Kommentar
Vorkaufsrecht – Zürich hat eine Chance vertan
Mit beinahe 60 Prozent Nein-Stimmen hat das Zürcher Stimmvolk die kantonale Initiative für «Mehr bezahlbaren Wohnraum» abgelehnt. Dank der Initiative hätten die Gemeinden bei grösseren Immobilienverkäufen ein Vorkaufsrecht erhalten. Das hätte viele Probleme gelöst.
Denn vieles läuft heute falsch: In einer funktionierenden Marktwirtschaft sorgt eigentlich der Wettbewerb der Produzenten dafür, dass die Preise den Kosten entsprechen. Das ist die Grundlage. Die wird leicht erschüttert, wenn sich der Preis von Luxusgütern wie On-Schuhen oder Hermes-Taschen an der Kaufkraft der Reichen statt an den Kosten orientiert. Doch wenn dies auch beim Grundbedarf des Wohnens der Fall ist, dann müssten alle Alarmglocken schrillen. Das tun sie aber nicht, weil niemand das enorme Ausmass des Problems sehen will. Schauen wir genauer hin.
In der Schweiz hat sich die Regel durchgesetzt, dass die Miete 30 Prozent des Einkommens nicht übersteigen sollte. Beim mittleren steuerbaren Einkommen pro Paarhaushalt von – schweizweit – rund 7500 Franken sind das 2250 Franken – rund 900 Franken mehr als eine entsprechende Bestandesmiete und gut 1000 Franken mehr als die effektiven Kosten. Für das ärmste Viertel bedeuten 2250 Franken Miete eine Belastung von 50 Prozent oder mehr des steuerbaren Einkommens.
Doch dabei bliebt es nicht. Von den oft über 100 Bewerbern für eine Wohnung gehören immer auch ein paar zum reichsten Fünftel oder Zehntel, die – schweizweit – mehr als 13’000 oder gar rund 18’000 Franken verdienen. Diese Leute sind vor allem dann gern bereit, 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete oder schon mal drei oder vier Millionen für den Kauf einer Wohnung auszugeben, wenn der hohe Preis mit einem tiefen Steuerfuss einhergeht oder wenn sie damit rechnen können, dass der Wert der Immobilie weiter steigt.
Darum werden die in Kilchberg ZH aktuell auf homegate.ch verfügbaren Wohnungen pro 100 Quadratmeter Wohnfläche für 4000 bis 6800 Franken zur Miete und für rund 2,5 Millionen zum Kauf angeboten. Im benachbarten Adliswil, wo die Einwohner im Schnitt fast 50 Prozent weniger verdienen, werden 100 Quadratmeter im Schnitt für rund 1,5 Millionen zum Kauf und für gut 3000 Franken zur Miete angeboten. Auch bei gutem Ausbaustandard entfallen davon mindestens 1500 Franken oder 20 Prozent des steuerbaren Einkommens auf die Bodenrente. In Kilchberg dürfte dieser Betrag etwa doppelt so hoch liegen.
Die hohen Mieten kommen daher, dass die Immobilienbesitzer rein mietrechtlich eine Gesamtrendite von 2,05 Prozent durchsetzen können. Nicht unüblich sind aber auch Renditen von 4 bis 6 Prozent (hier). Kauft der Staat die Liegenschaft, kann er sich mit 1 Prozent Zins zufriedengeben, ohne dass der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Bei einer Wohnung im Wert von 1,5 Millionen Franken verringert allein das die Monatsmiete um 1300 bis 2500 Franken, auch wenn der Staat die Liegenschaft nicht besser bewirtschaftet und nicht billiger baut.

Das heisst auch: Hätte der Staat ein Vorkaufsrecht, entginge dem Vermieter eine Bodenrente von rund 1500 Franken pro Mieter und Monat. Der Mieter seinerseits würde davor bewahrt, einen Fünftel (oder deutlich mehr) seiner Kaufkraft an den Vermieter abtreten zu müssen. Das ist auch dann volkswirtschaftlich und sozialpolitisch sehr vorteilhaft, wenn es sich beim Mieter um einen Pensionskassenrentner handelt, denn nur rund 10 Prozent aller PK-Renten gehen an die 40 Prozent ärmsten Schweizer. Sie sind von den hohen Mieten prozentual besonders stark betroffen.
Und noch ein Aspekt ist wichtig: Ein Neumieter – beispielsweise in Adliswil – zahlt seinem «Landlord» etwa doppelt soviel Steuern (sprich Bodenrente) wie der Gemeinde und dem Kanton zusammen. Auch Top-Verdiener in Kilchberg zahlen dem Immobilienbesitzer trotz der hohen Mieten immer noch rund 30 Prozent mehr als dem Kanton und der Gemeinde.
Fazit: Die Zuwanderung von gutverdienenden Expats, die immer einseitigere Einkommensverteilung und der Steuerwettbewerb machen die Mieter und die Wohnungsuchenden immer ärmer und die Bodenbesitzer immer reicher. Doch während jede noch so geringe Steuererhöhung zu einem riesigen Aufschrei führt, bleibt es bei der Bodenrente still. Warum?
Erstens weil sich keine Partei und keine Zeitung bisher getraut hat, die Zahlen klar zu benennen. Zweitens weil die Erhöhung schleichend kommt. Jedes Jahr werden schweizweit etwa 10 Prozent der Wohnungen gewechselt und entsprechend etwa 10 Prozent der Bestandes- in Neumieten umgewandelt. Der Anstieg des Mietpreisniveaus wird als Naturgesetz betrachtet.
Noch wichtiger ist wohl der dritte Grund: Viele Schweizer profitieren als Immobilien-Investoren von den steigenden Bodenpreisen, und etwa ein Drittel ist – als Eigenheimbesitzer – nicht direkt betroffen. Sie werden durch finanzstarke und gut vernetzte Lobbys wie etwa den Hauseigentümerverband vertreten. Verlierer sind vor allem die (neu zugezogenen) Ausländer und die ärmere Hälfte der Schweizer – die beide politische Leichtgewichte sind.
Dabei schadet die aktuelle Verfassung unseres Immobilienmarkts langfristig allen, und zwar massiv. Wer möchte in Gemeinden wie Adliswil oder Langnau ein Gewerbe betreiben, wenn immer grössere Teile der lokalen Kaufkraft von Bodenbesitzern aufgesaugt werden? Wer will sich noch als Staatsbürger in Vereinen oder Parteien engagieren, wenn man vom Bodenbesitzer – wegen Sanierungsbedarf – jederzeit «ausgebürgert» werden kann? Wie gut kann eine Demokratie funktionieren, wenn eine dünne mobile Oberschicht jederzeit mit dem Abzug ihrer geballten Kaufkraft drohen kann?
Die Schweiz hat ein Problem. Wir müssen endlich offen darüber reden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.








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