So halten Pharmafirmen die Preise bei Krebsmedikamenten hoch
Keytruda ist das meistverkaufte Medikament der Welt. Es ist für 18 Krebsarten zugelassen, damit wurden seit der ersten Zulassung vor elf Jahren 2,9 Millionen Menschen behandelt. Rund 8590 Franken alle drei Wochen – so viel kostet die Behandlung damit hierzulande. In der Schweiz bezahlten die Krankenversicherer gemäss dem Helsana Arzneimittelreport allein für Keytruda im Jahr 2023 einen Betrag von 169 Millionen Franken – kostenmässig der Spitzenreiter unter allen Medikamenten.
Mit 146 Milliarden Dollar bescherte es dem Pharmariesen Merck seit 2014 fast die Hälfte des Umsatzes. Doch jetzt hat Merck damit ein Problem: Das Patent läuft Ende 2027 ab. Weil dann billigere Generika auf den Markt kommen könnten, droht Merck eine Umsatzeinbusse in zweistelliger Milliardenhöhe.
Spritze unter die Haut anstatt Infusion
Wie die «New York Times» (NYT) berichtet, wehrt sich Merck mit einer bewährten Strategie dagegen. Die Firma hat eine neue Darreichungsform entwickelt: Injektion unter die Haut anstatt wie bisher als Infusion. Die US-Arzneibehörde FDA hat das «neue» Medikament zugelassen. Die «Keytruda Qlex-Spritze» soll noch dieses Jahr auf den Markt kommen. Bevor die Konkurrenz bereit sein wird, sollen, so hofft man bei Merck, bereits 40 Prozent der Patienten auf die neue Spritze umgestiegen sein, um von diesem «bedeutenden Fortschritt» zu profitieren. Zum gleichen hohen Preis wie bisher.
Experten erwarten, dass diese Strategie amerikanische Steuer- und Beitragszahler Milliarden kosten wird. Die Konkurrenz wird es schwerhaben mit einem Medikament, das zwar gleich wirkt, die gleichen Nebenwirkungen hat und kostengünstiger ist – dessen Verabreichung als Infusion aber etwas komplizierter ist. Die demokratische Senatorin Elizabeth Warren und der ehemalige Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders warfen Merck vor, das Patentsystem zu missbrauchen. Das sei, so der Fach-Ausdruck, «Product Hoppping».
«Komfort verkaufen»
Product Hopping versucht mit aggressiver Vermarktung die Nachfrage von einem älteren Medikament, dessen Patentschutz bald ausläuft, auf eine neue Version desselben Medikaments zu verlagern, das vielleicht praktischer ist, die wichtigsten Faktoren aber nicht verbessert: Sicherheit und Wirksamkeit. Die Pharmabranche habe eine «perfekte Strategie entwickelt, um Komfort zu verkaufen, statt etwas, das therapeutisch besser ist», zitiert die «NYT» Tahur Amin, den Geschäftsführer der Initiative for Medicines, Access & Knowledge (IMAK), eine gemeinnützige Organisation, die Arzneimittelpatente verfolgt.
Product Hopping ist besonders bei teuren und weit verbreiteten Krebsmedikamenten beliebt. Dazu gehört neben Darzalex (von Johnson & Johnson) und Opdivo (Bristol-Myers Squibb) auch Herceptin von Roche. Unter den 20 kostenintensivsten Medikamenten rangierte Darzalex 2023 in der Schweiz auf Platz 4 und Opdivo auf Platz 16.
Laut der «NYT» bezahlt Medicare, das staatliche Krankenversicherungsprogramm der USA für Senioren und Menschen mit Behinderungen, Milliarden für diese Injektionsversionen, die gleich viel kosten wie die herkömmlichen Markenprodukte – von denen es mittlerweile aber viel günstigere Generika-Infusionen gibt. Weil die Grundversicherten einen Selbstbehalt von 20 Prozent haben, zahlen sie mit.
Das Ziel: Preiswertere Nachahmer-Produkte verhindern
Die Injektionen sind in den Spitälern sehr beliebt, weil sie teure Infusionsplätze für Chemotherapien freimachen und Zeit sparen. Merck rechnet vor: zwei Minuten für die Injektion statt 30 Minuten für die Infusion, eine Stunde im Behandlungsraum gegenüber zwei Stunden, und das alle drei bis sechs Wochen. Auch weite Reisen in ein Infusionszentrum – Merck rechnet vor: bis zu zehn Stunden – können die Spritzen ersparen. Eine Arztpraxis genügt.
Fast 300 Patente soll Merck gemäss I-MAK im Zusammenhang mit Keytruda angemeldet haben. Deren Ziel: Nachahmerprodukte weit über das Ablaufdatum des Patents hinaus zu blockieren. In der berechtigten Hoffnung, dass dann niemand mehr auf die praktische Spritze verzichten will. Und dass deshalb vielleicht gar keine Generika von Keytruda auf den Markt kommen.
Pharmafirmen, denen es am Herzen liegen würde, dass es die Patienten und Spitäler einfacher haben, würde ihre neuen Darreichungsformen jedoch sofort auf den Markt bringen – und nicht immer genau dann, wenn das Patent für das herkömmliche Produkt abläuft.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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