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Schulen haben Angst vor Corona-Schliessungen © cc Gerd Altmann, Pixabay

Corona-Welle verunsichert Schulen

Heinz Moser /  Seit dem Lockdown vom Frühling haben die Schulen nur ein Ziel: Zurück zu den unbeschwerten Tagen vor der Corona-Zeit.

Schulschliessungen sollen trotz ansteigender Corona-Zahlen um jeden Preis vermieden werden. Kinder brauchen soziale Kontakte. Sie erkranken kaum, können aber ansteckend sein. Dieses Dilemma lässt wenig Spielraum. Man arbeitet mit Maskenpflicht und mit Quarantäne für betroffene Schülerinnen und Schüler sowie für Lehrpersonen. Gerade erst verhängte die Zürcher Bildungsdirektion ab 2. November 2020 die Maskenpflicht für alle Erwachsenen sowie Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule. In den Nachbarländern Deutschland und Österreich wird heftig über weitere Einschränkungen diskutiert. In Deutschland rückt die Debatte über den Umgang mit den Schulen angesichts von Rekord-Infektionszahlen in den Mittelpunkt. Gemäss tagesschau.de spricht sich der deutsche Gesundheitsexperte und SPD-Politiker Karl Lauterbach zwar für das Offenhalten der Schule aus, verlangt aber, die Schulklassen aufzuteilen und im Winter durchgehend mit Maske zu unterrichten. Und Österreich verhängt trotz Warnungen der Wiener Ärztekammer die Schliessung aller noch geöffneten Schulen für die jüngeren Altersgruppen.

Die zwiespältigen Resultate des Fernunterrichts

Eine erneute Schliessung der Schulen wäre schon deshalb schwer erträglich, weil der Fernunterricht für die Volksschule nach den Erfahrungen mit dem Lockdown des Frühlings nur als Notmassnahme gelten kann. Auch in Nachbarländern wie Deutschland oder Frankreich tut man alles, um die Schulen mindestens vorläufig offen zu halten. Gerade haben Forscher der Universität Zürich die nachteiligen Konsequenzen von Schulschliessungen nochmals bestätigt. Dies ergab die Analyse der Lernkurven von mehr als 20’000 Grund- und Sekundarschülern aus der Deutschschweiz in Deutsch und Mathematik unmittelbar vor und während der Schulschliessungen im März und April. Anhand dieser Daten kamen sie zum Schluss, dass sich der Lernfortschritt der jüngeren Schüler halbierte und die Unterschiede zwischen den Kindern deutlich zunahmen.

Ähnliche Resultate zeigte schon das «Schulbarometer» der Pädagogischen Hochschule Zug. Zwar ist Homeschooling nicht für alle Schülerinnen und Schüler negativ zu werten. Es zeigten sich aber zwei ganz unterschiedliche Gruppen: So gab es «lernmotivierte Schülerinnen und Schüler», welche sich in der Umfrage positiv über den Fernunterricht und dessen Chancen äusserten. Sie schätzten das selbstbestimmte, eigenverantwortliche und kreative Lernen.

Weniger lernaktive SchülerInnen äusserten sich dagegen zur Situation des Fernunterrichts kritisch. Sie empfanden diesen als hohe Belastung. Im Lockdown hatten sie eher das Gefühl, sie hätten Ferien, was für die Lernmotivation wenig vorteilhaft war. So analysiert der Bericht, was die Befragten, die das Gefühl hatten, Fernunterricht sei für sie Ferien, von anderen Schülerinnen und Schülern unterscheidet:

«Entsprechend der eben dargestellten Analyse sind SchülerInnen, die viel für die Schule lernen und arbeiten (wöchentlich 25 Stunden und mehr), sehr selten jene, die denken, sie hätten Ferien. Darüber hinaus zeigt sich, dass SchülerInnen, die 25 Stunden und mehr pro Woche Computerspiele spielen und Fernsehen schauen und denen es schwerfällt, früh aufzustehen und einen geregelten Tagesablauf zu haben, signifikant häufiger das Gefühl haben, sie hätten Ferien.» (S.8)

Die Schwierigkeiten eines geregelten Unterrichts

Die Schulen stecken im Dilemma. Schon im Sommer wollten sie Normalität und möglichst subito zum Präsenzunterricht der Vor-Coronazeit zurückkehren. Doch ein geregelter Schulbetrieb bleibt Wunschdenken, wenn immer wieder Schüler und Schülerinnen oder Lehrpersonen in Quarantäne sind – einmal ganze Klassen und dann wieder einzelne Personen. Fälle wie den folgenden findet man fast täglich in Pressemeldungen:

«Im Schulhaus Innerschachen in der Luzerner Vorortsgemeinde Ebikon infiziert sich eine Lehrperson mit dem Coronavirus. In der Folge ordnet der Kantonsarzt für die von ihr unterrichtete Klasse die Quarantäne an. Doch die Situation verschärft sich zunehmend. Die Schule schickt weitere 13 Lehrpersonen in vorsorgliche Quarantäne, ebenso eine weitere Schulklasse. Von einem Tag auf den anderen erhalten die Schüler Fernunterricht, die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer dürfen nur von zu Hause aus unterrichten.»

Der Zürcher «Tagesanzeiger» titelte am 10. November 2020 «Corona bringt Schulen an ihre Grenzen». Danach wurden seit August allein in der Altersgruppe von 12 bis 15 Jahren 545 positive Fälle festgestellt. Wie dramatisch das Geschehen für Schulen ist, beschreibt die Schule Grindelwald auf ihrer Website: «Liebe Eltern und Erziehungsberechtigte Die Ereignisse seit Freitag, 23. Oktober 2020 sind kaum fassbar. So wurde die 1. Lehrperson am 22. Oktober positiv auf das Coronavirus getestet und daraufhin kamen täglich neue positiv getestete Lehrpersonen dazu. Total sind es bis heute 9 Lehrpersonen und Tagesschulmitarbeitende aus allen Stufen und Schulhäusern.»

Man kann sich zwar fragen, ob Quarantänen nicht zu häufig angeordnet werden. Doch das Grundproblem bleibt: Man hat es versäumt, den schwerfälligen Tanker «Schule» flexibler zu machen, um sich besser an die unterschiedlichen Gegebenheiten der Pandemie anzupassen. Beim Durcheinander der Abwesenheiten in den Schulen wird der Lernstand immer unterschiedlicher, und die einheitliche Grundbildung, welche die Volksschule allen Bürgerinnen und Bürgerinnen unseres Landes vermitteln soll, läuft aus dem Ruder.

Fernunterricht ist noch kein «digitales Lernen»

Nach den oben zusammengefassten Untersuchungen ist der Fernunterricht bei vielen Schülern und Schülerinnen dennoch nicht so schlecht angekommen, wie er oft dargestellt wird. Nur wird man Eltern nicht wieder als Hilfslehrer und -lehrerinnen einsetzen dürfen, wenn Kinder in Quarantäne geschickt werden. Viele Kinder, die sich mit dem Fernunterricht schwertun, benötigen zudem auch im Homeschooling eine zusätzliche Lernunterstützung durch die Schule.

Fernunterricht darf man auch nicht als modernes Konzept eines digitalen Lernens überschätzen. Vielmehr wurde er schon vor fünfzig Jahren als Lernform für Erwachsene entwickelt, wobei Unterrichtsbriefe mit Lernaufgaben verschickt wurden. Diese mussten von den Teilnehmerinnen und Teilnehmer bearbeitet und zur Beurteilung zurückgeschickt werden. In Deutschland definierte ein «Fernunterrichtsgesetz» schon 1977: «Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der der Lehrende und der Lernende ausschliesslich oder überwiegend räumlich getrennt sind, und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen». Zum Konzept gehört, dass zur Bewertung oft kleinschrittige Lernziele benutzt werden, die das Lernen überschaubar machen.

Die Ausrichtung an eng geführten Lernzielen führt dazu, dass der Fernunterricht oft zu monoton und verschult erscheint. Im Lockdown wurde der äussere Druck noch durch jene Eltern noch verstärkt, die darauf achten, dass ihre Kinder im Fernunterricht möglichst gut abschneiden – und sie dazu eng überwachen.

Durch Online-Lernen flexibler werden

Digitales Lernen kann viel weiter gehen, wie initiative Lehrpersonen im Frühling bewiesen haben. So betonen die Autorinnen und Autoren des Zuger «Schulbarometers»: Online-Lernen kann auch heissen, dass Schülerinnen und Schüler mit einem hohen Grad an Selbstständigkeit und Lernfreude arbeiten. Sie arbeiten weniger an eng formulierte Übungsaufgaben und Anleitungen, sondern bearbeiten komplexe Aufgabenstellungen eigenverantwortlich und in kreativer Weise. In der Studie werden dazu zum Beispiel die Arbeit mit Lernjournalen und Fallbeispielen aufgeführt. Es kann für die Schülerinnen und Schüler spannend sein, wenn im Heimunterricht einzeln oder in kleinen Gruppen Projekte bearbeitet werden, die dann später im Präsenzunterricht von der ganzen Klasse ausgewertet werden.

Der Vorteil von Online-Lernen ist es, dass das Lernen in ganz unterschiedlichen Gruppen und Lernorten stattfinden kann. So kann flexibel mit unterschiedlichen Gruppen gearbeitet werden – vom Förderunterricht mit einzelnen bis zur Betreuung von Kleingruppen und dem Coaching von Schülerprojekten. So wird Online-Lernen von Kindern, die in Quarantäne sind, besser in den Unterricht einbezogen – durch den gezielten Einsatz von Lehrkräften, die zu Risikogruppen gehören, von Seniorinnen und anderen Personen, die schon vor der Pandemie unterstützend in der Schule tätig waren.

Es bleibt der Vorwurf, dass zu viel Online-Zeit für die Entwicklung der Kinder schädlich sei. Gemäss vielen Kritikern vermag nur der Präsenzunterricht, Gefühle, Empathie und sozialen Kontakt zu wecken. Eine Lehrperson dazu: «Der direkte physische Kontakt zwischen Kindern ist nicht ersetzbar.» Aus diesem Grund ist es auch in der Pandemie wichtig, Präsenzkontakte so weit als möglich aufrechtzuerhalten. Der Grundsatz, Schulen offen zu halten, ist denn auch weiterhin ein klares Ziel. Es ist aber leichter zu erreichen, wenn Quarantänemassnahmen durch Online-Lernen abgefedert werden können.

Digitale Bildung ist ein notwendiges Bildungsziel

Die Schule muss sich zudem auch um die zunehmenden Online-Kontakte der Schülerinnen und Schüler kümmern. Denn diese spielen heute im ausserschulischen Alltag eine genauso wichtige Rolle wie die physische Präsenz – sowohl privat wie in der Arbeitswelt. In einer Zeit wo Beziehungen über WhatsApp beendet und Gratulationen zum Geburtstag immer häufiger über Facebook erfolgen, wird deutlich, dass Emotionen und Gefühle auch im Online-Alltag eine grosse Rolle spielen. Zur Bildung gehört es deshalb, auch im Netz einen kompetenten Umgang mit Internet und sozialen Medien zu entwickeln.

Nicht zuletzt spielt das Netz auch beim Wissenserwerb eine zentrale Rolle: Wenn wir etwas wissen wollen, suchen wir heute fast automatisch bei Google oder Wikipedia. Auch hat die Pandemie digitale Formen des Handelns auf allen Ebenen nochmals stark gefördert. Home-Office, Online-Banken, Einkaufen über das Internet: All dies ist in den letzten Monaten fast genauso exponentiell gewachsen wie das Virus. Es sind mittlerweile Teile unseres Alltags, die für Heranwachsende zentral geworden sind.

Allerdings hat dieser Bezug zum digitalen Leben bisher in den Schulen viel zu wenig Raum eingenommen. Die Corona-Krise kann zur Chance werden, die Erfahrungen mit dem Internet, dem digitalen Alltag und den sozialen Medien im Unterricht aufzugreifen. Das könnten Themen sein, die Kinder in Projekten bearbeiten könnten – etwa in Tagebüchern, welche den Lernalltag im Homeschooling dokumentieren. Selbständige Recherchen im Internet, Lernen mit Erklärvideos und sich zu den Grundlagen der Digitalisierung schlau zu machen sind nur einige Stichworte für die digitale Schule von morgen.

Schule als Mischung von Online und Offline

Die zweite Welle im Herbst hat die Schulen fast unvorbereitet überrascht. Wenn wir daraus etwas für die zukünftige Schule lernen wollen, dann sollte dies über Hygieneregeln und Schutzmassnahmen hinausgehen. Vielmehr muss sich die Schule viel entschiedener in die Digitalisierung der Gesellschaft einklinken. Online-Präsenz und Alltagspräsenz werden dabei keine Gegensätze sein, sondern sich ergänzen. Und was man sich erhoffen kann: Eine flexible Schule ist auch viel weniger im Hamsterrad der Pandemie gefangen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Heinz Moser war bis 2013 Professor an der PH Zürich und für Medienpädagogik an der Universität Kassel (Deutschland). Er verfasste das Buch: Aufwachsen im digitalen Zeitalter. Einführung in die Medienpädagogik Wiesbaden 2019

Zum Infosperber-Dossier:

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4 Meinungen

  • am 16.11.2020 um 13:12 Uhr
    Permalink

    Nach Auskunft von drei Professoren für Immunologie und eines Molekularbiologen sind die PCR-Tests nicht einmal im Ansatz geeignet, eine Infektion
    festzustellen. Und dafür sind sie auch überhaupt nicht zugelassen. Zu den Professoren gehörte Frau Dr. Ulrike Kämmerer, Virologin und Immunologinan der Uni Würzburg, die (abgekürzt) erklärte: „Der PCR-Test zeigt nur die Nukleinsäure an, nicht ein Virus. Es kann keine Infektion nachweisen. Der PCR-Test kann nicht nachweisen, ob das Virus replikationsfähig ist, sich in dem Wirt tatsächlich vermehrt und ob der Mensch damit ursächlich krank wird.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, ausser der Aufforderung, endlich die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. Dr. med. Gerhardus Lang, 73087 Bad Boll

  • am 16.11.2020 um 13:53 Uhr
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    Na ja, die Diskussion um Schulschliessungen zeigt einfach einmal mehr, wie weit Behörden und Politik von der Realität entfernt sind. Die jüngst getroffenen Massnahmen, wovon die Schulschliessungen nur eine ist, werden von Ärzten und Virologen kritisiert. So sprachen sich bekannte Virologen wie Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit deutlich gegen verschärfte Massnahmen aus. Auch die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sowie 53 Deutsche Ärzteverbände fordern griffige Hygienekonzepte statt einer Verschärfung der Massnahmen. Nebst der Wiener Ärztekammer ist auch die Ärztekammer von Oberösterreich gegen eine Schliessunge der Schulen, weil Schulen nachgewiesenermassen keine Pandemietreiber sind. Die Meinung der Fachleute ist als klar, nur werden sie von Behörden und Politik ignoriert. Schade.

  • am 18.11.2020 um 08:54 Uhr
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    Ein PCR Test kann und darf keine Diagnose sein, das steht in so gut wie allen Beipackzetteln eines PCR Tests, Beispiel:
    https://www.creative-diagnostics.com/pdf/CD019RT.pdf
    "This product is for research use only and is not intended for diagnostic use.» PCR Tests sind schlicht nicht zur Diagnose zugelassen und das aus wissenschaftlichen Gründen. Des weiteren müssen für korrekte Anwendung Proben an geeigneten (eher sterilen) Orten genommen werden, Autobahnen, Bahnhöfe usw scheiden aus. Die Proben müssen (wenn die Verarbeitung innerhalb von 24 Stunden ist) auf 7° gekühlt werden, dauert es länger auf -20° gekühlt. Nicht einen ganzen Nachmittag liegen gelassen und dann gemütlich ohne Kühlung auf einem Rücksitz kutschiert. Ansonsten steigen die falschen Ergebnisse über die ideale Fehlerrate hinaus weit an.

  • am 22.11.2020 um 18:48 Uhr
    Permalink

    Ich möchte den Tatsachen von Herr Derungs, Dr Lang und dem grundsätzlich guten Artikel als Ingenieur und Berufsschullehrer nur noch folgendes hinzufügen:
    1. Fast alle Vorteile des digitalen Lernen mit Ausnahme der freien Zeiteinteilung und dem wegfallenden Reisezeit, kann auch im Präsenzunterricht umgesetzt werden. Im Präsenzunterricht ist das notwendige Coaching der Schüler oder Lernenden sogar noch effektiver.
    2. Selbstständig anspruchsvolle und realitätsnahe Kernaufgaben sind wie aus dem Bericht ableitbar, nur für selbstständige und in der Regel auch bessere Lernende motivierend. Gerade diejenigen schliessen auch bei anderen Unterrichtsmethoden gut ab und werden keine Mühe gaben, die digitale Veränderung in der Zukunft zu meistern. Es geht also um die nicht so selbstständigen, oft schwächeren und in der Regel mit wenig Grundmotivation. Denen schadet der Fernunterricht am meisten. Ich bitte also darum, sich der massiven Nachteile des Fernunterricht, insbesondere auf der Primar- und der Sekundarstufe, immer bewusst zu sein.

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