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Das Lichtsignal steht auf Grün. Trotzdem überfährt ein Velofahrer noch den Fussgängerstreifen. Die Fussgänger haben buchstäblich das Nachsehen. © Marco Diener

Falsche Sicherheit am Lichtsignal

Marco Diener /  Grün-, Gelb- und Rotphase vieler Lichtsignalanlagen sind zu kurz. Gefährdet sind vor allem Fussgänger.

Henkerbrünnli-Kreuzung in Bern: Zum Glück achten die beiden Fussgängerinnen nicht aufs Lichtsignal, sondern auf den Verkehr. Denn eben haben sie Grün bekommen. Eigentlich das Signal zum Gehen. Doch zuerst fährt ihnen ein schwarzes Auto vor der Nase vorbei. Und dann auch noch ein weisses.

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Die Fussgängerinnen am Henkerbrünnli in Bern haben Grün. Trotzdem zwängt sich zuerst ein schwarzes Auto vorbei …
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… und dann gleich auch noch ein weisses. Die Fussgängerinnen stehen immer noch da und wundern sich.

Das ist kein Einzelfall. Im Abendverkehr passiert das häufig. Nicht nur am Henkerbrünnli, sondern auch auf vielen anderen Kreuzungen – vor allem in Städten. Denn viele Lichtsignalanlagen sind zu knapp geschaltet.

Der «Sicherheitszuschlag»

Zum Beispiel die Alles-Rot-Phase. Das ist die Phase, während der alle Verkehrsteilnehmer aus allen Richtungen Rot haben. Im Fachjargon heisst sie «Sicherheitszuschlag» oder «Räumungszeit». Weil in dieser Zeit die Kreuzung von verspäteten Verkehrsteilnehmern geräumt werden soll. Häufig dauert die Alles-Rot-Phase aber nur eine Sekunde.

Die Alles-Rot-Phase ist nötig, weil es vorkommt, dass ein Fahrzeug bei Gelb noch eine Kreuzung befährt, da es nicht mehr halten kann. Das ist in der Signalisationsverordnung so vorgesehen: Bei Gelb müssen nur Fahrzeuge anhalten, «die noch vor der Verzweigung halten können».

Wenn nun diese Alles-Rot-Phase zu kurz ist, dann bekommen unter anderem Fussgänger bereits Grün, obwohl noch Autos auf der Kreuzung unterwegs sind.

«Genügend Zeit auch für Ältere»

Doch die kurzen Alles-Rot-Phasen sind nicht die einzige Gefahr für Fussgänger. Auch die Grün- und Gelbphasen, die ihnen zugestanden werden, sind oft zu kurz. Zwar heisst es in den Normen des Verbandes für Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS): «Lichtsignalanlagen sind so zu steuern, dass auch ältere Menschen und Menschen mit Behinderung genügend Zeit zum Queren haben.»

Die VSS-Normen sind verbindlich. Sie enthalten konkrete Zahlen:

  • Die Grünzeit muss so bemessen sein, dass ein Fussgänger mit einem Tempo von 1,2 Metern pro Sekunde zwei Drittel der Strasse überqueren kann.
  • Die Grün- und die Gelbzeit müssen zusammen so bemessen sein, dass ein Fussgänger mit einem Tempo von 0,8 Metern pro Sekunde die ganze Strasse überqueren kann. Dies als Konzession an Gehbehinderte.

Die Geschwindigkeit von 1,2 Metern pro Sekunde ist nämlich sehr sportlich. Das zeigt eine kleine Rechnung: Die 1,2 Meter pro Sekunde entsprechen über 4,3 Kilometern pro Stunde. Die «Schweizer Wanderwege» gehen bei der Berechnung der Wanderzeiten in der Ebene von einem Tempo von bloss 4,0 Kilometern pro Stunde aus.

BfU: «Oft zu kurz»

Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) hat denn auch festgestellt, dass Fussgänger die Grünphasen «oft als zu kurz» empfinden.

Auch mit den Gelbphasen gibt es ein Problem. Die VSS-Normen legen fest:

  • Die Gelbphase muss mindestens zwei und darf höchstens acht Sekunden dauern.
  • Zudem muss sie so lange dauern, dass mit einem Tempo von 1,2 Metern pro Sekunde zwei Drittel der Strasse überquert werden können. Für den Rest müsste die eingangs erwähnte Alles-Rot-Phase ausreichen.

Das schreibt auch die BfU in ihrem Merkblatt: «Eine in der letzten Grünsekunde begonnene Strassenquerung» müsse «konfliktfrei» verlaufen. Doch das ist längst nicht immer der Fall.

Bleiben wir in der Stadt Bern: Der Fussgängerstreifen zwischen Bahnhof und Neuengasse ist rund 21 Meter lang. Die Gelbphase dauert weniger als acht Sekunden. Kein Wunder, dass viele Fussgänger nicht nur bei Gelb, sondern auch noch bei Rot unterwegs sind.

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Zu langsam für die Lichtsignalanlage: Fussgänger am Bollwerk in Bern.

Schlimmer noch: Gelb- und Alles-Rot-Phase zusammen dauern keine 15 Sekunden. Wer den Fussgängerstreifen gerade noch bei Grün betritt, müsste die Strasse mit 5,1 Kilometern pro Stunde überqueren, um drüben zu sein, bevor die Autos losfahren. Mit 5,1 Kilometer pro Stunde bedeutet: beinahe im Laufschritt.

«Gemäss den Normen»

Die Stadt Bern schreibt dazu, die Lichtsignalanlagen in der Stadt Bern seien «gemäss den verbindlichen und schweizweit geltenden VSS-Normen programmiert». Wären sie es tatsächlich, müssten Gelb- und Alles-Rot-Phase nicht knapp 15, sondern gut 17 Sekunden betragen. Und dann hätten Gehbehinderte noch immer ein Problem.

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