Metformin_Voltaren

Novartis: Metformin (Metfin Sandoz) und Voltaren (rechts) schon 2009 aus Indien importiert © Daniel Greilinger

«Swiss made»-Medikamente aus Indien und China

upg /  Was Pharmakonzerne verheimlichen: Viele Wirkstoffe und Hilfsstoffe in Schweizer Arzneimitteln werden in Billigländern produziert.

Eine Deklaration der Herkunft setzt sich bei Lebensmitteln langsam durch. Bei Kleidern aus Bangladesch, Thailand oder China wird sie jetzt verlangt. Doch bei Medikamenten ist sie noch tabu. Dabei importiert zum Beispiel Novartis Wirkstoffe für das Rheumamittel Voltaren oder für das Diabetes Mittel Metfin der Novartis-Tochter Sandoz schon lange aus Billigfabriken in Indien (siehe Dokumente der Bildstrecke).
«Wegen der hohen Schweizer Löhne» verkaufen Novartis, Roche und Co. ihre aus Billigländern importierten Wirk- und Hilfsstoffe zu rekordhohen Schweizer Preisen. Auf den Packungen steht «Sandoz, Steinhausen», «Novartis, Bern» oder «Roche Pharma, Reinach».
Immer mehr der dem Schein nach in der Schweiz hergestellte Medikamente stammen aus China. Dort kam es schon zu manchen Zwischenfällen. Einige wurden publik: 2007 und 2008 starben in den USA über hundert Menschen, weil sie verunreinigtes Heparin aus China injiziert bekommen hatten. Heparin wird aus dem Darmschleim von Schweinen hergestellt (siehe Bilder der Bildstrecke). Dieser Blutverdünner wird gegen Embolien und Thrombosen sowie bei Operationen eingesetzt.
Nur wenige Monate später mussten mehrere Länder Heparin zurückrufen: Zehn von dreissig kontrollierten Fabriken in Indien und China hatten die internationalen Regeln der «Good Manufacturing Practices» GMP verletzt. Die Qualität der Wirk- und Hilfsstoffe war nicht gewährleistet.

Vor einem Jahr enthüllten chinesische Medien, dass mehrere Firmen Gelatine für Medikamentenkapseln aus Lederabfällen herstellten. Deshalb enthielten Kapseln Chrom-Rückstände, die Organe schädigen. Nach Schätzung der US-Aufsichtsbehörde FDA stammen heute in den USA rund zwei Drittel aller Wirk- und Hilfsstoffe von Medikamenten aus China oder Indien, darunter Aspirin und Schmerzmittel mit Ibuprofen.

Novartis gibt Herkunft nicht bekannt

Auch Schweizer Firmen beziehen Wirk- und Hilfsstoffe zunehmend aus günstigen Produktionsstätten im Fernen Osten. Die Herkunft wird jedoch nicht offen deklariert. Selbst auf Anfrage möchte Novartis nicht verraten, ob der Wirkstoff Ibuprofen in den Schmerzmitteln ihrer Tochter Sandoz aus Indien und China stammt:
«Da die entsprechenden Informationen vertraulich sind, können wir hierzu leider keine Auskünfte erteilen», sagt Novartis-Sprecher Satoshi Sugimoto.
So genau nimmt es Novartis mit der Vertraulichkeit nicht, hat doch der Basler Konzern tausende von Fässern voller Wirkstoffe, die er aus Indien importierte, schon vor vier Jahren zur Entsorgung im Baselbiet gelagert – und die Etiketten nicht entfernt. Daniel Greilinger hat sie fotografiert.

Neben dem «Geschäftsgeheimnis» führt Novartis – ähnlich wie die Lebensmittelhersteller – auch praktische Gründe an, weshalb eine Herkunftsdeklaration schwierig wäre: Die «Zutaten» stammten «aus einer Vielzahl von Quellen und Lieferanten». Die Produktion würde «häufig an unterschiedlichen Orten stattfinden». Manchmal lasse eine Firma «sogar für den gleichen Produktionsschritt mehrere Standorte lizensieren».

Dieser Argumentation widersprechen Aussagen der Schweizer Zulassungsbehörde: «Aufgrund der Chargen-Nummer kann die Swissmedic bei jeder Medikamentenpackung feststellen, in welchem Land und in welcher Fabrik die enthaltenen Wirk- und Hilfsstoffe hergestellt wurden.»
Hans-Beat Jenny, zuständig für die Bewilligungen, ergänzt: «Die Herstellerfirma muss von jeder einzelnen Tablette die exakte Herkunft aller Inhaltsstoffe (Land, Fabrik, Chargennummer) im einzelnen kennen». Dies sei eine grundlegende Anforderung der GMP.
Swissmedic: «Transparenz unnötig»

Die Charge-Nummer können nur die Firma und die Behörden entziffern. Sie sei eben nicht für die Aufklärung der Konsumenten zuständig, erklärt Swissmedic, sondern nur für die Sicherheit. Diese sei gewährleistet, weil «alle Medikamente nach gleichen internationalen GMP-Richtlinien hergestellt werden müssen». Dehalb spiele es für die Patienten keine Rolle, welches Land sie produziert.
Swissmedic will nicht einmal bekannt geben, wie viele Wirk- und Hilfsstoffe der Schweizer Medikamente insgesamt aus welchen Ländern stammen.

Fabriken alle 14 Jahre vor Ort inspiziert

Die strengen GMP-Richtlinien würden Inspektoren prüfen und das Herstellerland müsse deren Einhaltung «mit einem Zertifikat bestätigen», erklärt Swissmedic. Zertifikate der Exportländer sind allerdings häufig ihr Papier kaum wert, und mit Kontrollen der GMP-Richtlinien hapert es zuweilen gewaltig. Nach einer Statistik des «US Government Accountability Office» erhält eine Fabrik in China oder Indien im Durchschnitt nur alle 14 Jahre einen Besuch eines FDA-Inspektors, während Fabriken in den USA alle zwei bis drei Jahre vor Ort kontrolliert werden.
In Europa musste die «European Compliance Academy», eine Stiftung zur Überprüfung der GMP-Richtlinien, im letzten Juli feststellen, dass «viele Wirkstoffe ausserhalb der EU ohne die nötige GMP-Aufsicht produziert» würden. Man habe keine Lehren aus dem Heparin-Fall gezogen. Viele regionale Behörden in China und Indien würden die GMP-Regeln nicht durchsetzen.

Eigenverantwortung der Firmen

Swissmedic schickt keine eigenen Inspektoren nach Asien. Falls die Garantie-Zertifikate unzureichend sind, müsse die importierende Firma die Einhaltung der Richtlinien selber vor Ort kontrollieren. «Der Staat übernimmt diese Aufgabe nicht und entbindet die Firma nicht von ihrer Verantwortung», hatte Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi in Medien erklärt. Doch Novartis-Sprecher Sugimoto schiebt den Ball an die Behörden zurück: Die «hohen Qualitätsstandards» würden neben den eigenen durch «Kontrollen der Regulierungsbehörden sichergestellt», beruhigt er.

Derweil fordert die Präsidentin des Dachverbands der Patientenstellen DVSP Erika Ziltener schon lange die offene Herkunftsdeklaration: «Was für Lebensmittel gelten soll, ist bei Medikamenten noch sehr viel wichtiger». Für Nationalrätin und SKS-Präsidentin Prisca Birrer-Heimo wäre die gegenwärtige Revision des Heilmittelgesetzes «eine günstige Möglichkeit, die Herkunftsdeklaration zu verankern». Solange indessen eine offene Deklaration weder bei der Swissmedic noch bei den Pharmafirmen auf Anklang stösst, dürfte sie im Parlament keine Chance haben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor vertritt Patienten und Prämienzahlende in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission.

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