein Zufall, denn in den letzten Jahren arbeitet die Israel-Lobby weltweit daran, Israel-Kritik als Ausfluss von Antisemitismus zu verstehen und als Antisemitismus zu brandmarken. Mit zunehmendem Erfolg. Welcher Politiker wagt noch offen Kritik an Israel, wenn er weiss, dass ihm dies umgehend als Antisemitismus ausgelegt wird? (Auch Infosperber hat schon darüber geschrieben.)

Dabei ist zu beobachten, dass es nicht nur irgendwelche PR-Büros im Auftrag von Israel sind, die die These propagieren, Kritik an Israel sei die moderne Form von Antisemitismus. Ja, diese PR-Büros, die über die Israelisierung des Antisemitismus schreiben, gibt es. Aber auch prominente Intellektuelle wie etwa der jüdische Herausgeber der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit», Josef Joffe, unterstützen diese These. Gerade wieder in der «Zeit»-Ausgabe vom 26. April war der Vorabdruck eines Kapitels aus einem von ihm im kommenden Herbst erscheinenden Buches, in dem er ausführlich von dreierlei Formen des Antisemitismus berichtet: vom historischen Antisemitismus, vom «Sekundär-Antisemitismus» und vom «Israelbezogenen Antisemitismus». Den Satz «Kritik an Israel ist doch kein Antisemitismus» bezeichnet Joffe als «übliche Floskel». Und ganz konkret attackiert Joffe in seinem Artikel etwa den früheren deutschen Arbeitsminister Norbert Blüm von der CDU, von dem der folgende Ausspruch stammt: «Wenn die deutsche Vergangenheit dazu benutzt wird, uns (den Deutschen) jede Kritik (an Israel) zu verbieten, dann wäre die deutsche Schuld mit (einem) Denkverbot verbunden.» Auch Anetta Kahane, Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung, zielt in diese Richtung. Sie sagt, die Frage «Wann ist Israelkritik antisemitisch?» müsse ersetzt werden durch die Frage «Wann ist Israelkritik nicht antisemitisch?»

Der Begriff «Antisemitismus» wird relativiert

Israel ist, nach eigener Bestimmung, ein «jüdischer Staat». Kann diese feste Wort-Kombination zur Folge haben, dass Kritik an diesem «jüdischen» Staat, ja sogar schon Kritik an dessen Ministerpräsidenten, also anti-jüdisch ist? Und ist Kritik an Netanyahu, an dem Mann, der unaufhörlich von Israel besetztes Land mit israelischen Siedlungen überbaut und de facto zu israelischem Staatsgebiet macht, schon antisemitisch, nur weil Netanyahu natürlich ein Jude ist?

Wer so argumentiert, hilft mit, den Begriff «Antisemitismus» zu relativieren. Der Tag ist nicht mehr allzu fern, da sich Israel-Kritiker sagen werden: «Wenn Kritik an Israel bereits Antisemitismus ist, muss ich damit leben lernen, als Antisemit zu gelten – obwohl ich nichts gegen Juden, sondern ausschliesslich etwas gegen die gegenwärtige Politik Israels habe.» Oder mit anderen Worten: Wenn Israel-Kritik bereits Antisemitismus ist, dann ist es keine Überraschung mehr, dass der ‹Antisemitismus› – jetzt eben im erweiterten Sinn – spürbar zunimmt.

An diese inhaltliche Relativierung des Begriffs «Antisemitismus» sollten all jene denken, die Kritik an Israel bereits als Antisemitismus brandmarken. Ihr Tun wird damit zum Gegenteil dessen, was sie zu vertreten vorgeben: dass Antisemitismus wie in Deutschland zu Hitlers Zeiten nie vergessen werden und nie mehr entstehen darf. Was besonders zu bedenken ist: Der Kampf gegen jeglichen – wirklichen! – Antisemitismus verliert mit dem Verwässern des Begriffs «Antisemitismus», mit der Ausweitung auch auf Israel-Kritik, an historisch-exemplarischer Bedeutung. Das ist klar nicht im Interesse der an vielen Orten weiterhin diskriminierten Juden.

Und was ist mit Israel-kritischen Juden?

Was von jenen, in deren Augen Kritik an Israel bereits Antisemitismus ist, meist mit Nicht-Erwähnung übergangen wird: Auch in jüdischen Kreisen gibt es mittlerweile – und es scheint sogar mehr und mehr – harte Kritik an Israel, nicht nur in Europa, auch in den USA und in Kanada. Die Infoplattform Mondoweiss zum Beispiel publiziert jeden Tag mehrere Berichte und Kommentare zu Israel und seiner Besatzungspolitik. Die Plattfom «The Real News» hat eben ein informatives Gespräch mit dem prominenten jüdischen Autor Norman Finkelstein zu Israels Politik gegenüber Gaza aufgeschaltet. Die Organisation Independent Jewish Voices Canada verurteilte öffentlich und scharf das israelische Vorgehen gegen die unbewaffneten Protestierenden in Gaza. Und jetzt kritisiert die US-amerikanische Organisation «Jewish Voice for Peace» Trump und mit ihm Netanyahu in Sachen Atomabkommen mit Iran in aller Schärfe. Wörtlich (auf ihrer Website nachzulesen): «Jewish Voice for Peace is outraged at U.S. President Trump’s announcement of the U.S. withdrawal from its nuclear agreement with Iran. This decision, made in close coordination with Israeli Prime Minister Netanyahu, is short-sighted and hawkish. It will only continue to put the U.S. and Israel at odds with the international community, and increases the chances that the U.S., and perhaps Israel, could be headed to war. On the eve of the U.S. moving its embassy to Jerusalem, this is yet another alarming instance where the U.S. and Israel stand virtually alone.»

(Die ‹Jüdische Stimme für Frieden› ist empört über Präsident Trumps Ankündigung des Ausstiegs aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran. Diese Entscheidung, gefällt in enger Abstimmung mit Israels Ministerpräsidenten Netanyahu, ist die eines Kriegsfalken und kurzsichtig. Sie wird die USA und Israel noch weiter ins Abseits der internationalen Gemeinschaft führen und die Wahrscheinlichkeit eines Krieges der USA und vielleicht auch Israels erhöhen. Am Vorabend der Verschiebung der US-Botschaft nach Jerusalem ist dieser neue Entscheid ein weiterer alarmierender Fall, wo die USA und Israel den Alleingang wählen.)

Und an gleicher Stelle: «Rabbi Joseph Berman, JVP’s Government Affair Liaison said: ‹Trump’s decision to withdraw from the Iran Deal is disastrous. The Iran Deal was a huge victory for diplomacy over war, and showed what grassroots pressure can accomplish. We are ready to fight this decision any way we can – and we will do everything in our power to keep the United States from going to war.’»

(Rabbi Joseph Berman, der Zuständige der ‹Jüdischen Stimme für Frieden› für öffentliche Angelegenheiten, sagte: ‹Trumps Entscheid, sich aus der Atom-Vereinbarung mit dem Iran zu verabschieden, ist katastrophal. Das Atom-Abommen mit dem Iran war ein riesiger Sieg der Diplomatie über den Krieg und zeigte, was Graswurzel-Bewegungen erreichen können. Wir sind bereit, diesen Entscheid zu bekämpfen, auf welche Weise wir auch immer können, und wir werden alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um die USA von einem Kriegsgang abzuhalten.›)

Gegenwärtiges Auftaktbild auf der Website der Organisation «Jewish Voice for Peace»: Stoppt die Erschiessung der Protestierenden in Gaza!

Frage:

Ist in den Augen jener, die Israel-Kritik für Antisemitismus halten, auch diese Kritik ein Ausdruck von Antisemitismus – Kritik an Israel, formuliert von Juden und jüdischen Organisationen?

  • Siehe dazu auch den heutigen Kommentar zur morgigen Verlegung der US-amerikanischen Botschaft nach Jerusalem von Gideon Levy in der israelischen Zeitung Haaretz, hier anklicken.

Und schliesslich noch ein Literaturhinweis:

David Grossman: Eine Taube erschiessen. Aus dem Hebräischen übersetzt von Anne Birkenhauer. Hanser Verlag 2018, 121 Seiten, CHF 25.50 (zu Bestellung)
David Grossmann ist ein israelischer Schriftsteller, der unentwegt darüber schreibt, wie Benjamin Netanyahus Politik Israel ins Verderben bringt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Zum Autor. Es gibt keine Interessenkollisionen.

Zum Infosperber-Dossier:

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24 Meinungen

  • am 13.05.2018 um 12:03 Uhr
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    Systemtheoretisch gesehen beschreibt die Formulierung ‹jüdischer Staat› die Kopplung einer formalen Organisation (Staat) mit zwei gesellschaftlichen Funktionssystemen: der Religion (jüdisch) und der Politik (Staat). Die Kritik an Israel bezieht sich entsprechend auf die (macht-)politischen Entscheidungen, die im Rahmen des Staates Israel getroffen werden, und nicht auf den religiösen Begründungszusammenhang. Sie ist demnach Kritik an der Politik des Staates Israel und nicht an der religiösen Fundierung dieses Staates. Desgleichen ist die Kritik an Netanyahu Kritik am Politiker Netanyahu und nicht Kritik am Juden Netanyahu.

  • am 13.05.2018 um 13:41 Uhr
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    Eine Person, einen Staat, resp. deren Vertreter zu kritisieren, ist sachbezogen – ein Schelm, der dies gleich mit Religion, o.ä. vergleichen möchte!

  • am 13.05.2018 um 13:45 Uhr
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    Der bekannte jüdische Jazz-Musiker und Autor, Gilad Atzmon ( http://www.gilad.co.uk/ ) gehört ebenfalls zu den dezidiertesten Kritikern der israelischen Politik. Aber auch er sieht sich, zu Unrecht, als Antisemit und Holocaust-Leugner angegriffen. Die Anti-Antisemiten haben zum Grossangriff gepfiffen und unternehmen alles, die Veranstalter seiner Konzerte einzuschüchtern und sie dazu zu bringen, seine Auftritte abzusagen. Ein ziemlich mafiöses Getue!

  • am 13.05.2018 um 15:25 Uhr
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    Ihre Meinung?, fragt infosperber, viel kürzer und viel einfacher lässt sich die Frage Antisemitismus ja oder nein erledigen:
    Kritik an Netanyahu und Trump ist Kritik an zwei fanatischen Machtmenschen, die leider die zwei Demokratien nicht zu verhindern vermochten. Kritik an Netanyahu ist genau so wenig Antisemitismus wie Kritik an Trump Antiamerikanismus. Netanyahu und Trump müssen nicht nur kritisiert werden, wir Demokraten aller Länder müssen ihre Macht beschränken. Wenn das ohne Blutvergiessen nicht geht, sind wir eben keine Demokratien.

  • am 13.05.2018 um 15:47 Uhr
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    Ein leidiges Thema ist das. Als Kind, in den 50-er Jahren, wurde mir der noch junge Staat Israel am Familientisch als hoch angesehen nähergebracht. Israel habe ich ich als angesehener Repräsentant des Judentums wahr genommen. Seit dem Betrug um das Abkommen von Camp David empfinde ich den Staat Israel als der jüdischen Geschichte nicht würdig. Der, der die Kritik an Israel in den Einheitstopf Antisemitismus wirft, ist selbst höchst verdächtig. Verdächtig, an intellektuellen und ethischen Defiziten zu leiden.

  • am 13.05.2018 um 17:20 Uhr
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    Ja, es gibt sie, die Israel-kritischen Juden. Wenn es vielleicht treffender wäre, sie als Netanjahu-kritische Juden zu bezeichnen. Sie sind noch eine Minderheit in Israel, aber sie werden immer stärker. Und: Sie sind die geistige Elite des Judenstaates, sie sind die Nachfahren derer, die Israel gegründet haben. Schon sehr früh haben sie bemerkt, dass die Politik der Regierungen dieses Landes in eine Sackgasse und letztlich in eine Katastrophe führt. Eine unverzichtbare Hilfe der Kritik an der nationalistischen, törichten und menschenverachtenden Politik der Machthaber in Jerusalem: Infoplattform Mondoweiss, Independent Jewish Voices Canada oder Jewish Voice for Peace. Man muss diese Quellen auch zitieren. Nur so kann man den Spiess umdrehen und diejenigen, die Menschenrechtsaktivisten als Antisemiten verunglimpfen, übler Nachrede wegen zur Rechenschaft ziehen. Man muss sich eine solche Anmache nicht bieten lassen. Unsere Gesetze schützen ebenso gegen böswillige Unterstellungen, sich antisemitisch zu verhalten, wie gegen den wirklichen Antisemitismus, den es selbstverständlich zu ahnden gilt. Da sollte der solidarische Geist zu Zug kommen. Wie in den 1930ern die junge Linke ganz Europas – es waren viele Juden darunter – gegen die von den Nazis unterstützten Francoputschisten kämpften, geht es jetzt darum, sich gegen deren Gesinnungsbrüder um Netanjahu zur Wehr zu setzen. Diesmal nicht mit Waffen, sondern mit Worten in den sozialen Medien und Online-Plattformen

  • am 13.05.2018 um 17:39 Uhr
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    Es ist halt einfach, Antisemitismus und Kritik an jüdisch dominierten Organisationen wie den Staat Israel in einen Topf zu werfen. Man braucht sich dann nicht mit der Kritik auseinanderzusetzen sondern darf sich als Opfer fühlen. Analog dazu jammern die Verschwörungstheoretiker, Super-Evangelikalen und sonstigen Ewiggestrigen, die Meinungsfreiheit liege am Boden – bloss weil der Rest der Menschheit ihre skurilen Meinungen nicht übernehmen will. Und schon dürfen auch sie sich als Opfer des bösen Systems sehen.
    Tatsache ist in Gottes Namen, dass Menschenrechte für alle Menschen gelten. Wenn Israel in der Lage wäre, dieses zu beachten, hätten sie in der Region seit 20 Jahren Frieden. Behaupte ich mal einfach so. Ihr treuester Bündnispartner, die USA, haben freilich selbst die grösste Mühe, solches zur Kenntnis zu nehmen. Die beiden sind im selben Spital krank: soziale Probleme löst man nicht militärisch. Ausser, man wolle sie behalten.

  • am 13.05.2018 um 18:04 Uhr
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    Schon seit vielen Jahren fällt mir auf, dass jegliche Kritik an der israelischen Staatsführung mit Antisemitismus gleichgesetzt wird. Leider wird dadurch jede offene Diskussion abgewürgt. Für mich gilt, jüdisch Gläubige genauso zu achten wie alle anderen Gläubigen. Trotzdem kann ich doch die Politik, welche Israel betreibt problematisch finden. Das eine ist der Glaube, das andere ist die Politik. Ich hoffe, dass diese Gleichsetzung nicht zu mehr Hass auf Juden führt.
    T. Leuenberger

  • am 13.05.2018 um 18:52 Uhr
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    Der Kern des Problems ist nicht die Figur eines mehr oder minder befähigten Premierministers. Er liegt darin, dass dieses Land, das auf völkerrechtlich schwachem Fundament errichtet wurde, seit Jahrzehnten von einer ultraorthodoxen Minderheit in Geiselhaft gehalten wird, welche die jeweils Regierenden – als Zünglein an der Waage – an der Macht halten. Diese Ultras haben weder mit den Menschenrechten etwas am Hut noch mit einer Zweistaatenlösung und schon gar nicht mit einer friedlichen Koexistenz mit den arabischen Brüdern. Sie sind rassistisch, blutrünstig und wollen die völkerrechtswidrig besetzten Gebiete in ein Grossisrael integrieren. Und weil eine mehr als zweifelhafte Figur wie Bibi Netanyahu unbedingt an der Macht bleiben muss – er ginge sonst den Weg seines Vorgängers wegen Korruption und Amtsmissbrauch in den Knast – bleibt dieses Land unfähig für den Frieden. Es erstarrt im Kriegsmodus. Dass die ultraorthodoxen Kreise den Mord an Rabin – dem einzigen israelischen Falken, der zur Taube mutierte – zu verantworten haben, unterscheidet sie um kein Jota von den von den Saudis unterstützten islamistischen Terroristen. Das macht alles nicht einfacher, aber es erklärt vieles. Sie brauchen einander.
    Eines sollte man sich aber hierzulande vor Augen führen. Der nun von Israel inszenierte neue Krieg (via Libanon gegen den Iran) wird den Nahen Osten in Feuer und Asche legen, aber die Flüchtlinge werden nicht in New York oder Florida anlanden, sondern in Europa.

  • am 13.05.2018 um 18:56 Uhr
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    Vielen Dank für diesen Artikel.
    Es ist wirklich unverschämt, wie die Bezeichnung «semitisch» politisch missbraucht wird.
    Kann ein Palästinenser «antisemitisch» sein? Andere semitische Völker? Wohl kaum.

  • am 13.05.2018 um 19:21 Uhr
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    Die Frage des Autors lässt sich ganz klar mit ‹JA› beantworten. Die Kreise, die Kritik an Israels Politik als Antisemitismus betrachten, halten auch diese jüdische Autoren für Antisemiten. Das ist absolut folgerichtig und kein Widerspruch. Es gibt immer Angörige diskriminierter Minderheiten, die sich völlig entsolidarisieren und die Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft gegenüber ihrer eigenen Minderheit mit viel Vehemenz vertreten. Aber ein anderer wichtiger Aspekt fehlt völlig in diesem Artikel. Es gibt tatsächlich sehr viel Antisemitismus, der sich in Kritik an Israel oder Israels Politik äussert. Oft lese ich auch Kommentare zu Israel, in denen ein solcher Hass gegen das Land aufblitzt, dass es schon stimmt, dass Hass auf Israel in manchen Fällen eine neue Form des Antisemitismus darstellt. Kritik an der Politik Israels ist berechtigt und muss erlaubt sein, gerade auch von Personen, die Israel grundsätzlich poitiv gegenüberstehen. Aber man muss sich bewusst sein, dass sich oft hinter dieser Kritik blanker Antisemitismus verbirgt. Man kommt nicht darum herum, hier sehr aufmerksam zu bleiben und genau auf stilistische Feinheiten zu achten. Die Antisemiten verraten sich nämlich in den meisten Fällen selber. Das Gegenteil gibt es natürlich auch, Leute, die bei jeder Kritiksofort mit dem Antisemitismusvorwurf kommen. Ist mir auch schon passiert, obwohl ich mich eigentlich als ausgesprochener Judenfreund sehe.

  • am 13.05.2018 um 21:54 Uhr
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    Ich bekenne mich als erklärter Netanjahu-Gegner + habe seit Jahren in der NZZ, im TagesAnzeiger und in Facebook immer wieder auf seine unseriöse Art des Politisierens aufmerksam gemacht.
    – Besteht die Reaktion seiner Entourage nun darin, uns Allesamt als Antisemitisten zu diffamieren, so sollen sie das doch tun.
    – Die Anliegen dieser Leute sind nicht mehr unsere Anliegen. Und Krieg im Mittleren Osten wegen dieser Hetzereien tragen wir ganz bestimmt nicht mehr mit.

    Seriöse Israel-Politik schliesst klare Aussagen zur Einkreisungspolitik des Iran mit ein. Sie sind berechtigt + rufen nach einer Lösung.
    – Sie geisseln aber ebenso die unlauteren Aussagen Netanjahus zur Verletzung des Atom-Abkommen der Iraner. Alle echten Profis weisen sie zurück.
    – Auf dieser Grundlage kämen wir weiter, auf der aktuellen ganz bestimmt nicht.

  • am 14.05.2018 um 11:21 Uhr
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    Der Spiegel 13/2009: Als Scharon 2003 in Aussicht stellte, 350 palästinensische Häftlinge freizulassen, sagte Avigdor Lieberman, jetzt Verteidigungsminister: «Es wäre besser, diese Gefangenen im Toten Meer zu ertränken."
    «Wir werden euch verbrennen» – eine der Hassbotschaften, die radikal-zionistische Israelis an die Wände einer von ihnen bei Nablus im Westjordanland angesteckten Moschee an die Wände schrieben. (Jüdische Allgemeine vom 17. Dezember 2009). Seit Beginn des Jahres 2004 töteten Palästinenser 11 israelische Kinder. Während der selben Zeit töteten wir 452 palästinensische Kinder.» –B. Michael, http://www.ynetnews.com, 05.04.2008
    "Kann jemand behaupten, ich sei Antisemit, weil ich nicht will, dass unschuldige Kinder abgeschlachtet werden? Ist das Antisemitismus? … Hoffentlich wird man verstehen, dass Druck auf Israel ausgeübt werden muss, damit es seinen Weg ändert.» – Ilan Pappe, israelischer Historiker, Verfasser des Buches «Die ethnische Säuberung Palästinas» Dezember 2009. «…deshalb, wenn wir überleben wollen, müssen wir töten und töten und töten. Alle Tage, jeden Tag.» – greift Professor Arnon Sofera am 21. Mai 2004 in der Jerusalem Post auf: «So etwas zu äussern, ein Aufruf zum Massenmord, ist in Israel kein Straftatbestand, so lange es die Palästinenser betrifft. Würde ein Palästinenser in gleicher Weise zur Ausrottung der Israelis aufrufen, würde er durch eine Fliegerbombe oder Rakete oder Todesschwadron gezielt getötet.» Jüdische Stimmen!

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 14.05.2018 um 12:52 Uhr
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    Hat nicht eben Netanjahu davon geredet, dass Jerusalem für weitere 1000 Jahre Hauptstadt Israels sein würde ?

    Klingt doch irgendwie bekannt.

    Ach die Achse der Hybris…

  • am 14.05.2018 um 18:19 Uhr
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    Wenn jeder, der Israel schadet, ein Antisemit ist, dann ist Bibi einer der grössten. Die Israelis bezeichnen die jüdischen Kritiker an der Politik der Regierung ja auch als «Selbsthasser». Im Übrigen ist es mir langsam egal, wenn ich von diesen Kreisen (Zionisten und evangelikale Christen) als Antisemit beschimpft werde. Im Gegenteil, ich fühle mich irgendwie bestätigt.

  • am 15.05.2018 um 11:21 Uhr
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    Aus semantischer Sicht ist es antisemitisch. Der Staat Israel sieht sich als jüdischer Staat, demnach werden die Staatsangehörigen jede Kritik auch als Kritik an ihrer religiösen Zugehörigkeit auffassen. Zumindest die religiösen Staatsangehörigen, da aber die Ultrareligiösen in Israel seit einiger Zeit das Sagen haben, wird allgemein alles als Kritik antisemitischer Art aufgefasst.
    Persönlich glaube ich, dass wir nicht die Religionszugehörigkeit kritisieren. Von mir aus können die an Pferdchen glauben oder an den Mond, das ist mir völlig wurscht. Was mir nicht wurscht ist, ist dass sie gegenüber den Palästinensern offenbar ihr eigenes Schicksal als Volk innerhalb eines anderen Volkes völlig vergessen haben oder die Erinnerung ausklammern. Wie sagt man so schön? Wenn Zwei das Gleiche tun, dann ist das nicht dasselbe.
    Sie stellen die Kritiker als Antisemiten dar, wahllos und ohne auch nur eine Silbe der Kritik wirklich anzunehmen. Für mich sind das faschistoide Züge einer Regierung, die im Grunde genau weiss, wie unmenschlich und falsch sie handelt.
    Ich sehe aber auch, dass die Machthaber im Staat Israel schon fast gar nicht mehr anders handeln können, weil sie nach geltendem Usus ‹Gesicht verlieren› würden, was ja bekanntlich das Schlimmste ist, was einem Machthaber passieren kann. Da müsste man ja dann auch anerkennen, dass man eigentlich unfähig ist.

  • am 15.05.2018 um 11:32 Uhr
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    Irgendwie kommt mir die ganze Israel Thematik sehr surreal vor. Sind wir Menschen als Masse wirklich so dumm ? Der Staat Israel setzt seine Interessen durch und verlangt dass alle anderen entweder gleicher Meinung sind oder stumm bleiben weil sie sonst Antisemiten sind. Die Presse und die Politiker machen dabei auch noch mit…..Mut sucht man heutzutage bei vielen Politikern und Journalisten vergebens. Doch würde ich eher das System dafür verantwortlich machen anstatt die einzelne Person. Journalismus hat heutzutage nur noch mit Clicks zu tun und Politik ist nur noch bei Wahlen wichtig.

  • am 15.05.2018 um 16:30 Uhr
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    Bereits der Ausdruck ‹Antisemitismus› ist kreuzfalsch, da als Semiten diejenigen Völker bezeichnet werden, welche eine semitische Sprache sprechen. Dazu gehören halt auch Araber, inkl. Palästinenser. Demzufolge ist die israelische Siedlungspoltik klar antisemitisch.

    > Korrekt wäre der Ausdruck ‹Antiisraelisch› und nicht ‹Antisemitisch›.

  • am 15.05.2018 um 23:10 Uhr
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    „Antisemitismus“ ist das absolut perfekte Totschlagargument.
    Dagegen hilft keine Kenntnis der Geschichte von Nahost und der Levante. Kein Argument, keine Geschichtskenntnisse, kein Politikverstāndnis, nichts, ist dem Totschlagargument gewachsen. Persönlich und politisch darf man nie in eine gefāhrliche Lage geraten, denn das Recht ist immer aufseiten jener, die die Macht darūber haben.

  • am 17.05.2018 um 14:31 Uhr
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    Ich finde das Problem ist im Gegenteil, dass der Staat Israel *zu wenig* jüdisch ist (im sleben Sinn wie wir uns zu wenig christlich verhalten). In der Tora gilt das Talionsprinzip. «Auge für Auge» usw. wird an drei Stellen der hebräischen Bibel aufgeführt, nicht als System der Rache, sondern als Begrenzung der Vergeltung auf ein zumindest nicht eskalierendes Mass.

    Netanyahu hat jedoch in einer Rede letzte Woche gesagt, sie werden es den Palestinensern *doppelt* heimzahlen, und tatsächlich scheint mir die Gewalt von Netanyahu und den seinen soagr etwa 40-fach tödlicher zu sein als die palestinensische, also ein massiver Verstoss gegen die Tora.

    Israel sollte sich also nicht weniger jüdisch verhalten, sondern mehr. Und dieser Wunsch ist nicht antisemitisch, sondern das Gegenteil. Shalom!

    (Quelle: Auge für Auge auf Wikipedia)

  • am 21.05.2018 um 11:41 Uhr
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    Kompliment an den Autor für dieses «Outing"! (Man muss ja mittlerweile schon mutig sein, so etwas zu veröffentlichen!)

    Ich verweise an dieser Stelle gerne auf den «Antisemiten» und Journalisten Ken Jebsen. Seine Geschichte zeichnet genau dasselbe Bild.

    Analoges gilt für Rassismus. Und zum Teil für Sexismus.

    Wir sind doch schon lange in «1984». Wer George Orwells Buch gelesen hat, versteht unsere Zeit viel besser. Unbedingte Leseempfehlung, lieber heute als morgen!

    PS:
    Auch die «Antisemiten» und Rapper Kollegah und Farid Bang leiden unter (oder profitieren von?) dieser dummen Antisemitismus-Keule. Ihr oft zitierter Vergleich ist zwar (gewollt) geschmacklos, aber nicht antisemitisch.

  • am 24.05.2018 um 16:52 Uhr
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    Es gibt so Themen, die «gehen» immer. Egal wie oft man sie aufwärmt und nochmal serviert. Dadurch wird das ganze zwar nicht weniger wahr – aber auch nicht interessanter. Trotzdem weiss jeder etwas dazu zu sagen, es wird sofort mit Zitaten und Beweisen geschmissen (auch immer ungefähr dieselben). Keine Frage – Netanjahu ist ein Armleuchter, wie sein Kollege Trump und und noch so mancher andere. Er hat wahrscheinlich keine anderen Argumente als «Antisemitismus» zu schreien. Auch damit ist er nicht alleine, leider, und auch dieses Phänomen gibt es überall und allen Variationen.

  • am 27.05.2018 um 12:06 Uhr
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    Von der intellektuellen Unredlichkeit des Stratagems abgesehen, jegliche Kritik an Israel bzw. seiner Regierung als Antisemitismus zu verunglimpfen, ist es alles andere als originell, es wird seit Jahrzehnten praktiziert – praktisch seit die israelische Politik von Rechtsregierungen gemacht wird – auch das kein Zufall. Umso unverständlicher, dass die langfristige Geradlinigkeit der israelischen Politik, deren praktisch einziges Thema seither nur die sogenannte «Sicherheit» ist, von den meisten Medien immer wieder kurzfristig wiederentdeckt wird…

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