Frankreich: Geheime Waffentests verseuchen den Boden
Jahrzehntelang täuschte das französische Atomenergiekommissariat CEA die Öffentlichkeit über ihr geheimes Projekt zum Test von Nuklearwaffen-Zündern. Nichtsahnend war die Bevölkerung der Gegend um das Testgelände gesundheitsschädlicher Radioaktivität ausgesetzt. Viele Menschen erlitten chronische Lungenkrankheiten, manche starben an den Folgen. Die strahlenden Überreste der Detonationsexperimente sickern immer tiefer in den Untergrund. Langfristig ist das Grundwasser des gesamten Pariser Beckens bedroht, das Trinkwasser von Abermillionen Menschen. Das dokumentiert der Filmemacher Cédric Picaud mit seinem preisgekrönten Werk «Le Polygone».

Der Staat stellt sich taub
Seit 2013 ist das Testprogramm offiziell beendet. Das «Commissariat à l’Énergie Atomique» (CEA) zog ab und hinterliess seinen gefährlichen Müll. Es gab keinen Rückbau der strahlenverseuchten Einrichtungen, keine Sanierung des belasteten Bodens. Damien Girard, der Bürgermeister der betroffenen Gemeinde Pontfaverger-Moronvilliers, bemüht sich um die Anerkennung und Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts und Schadens durch den Staat.
Im Film sagt er: «Seit etwa zehn Jahren versuchen wir, mit dem CEA in den Dialog zu treten, aber es ist, als würde man gegen eine Mauer sprechen.» Empört ergänzt er: «Es ist wie bei einem Mieter, der Ihr Haus nutzt, keine Miete zahlt und seinen Müll zurücklässt, wenn er auszieht. Nicht annehmbar.»
Jetzt will Girard versuchen, auf dem Rechtsweg die Herausgabe von geheimen CEA-Dokumenten zu erzwingen, um die Schadenersatzansprüche seiner Gemeinde untermauern zu können.
Die Militärs spielten nie mit offenen Karten
Seit dem Ersten Weltkrieg sind rund 2000 Hektaren Land in der Gegend von Pontfaverger-Moronvilliers eine unfruchtbare Kraterlandschaft. Damals beschossen sich an der festgefahrenen Frontlinie deutsche und französische Truppen gegenseitig jahrelang mit Artilleriefeuer. Zehntausende Soldaten starben in den Hügeln der «Monts de Champagne», die Vegetation wurde vernichtet, zurück blieben nur die nackten Kreidefelsen, von den Einheimischen fortan «Mont Blanc» genannt. Dieses verwüstete Gelände erachtete das Verteidigungsministerium als geeignet für seine Atomwaffenexperimente.
Die Bevölkerung wurde systematisch getäuscht
Als das CEA seine Aktivitäten Mitte der 1950er Jahre aufnahm, tarnte es sich erst als Ölbohrfirma. Später riegelte es die Zone ab und behauptete, es müsse Abertausende von Granaten-Blindgängern aus dem 1. Weltkrieg räumen. So konnte es die vielen Detonationen seiner Waffentests gegenüber der ahnungslosen Bevölkerung über Jahrzehnte erklären.
Das CEA beschäftigte auf dem Gelände eigene Leute wie auch einheimische Handwerker und Bauarbeiter. Alle waren zu strikter Geheimhaltung verpflichtet, auch gegenüber der eigenen Familie.
Im Lauf von 55 Jahren erstellte das CEA für seine Experimente auf 500 Hektaren Kraterland 120 Bauten, viele davon unterirdisch, mit Mauern aus armiertem Beton von bis zu 1,5 Metern Dicke. Es wurde nie publik, was genau in den Bunkern geschah, welche Materialien für die Detonationsexperimente zum Einsatz kamen, wieviel radioaktive Strahlung dabei erzeugt wurde.
Handwerker und Bauarbeiter waren nicht geschützt
Auf dem Testgelände verfügten nur die CEA-Ingenieure über Schutzkleidung und Masken, die einfachen Arbeiter nicht. Für sie bestehe keine Gefahr, hiess es. Regelmässig seien sie per Nasenabstrich auf die Strahlenbelastung getestet worden, sagen diverse Zeitzeugen im Film. Damien Girard hat Aufzeichnungen darüber aufgetrieben. Daraus gehe hervor, dass nicht selten Überschreitungen der maximalen Tagesdosis um das 20- bis 40-fache gemessen wurden. Doch nie sei jemand informiert, gewarnt oder von der Arbeit suspendiert worden.

«Manchmal sah man einen Atompilz in den Himmel steigen»
Es habe wohl keine Atombombendetonation im eigentlichen Sinn gegeben, mutmasst ein Zeitzeuge im Film, ein ehemaliger CEA-Insider, «aber wir kamen den nuklearen Bedingungen sehr nahe.» Sie hätten mit Beryllium, Uran, Tritium und Deuterium experimentiert – allesamt stark radioaktive Elemente. «Wir wissen, dass die Kontamination direkt unter dem Standort um 3600 Prozent zugenommen hat. Dies basiert auf einem Dokument, das wir bereits 2005 vom CEA erhalten haben», berichtet Damien Girard. Heute weigere sich das Atomenergie-Kommissariat, weitere solcher Dokumente herauszugeben.
Das Testgelände wurde heimlich auch als Deponie benutzt
Mittlerweile hat Girard erfahren, dass auf dem ehemaligen Testgelände auch radioaktive Abfälle, die Plutonium enthielten, vergraben wurden. Es stellte sich heraus, dass dieser Abfall aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Marcoule stammt. Dies deute darauf hin, dass die CEA-Stätte – entgegen allen Behauptungen – nicht ausschliesslich der Erprobung von Detonationszündern gedient habe. Es habe auch Experimente mit radioaktiven Materialien und Gasen gegeben, die nur dazu gedient hätten, «die Auswirkungen auf die Umwelt, die Vegetation und wahrscheinlich auch auf den Menschen zu untersuchen.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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