Kommentar

Konzernverantwortung: So dekadent wie die alten Römer?

Jürg Müller-Muralt © zvg

Jürg Müller-Muralt /  Was viele nicht wahrhaben wollen: Ethisches Verhalten führe uns ins Verderben, meint Tamedia-Autor Markus Somm zu wissen.

Es ist wieder einmal so weit: Das Abendland geht unter! «Sind wir inzwischen so dekadent wie die Römer und zerstören uns selbst – weil wir nicht mehr wissen, wie gut es uns geht?», fragt Tamedia-Autor Markus Somm in der SonntagsZeitung vom 22.11.2020 rhetorisch. Anlass für dieses düstere Zukunftsszenario ist die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi).

Schon die alten Römer «ideologisch aufgeweicht»

Und wissen Sie, wer schuld ist am ganzen Schlamassel? Das Christentum – dieses ewig nörgelnde, moralisierende, das verweichlichte Gutmenschen propagierende Christentum hat schon die alten Römer um die Ecke gebracht. «Die brutalen, kriegerischen, aber eben auch erfolgreichen Römer seien sozusagen ideologisch aufgeweicht worden von der Botschaft Christi, wonach wir unsere Gegner lieben sollten – statt sie zu vernichten, was zu diesem Zeitpunkt eher der Ansatz gewesen war». Somm stützt sich bei diesem Befund auf den britischen Historiker Edward Gibbon, der im 18. Jahrhundert gelebt hat. «Am Ende gaben die Römer auf. Sie wurden Christen, weil ihnen die ständige Kritik auf die Nerven ging. Auch sie wollten zu den Guten zählen», schreibt Somm. Der schädliche Sog des Mainstreams eben.

Diese Kampagnen – echt dekadent

Es ist zwar nicht so, dass mit dem Einzug des Christentums in die europäische Geschichte alle zusammen Halleluja singende Chorknaben und Lauten spielende Engel geworden wären. Denn die Europäer und die Amerikaner haben, wie die Römer, auch ihre Imperien aufgebaut – und diese wurden beileibe nicht nach dem Prinzip des Himmelreichs auf Erden konstruiert. Aber «die Könige, die Kolonisten, Skavenhändler und Admiräle mussten sich gefallen lassen, dass zu Hause Kritiker sassen, die sie zur Umkehr zwangen oder das Geschäft hintertrieben.» Das ist ja grauenhaft! Aber es kam noch schlimmer: «So wurde die Sklaverei abgeschafft – durch eine Kampagne der Quäker».

Kampagne? Jaja, Sie raten richtig, diese moralintriefenden Kampagnen: «Was wir jetzt im Abstimmungskampf erleben, steht in dieser Tradition: der Selbstkritik.» Da sehen Sie, wohin das führen kann. Es wurde nämlich immer extremer: Nach der Quäker-Kampagne kamen auch noch die Befreiungsbewegungen auf, «deren Führer oft im Westen studiert hatten, was am Ende zur Entkolonisierung führte. Allein die Idee, dass es ein moralisches Problem bedeutete, fremde Völker zu beherrschen, konnte nur in Europa entstanden sein», schreibt Somm. Echt dekadent eben, dieses Europa.

Freude an globalen Raubzügen vergällt

Hat denn Christus selbst nicht gesehen, in welch selbstzerstörerische Nöte und Skrupel er die Welt mit seiner Ethik stürzt? Doch, hätte er mit etwas mehr Lebenserfahrung wahrscheinlich schon, wenn man Friedrich Nietzsche Glauben schenken darf: «Glaubt es mir, meine Brüder! Jesus starb zu früh; er selber hätte seine Lehre widerrufen, wäre er bis zu meinem Alter gekommen!» Dafür ist es jetzt aber zu spät. Die zersetzende Moralinsäure kriegen wir nicht mehr aus der Welt – sie raubt uns die letzte Freude auf unseren globalen Raubzügen.


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8 Meinungen

  • am 23.11.2020 um 12:13 Uhr
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    Sehr schön. Danke!

    Man darf sich bei der Lektüre von Somms Text nicht zu viel fragen. Es führt nirgendwo hin – ausser vielleicht in die Dunkelheit oder den Nebel … Passt immerhin zur Jahreszeit. 🙂

  • am 23.11.2020 um 12:39 Uhr
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    Ein grotesker Schrieb, dieser Artikel von Markus Somm in der SonntagsZeitung vom vergangenen Wochenende. Stellt sich die Frage, wie lange noch Tamedia dem gescheiterten BaZ-Chefredaktor Somm das Gnadenbrot gewähren will und ihm weiterhin ermöglicht, sein völlig aus den Fugen geratenes Weltbild vor einem zunehmend genervten Publikum auszubreiten.

  • am 23.11.2020 um 20:51 Uhr
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    Im Rechtswesen geht es um sogenannte Begleitschäden (vulgo Kollateralschäden) die anderen Menschen grob fahrlässig oder vorsätzlich Schäden zugefügt werden und das im wahrsten Sinne des Wortes ‹billigend in kauf genommen wird».
    Wenn anderen Menschen die sogenannten «Externe Kosten» aufgehalst werden, gilt das im wirtschaftlichen Sinne als ‹Wettbewerbsverzerrung› mit der Folge eines zunehmenden Marktversagens.
    Ansonsten verbreitet sich die K(r)ampf-Rhetorik der Trumpisten, finanziert von den Kapitalgewaltigen, in weiten Teilen Europas, schneller als der Corana-Virus.

  • am 23.11.2020 um 21:22 Uhr
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    Die Konzerne müssen ihre Verantwortung schon lange wahrnehmen. Da gibt es haufenweise internationale und nationale Vorschriften zu beachten. Die Schweiz ist für ihr Hoheitsgebiet zuständig und nicht für das was im Ausland geschieht. Dort sind die lokalen Regierungen zuständig. – Nun der Bezug zum Christentum: Jesus hat ein schweres Urteil über die Gottlosen, die Moralisten, die Selbstgerechen, die Überheblichen, die zwar schwere und zahlreiche Vorschriften erlassen, diese aber selbst nicht einhalten, siehe Matthäus 3 & 23.

  • am 23.11.2020 um 21:40 Uhr
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    Ich frage mich nur, ob Konzerne ihre Verantwortung nicht an Sub – Unternehmen übertragen könnten und so ungeschoren davon kommen. Im Text vom Modellgesetz steht ja: Grossunternehmen haften schliesslich nur für Schäden, die durch das eigene Unternehmen oder im Konzern verursacht werden, nicht aber für jene durch Zulieferer oder Subunternehmer (s. Art. 55a Abs. 3-4 E-OR).49

    https://konzern-initiative.ch/wp-content/uploads/2020/10/modellgesetz-kvi.pdf

    Selbst wenn man Subunternehmen mit einbezieht fragt sich, wie rückverfolgbar das ist. Oft geben die Subunternehmen Aufträge wieder an andere Subunternehmer weiter. Wer ist am Ende Verantwortlich?

  • am 23.11.2020 um 22:09 Uhr
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    Ich habe schon während seiner BAZ-Zeit vermutet, dass für Markus Somm ethisches Verhalten eher zweitrangig sei.
    Da er sich nun mit seinem Bekenntnis zum Machterhalt dank unethischer Gesinnung so klar outet, mutieren meine diesbezüglichen Vorurteile meines Erachtens berechtigterweise zur Gewissheit!

  • am 24.11.2020 um 11:18 Uhr
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    Man sollte sich nicht an Somm abarbeiten, dem Loser ("you are fired», Basler Zeitung), auch nicht an Gujer oder Köppel etc. (Auch ich falle manchmal auf sie herein.)

    Es ist einfach: wenn Somm schreibt, die Erde sei flach, ist das ein gültiger Beweis dafür, dass sie eben doch eine Kugel ist usw. Er liegt praktisch immer 180 Grad falsch.

    Aber es ist schon lustig, dass Herr Somm bei seinem weither geholten schiefen Vergleich übersehen hat, was für christliche Weltreiche entstanden sind. Traurig erinnern wir uns daran, dass Grossbritannien trotz gewonnener Opiumkriege und nur wegen der Sozis und der Grünen (gab es die da schon? Sind jedenfalls auch schuld!) die Herrschaft über die chinesische Wirtschaft verlor und dass UK wegen der wilden Krieger um Mahatma Ghandi sogar das schöne Indien abhanden kam.

  • am 25.11.2020 um 14:45 Uhr
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    Markus Somm, jeder destruiert jeden, und alle gegen alles Wehrlose wie die Umwelt, das Klima, die Arten, die Meere: alles schwach und deshalb verdammungswürdig? Falsches Heldenbild? Das Weltbild eines Weicheis? Bedeutet Starksein zerstören? Oder genau das Gegenteil? Übrigens, die Alten Römer sind nicht am Christentum gegroundet, sondern an ihrer Bleivergiftung, die auch in Peru von der KVI thematisiert wird, deshalb Konzernverantwortung JA am 29. November.
    Bester Beleg ist unser Körper (und der Planet ist genauso ein Gesamtorganismus): Nur wenn alle Organe, Zellen zueinander hilfreich, freundlich sind, können wir letztlich überleben. Das Immunsystem ist etwas anderes, und zumindest dieses wird oft missverstanden.

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