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Hungrige Obdachlose dürfen nötiges Essen stehlen

Red. /  Das oberste Kassationsgericht Italiens hat einen Obdachlosen freigesprochen, der in einem Laden Käse und Wurst gestohlen hatte.

Ein Obdachloser aus der Ukraine hat in einem Lebensmittelladen von Genua Käse und Wurst im Wert von 4.07 Euro gestohlen und wurde dabei erwischt. Ein erstinstanzliches Gericht verurteilte ihn im Februar 2015 zu sechs Monaten Gefängnis und einer Busse von 100 Euro.
Gegen dieses unverhältnismässig harte Urteil rekurrierte der Ukrainer mit einem für ihn kostenlosen Pflichtanwalt. Anfang Mai hat jetzt der oberste Kassationshof Italiens nicht etwa die Strafe reduziert, sondern den Dieb freigesprochen. Der Ukrainer habe mit den kleinen Portionen Käse und Wurst nur seine nötige Ernährung beschaffen wollen und deshalb «aus einer Notsituation heraus» gehandelt. Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor.
Laut Gherardo Colombo, einem früheren Mitglied des Kassationshofs, muss sich das Gericht auf den lateinischen Rechtsgrundsatz «Ad impossibilia nemo tenetur» bezogen haben: «Niemand kann zu etwas Unmöglichem verpflichtet werden.» Aus diesem Grund sei der Diebstahl des Ukrainers keine Straftat gewesen.
Meistens wurden Obdachlose, die sich ihre Nahrung mit Diebstählen beschafften, mit dem Argument verurteilt, dass der Sozialstaat dafür sorge, dass niemand hungern müsse. Aufgrund des jüngsten Urteils könnte es künftig zu mehr Freisprüchen kommen, meinte Maurizuio Bellacosa, Strafrechtsprofessor an der Libera Università Internazionale degli Studi Sociali LUISS in Rom, gegenüber Medien.
Die obersten Richter hätten das Recht auf Überleben höher gewichtet als das Recht auf Eigentum, kommentierte Kolumnist Massimo Gramellini in der Zeitung «La Stampa». In den USA wäre eine solche Gewichtung eine Blasphemie und man würde von Enteignung reden, schrieb Gramellini.
Das Urteil von Anfang Mai hat in ausländischen Medien ein grosses Echo gefunden. In der Deutschschweiz wurde darüber unseres Wissens bisher nicht informiert.

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4 Meinungen

  • am 8.05.2016 um 09:25 Uhr
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    Kapitalistische Ökonomien, nicht zu verwechseln mit Gesellschaft, haben erhebliche Defizite eigene Fehlentwicklungen ihrer heeren Theorien nicht zu erkennen. Besonders krass ist dieser Mangel in neoliberalen Ökonomien geworden die ja geradezu popagieren das wenn jeder seinen Eigennutz maximiert es am Ende allen besser geht (was auch immer das heisst).

    Dabei geht ob dieser dummen Forderungen vergessen das sich damit Volksvertreter, Demokratie, Politik von selber abschafft da diese ja bei derart viel liberalisierung zu gar nichts mehr nütze sind… im Gegenteil müssen Wir alle wieder lernen die ureigenen sozialen und solidarischen Instinkte die unser Zusammenleben erstmal erträglich macht zu formulieren und einzufordern.

    Arbeitslose, Arme, Prekarisierte und die unter Schwindsucht erkrankte Mittelklasse sind Fehlentwicklungen heutiger Ökonomischer Dogmen die nur solange überleben wie man uns diese als TINA Prinzipen um die Ohren haut. Die Sozialwissenschaften aber lassen unendlich viele Forderungen zu als nur die der ökonomischen Heilslehre heutiger Zeit.

    Was im zuge der Umsetzung bürgerlich neoliberaler Ansichten zu Eigentum, Recht und Ordung komplett eliminiert wurde sind Begriffe wie Öffentlichkeit, Öffentlicher Raum, Gemeinschaftseigentum, Non Profit Systeme und immer wieder prominentes Opfer Solidarität, also kurz das was eine Stakeholdergesellschaft alles tun kann würden die Shareholder endlich auf ihre eigenen Plätze verwiesen.

  • am 8.05.2016 um 12:15 Uhr
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    Ja, deshalb brauchen wir das bedingungslose Grundeinkommen, auch wenn das weder die lobbyierten Politiker und neoliberale Wirtschaftsvertreter zugeben können.

    Deshalb JA am 5. Juni zum bGE.

  • am 8.05.2016 um 13:37 Uhr
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    Grundeinkommen als ersatz für alle anderen Solidar- und Sozialsysteme kommt für mich nicht in Frage. Grundeinkommen das mit indirekten Steuersystemen bezahlt wird ebenfalls nicht.
    Grundeinkommen das zur finanzierung tiefer Arbeitskosten missbraucht wird auch nicht.
    Grundeinkommen das vom Entgelt für geleistete Arbeit abgezogen wird auch nicht.

    Zur reverteilung des immer noch von allen erarbeiteten Volkseinkommens bevorzuge ich verbindlich wirksame Kapitalverkehrskontrollen, Kapitaltransaktionssteuern und progressive direkte Steuern auf Vermögen, Erbschaften, Profite etc. .

    Die immer krassere Ausbeutung durch renditesuchendes Kapital von allen möglichen Ressurcen wird auch ein GE nicht verhindern den dazu sind die Profiteure viel zu gut vor asozialem Verhalten geschützt. Man muss erkennen das bei einigen Menschen soziales und solidarisches nicht existent ist und daher nicht verstanden wird und da tut Zwang als Abkehr von Masslosigkeit ganz gut.

  • am 8.05.2016 um 19:49 Uhr
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    Der Sozialstaat müßte, tut es aber nicht. In der Bananenrepublik erhalten Asylbewerber ca. 1000 Euro pro Monat. Rentner hingegen mit einer Lebensarbeitszeit von 50 Jahren ca. 800 Euro. Bei Beamtenpensionen ist dies natürlich anders, aber Richter sind unabhängig.

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