Waffenmesse in London im September 2025

Waffenmesse in London, September 2025 © DSEI UK

Die Angstmacherei des militärisch-industriellen Komplexes

Urs P. Gasche /  Es locken lukrative Milliardengeschäfte. Zu den Profiteuren gehören neben der Rüstungsindustrie auch viele Investoren.

Red. Ein imperialistischer Putin bedrohe benachbarte Nato-Staaten. Deshalb müsse Europa massiv aufrüsten. Das fordern Nato, natonahe Think-Tanks und europäische Regierungen. Infosperber stellt eine andere Einschätzung zur Diskussion.
Nach einer Einordnung des russischen Imperialismus, der Rolle der Nato-Osterweiterung, eines verbreiteten Angstszenarios und der militärischen Stärke Russlands jetzt zur Frage, welchen Einfluss der militärisch-industrielle Komplex auf Politik und Medien hat.

 

Seit Russland die Ukraine angriff, sind Aktionäre von Rüstungskonzernen reich geworden. Für eine Aktie des Konzerns Rheinmetall zahlte man im Februar 2022 noch 101 Euro. Ende Oktober 2025 konnte man sie für 1697 Euro verkaufen: Eine Wertsteigerung um das Sechzehnfache. Die Börsenkurse anderer Rüstungskonzerne wie BAE System, Rolls-Royce oder GE Aerospace sind um 50 bis 100 Prozent gestiegen. 

Die diesjährige Waffenmesse DSEI in London ging am 12. September 2025 zu Ende. Über 1700 Unternehmen aus über 70 Ländern hatten ihre Rüstungsgüter ausgestellt – davon 109 aus Deutschland und 14 aus der Schweiz. Reuters schrieb: «Die Angst vor einem globalen Krieg ist gut für das Geschäft.»

Rüstungskonzerne sind die Profiteure von Kriegen. Deshalb finanzieren sie Think-Tanks mit unverfänglichen Namen. Sie malen Feindbilder an die Wand, verbreiten Ängste und übertreiben die militärische Kapazität von Gegnern. Think-Tanks, die vom militärisch-indiustriellen Komplex mitfinanziert sind, versorgen Nachrichtenagenturen und grosse Medien mit entsprechenden Informationen. (Siehe auch Infosperber vom 9.7.2023.)

Bereits im Jahr 1961 hatte Präsident Dwight D. Eisenhower vor dem Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes gewarnt. Heute ist sein Einfluss noch ungleich grösser.

Dwight D. Eisenhower
Präsident Dwight D. Eisenhower am 17. Januar 1961 über die Gefahr, die vom militärisch-industriellen Komplex ausgeht. Während des 2. Weltkriegs war er als General ein Supreme Commander für Europa.


27’000 PR-Berater polieren Image der USA

Vor fünfzehn Jahren beklagte Tom Curley, Chefredaktor der Nachrichtenagentur AP, den immensen Einfluss des US-Verteidigungsminsteriums auf seine Journalisten. Nachdem ihm der Kragen geplatzt war, enthüllte er schier unglaubliche Fakten über die PR-Arbeit des Pentagons.

Rüstungsunternehmen und Finanzinstitute profitieren

Von Aufrüstung und Kriegen profitieren börsenkotierte Unternehmen wie GE-Aerospace, Boeing, General Dynamics, Northrop Grumman, Lockheed Martin und RTX (ehemals Raytheon Technologies). Sie produzieren Raketen, Bomben, Panzer, Flugzeuge, Munition, Schiffe, Radarsysteme. 

Ein Profiteur, der keine Waffen entwickelt, aber Software für Überwachung und Spionage, ist der Konzern Palantir. Zu dessen Besitzern gehören die Milliardäre Peter Thiel und Alex Karp. Die Konflikte in Europa und im Nahen Osten würden dem Unternehmen zu «Chancen» verhelfen, freute sich der Palantir-Technologiechef Shyam Sankar.

Ausser den Rüstungsunternehmen und Palantir profitiert vom Aufrüsten auch die Finanzindustrie. Banken, Hedgefunds und viele Pensionskassen haben in Rüstungskonzerne und in Palantir direkt oder indirekt viel Geld investiert. Einige Finanzinstitute haben sogar einen Fonds lanciert, der das Geld ausschliesslich in Aktien von Waffenkonzernen anlegt. 

Portfoliomanager der UBS dürfen Aktien von Panzerproduzenten, Lenkwaffen- und Handgranatenherstellern sogar in ihre «Nachhaltigkeitsprodukte» aufnehmen.

Damit ist die Finanzindustrie daran interessiert, dass aufgerüstet wird und die Rüstungskonzerne florieren. Auch sie profitiert von Kriegseinsätzen und nicht von Verhandlungskompromissen oder von Abrüstung.


Von der kleinen Schweiz bis zum Pentagon

Sogar bei der Armee der kleinen, neutralen Schweiz und ihrem Departement für Verteidigung VBS gibt es über 95 Vollzeit-Stellen, welche Medien und Öffentlichkeit mit Informationen in ihrem Sinn versorgen. Zum Verbreiten der VBS-Sicht stehen jedes Jahr 26 Millionen Franken zur Verfügung. Das VBS produziert Beiträge für unzählige Kanäle und Publikationen. Ausserdem beschäftigt es «Influencerinnen». Das VBS rechtfertigte sich gegenüber der «NZZ»: «Die intensive Bearbeitung von Tiktok, Youtube und Co. sehen wir als eine Art ‹digitale geistige Landesverteidigung›.»

In den USA sind es ungleich grössere Player, die aufrüstungsfreundliche Narrative an die Adresse der Politik und der Medien verbreiten:

  • das Pentagon mit seinem «Kriegsministerium»
  • die vielen grossen Industriekonzerne, die sich an der Waffenproduktion beteiligen
  • Superreiche, die viel Geld in Rüstungskonzerne und Palantir investiert haben
  • zahlreiche von der Rüstungslobby mitfinanzierte Think-Tanks und Stiftungen.

Aktuell steht die Erzählung im Vordergrund, Putins Russland hege imperialistische Absichten und wolle das alte Sowjetreich wiederherstellen. Die russische Annexion der Krim und und der Krieg um den Donbas seien der Beweis dafür. Schon in wenigen Jahren sei Russland in der Lage, Nato-Staaten anzugreifen – sofern der Westen nicht massiv aufrüste.

Es gilt eine alte PR-Regel: Man muss eine Behauptung über längere Zeit x-mal wiederholen. Dann wird sie als Wahrheit empfunden. Dieses Ziel wird umso leichter erreicht, wenn es sich um einen autoritären Machthaber wie Putin handelt. Storys über dessen Gebaren und Willkür tragen dazu bei, die Angst vor einem russischen Angriff als realistisch wahrzunehmen.


Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger überzeugen

In westlichen Demokratien muss die Bevölkerung für zusätzliche Rüstungsmilliarden gewonnen werden. Dazu braucht es Medien, welche die Darstellungen des Militärs und der Rüstungslobbys mit der nötigen Emotionalität verbreiten.

Beispielsweise warnte «NZZ»-Auslandredaktor Andreas Rüesch in seinem Leitartikel vom 8. Juni 2024: Der «gewalttätige Imperialismus» und die «genozidalen Absichten» Putins würden «an der Grenze der Ukraine nicht haltmachen». Seine Propagandisten würden bereits diskutieren, «wer als Nächstes die Gnade der russischen Peitsche spüren soll – Polen, Litauen, Finnen, Moldauer, Kasachen». Mit dem «Virus des russischen Imperialismus» gebe es «nichts zu verhandeln».

Am 30. November 2024 verbreitete Rüesch: «Der Kreml wird sein Ziel nicht aufgeben, Europa … zu beherrschen.» 

In einem ganzseitigen Interview in der «NZZ am Sonntag» vom 27. April 2025 konnte Ukraines Ex-Aussenminister Dmitro behaupten: «Wenn die Ukraine diesen Krieg verliert, kommt der Krieg auf das Gebiet der EU. Das ist einfach logisch. Warum sollte Putin aufhören?» 

Einfach logisch? Man könnte einwenden, dass während der 15 Jahre vor dem Staatsstreich in Kiew im Jahr 2014 noch niemand Putin vorgeworfen hatte, er hege imperiale Absichten. Und warum eroberte ein seit jeher imperialistischer Putin nicht schon längst Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan oder Turkmenistan? Dort hätte er es einfacher als gegen die Nato. 

Eine Aufklärung darüber, wie wahrscheinlich ein russischer Angriff auf einen Nato-Staat tatsächlich ist, hat Seltenheit. Ebenso eine Analyse, wie wahrscheinlich andere existenzielle Risiken sind.


Unsummen für Aufrüstung fehlen anderswo

Mit seinen PR-Strategen und «Think-Tanks» verbreitet der militärisch-industrielle Komplex möglichst grosse Angst, damit die Bevölkerungen es akzeptieren, dass Regierungen und Parlamente Unsummen in die Aufrüstung stecken. Diese Gelder und Ressourcen fehlen dann, um die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen zu schützen, um den Wohlstand und das soziale Netz zu sichern und die Armut und damit die Immigration zu bekämpfen. Zudem wird ein überbordender Schuldenberg angehäuft, der eine Weltwirtschaftskrise wahrscheinlich macht. 

Vor lauter Kampfjets, Panzern und der Aufstockung der Armee fehlen genügend Mittel, um Angriffen auf die Infrastruktur vorzubeugen und um Drohnen und Cyberangriffe abzuwehren. 

«Mit der Fixierung auf die Armee nimmt sich das Parlament auf Jahre hinaus jeden finanziellen Handlungsspielraum», stellte Kolumnist Philipp Loser im «Magazin» vom 13. Juli 2024 fest.

Doch Militärs und Rüstungslobby wägen existenzielle Risiken nicht miteinander ab. Solange die Kassen klingeln und die Aktienkurse steigen, ist ihnen jedes Bedrohungsszenario recht – egal, wie wenig realistisch es auch sein mag.

Das Aufrüsten sei sogar «alternativlos», durfte Historiker Andreas Rödder in einem «NZZ»-Interview am 17. Januar 2025 ohne Widerrede behaupten: «Es ist eine schwierige Herausforderung, die Verteidigungsfähigkeit zu stärken und bei den Sozialsystemen einzusparen. Aber es gibt dazu keine Alternative, wenn die westlichen Gesellschaften überleben wollen.»


Medien versagen als vierte Gewalt

Kritische Analysen der tatsächlichen Absichten, Interessen, Risiken und Kräfteverhältnisse muss man in grossen Medien mit der Lupe suchen. Ihre Rolle als Vierte Gewalt übernehmen diese Medien nicht. Wenn sie kritisch sind, dann fast nur in eine Richtung: Weshalb wird nicht noch schneller aufgerüstet? Weshalb werden der Ukraine nicht viel schneller noch potentere Waffen geliefert?

Beispiele:

Georg Häsler warf Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Scholz vor, sie würden «zu zögerlich» agieren und damit «den Kreml zum Krieg animieren». («NZZ» 27.11.2024)

«Die Rekordausgaben der Nato reichen längst noch nicht.» So lautete der Titel in der «NZZ» vom 26. April 2025.

Auch die Rüstungsausgaben der Schweiz gehen der «NZZ» zu wenig weit. Redaktor Peter A. Fischer am 8. November 2024, ebenfalls auf der Titelseite: «Während die europäischen Natoländer ihre Verteidigungsausgaben auf 3 bis 5 Prozent ihres BIP erhöhen, diskutiert die Schweiz darüber, in wie vielen Jahren sie ein einziges Prozent ausgeben könnte.»

Das «einzige Prozent» verrät die unsachliche Stimmungsmache. Die Schweizer Milizarmee kann man nicht mit Berufsarmeen vergleichen, wie es Fischer und die Militärlobby gerne tun. Die Schweiz gibt schon längst mehr als 1 Prozent des BIP für die Verteidigung aus.


«Die Zeichen stehen auf Krieg»

An manchen Redaktionen kann der militärisch-industrielle Komplex seine helle Freude haben. Sie verbreiten Kriegsängste und pflegen das populäre Schema der Guten gegen die Bösen.

Am 15. März 2025 erschreckte die «NZZ» ihre Leserschaft mit der Schlagzeile: «Die Zeichen stehen auf Krieg». Die Schweiz müsse aufrüsten, weil «ein bewaffneter Konflikt in Europa in den nächsten Jahren ein leider wahrscheinliches Szenario» sei.

Zu Wort kommen viele Experten, die der Nato zugewandt sind. Beispielsweise Thomas Rothacher, stellvertretender Rüstungschef des Bundesamts für Rüstung Armasuisse. Originalton in der «NZZ» vom 3. Juni 2025: «Alle Zeichen stehen auf Sturm. […] Wer wird uns helfen, wenn wir das Ziel weitreichender, ballistischer Raketen wären?»

Die Antwort darauf ist einfach: Sicher nicht Kampflugzeuge und Kampfpanzer.

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