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Peter Clausing, Helmut Burtscher-Schaden und der Europaabgeordnete Martin Häusling bei der Vorstellung einer PFAS-Studie der Heinrich-Böll-Stiftung am 30. Oktober in Berlin. © Heinrich-Böll-Stiftung

PFAS: Wissenschaftler kritisieren Untätigkeit bei Pestiziden

Daniela Gschweng /  Weitere Studie zeigt: Ewigkeitschemikalien aus Pflanzenschutzmitteln belasten Wasser, Lebensmittel – und unsere Gesundheit.

Eine neue Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, wie stark Grund- und Oberflächenwasser, aber auch Lebensmittel bereits mit dem PFAS Trifluoracetat (TFA) belastet sind. TFA kann von Pestiziden abgespalten werden und gelangt so ins Grund- und Trinkwasser – mit kaum absehbaren Folgen.

Ob die Fluorchemikalie fortpflanzungsgefährdend ist, steht noch nicht endgültig fest. Es gibt jedoch deutliche Hinweise darauf. Das deutsche Bundesamt für Risikobewertung stuft TFA als «reproduktionstoxisch, Kategorie 1B» ein, mit dem Hinweis: «Kann das Kind im Mutterleib schädigen. Kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.» Die Bewertung auf EU-Ebene läuft noch – die TFA-Menge im Wasser steigt unterdessen stetig weiter.

Nur im Tiefengrundwasser kein TFA

Lediglich im Tiefengrundwasser finde sich kein TFA, betonte der Toxikologe und Co-Autor Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) bei der Vorstellung der Studie am 30. Oktober in Berlin. TFA sei oft in Konzentrationen weit über dem Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter nachweisbar, der für fortpflanzungsgefährdende Stoffe gilt. Das bestätigen frühere Untersuchungen von Global 2000 und PAN Europe.

Präsentation der Studie vom 30. Oktober 2025

Um historische Belastungen zu rekonstruieren, untersuchte Clausing Weinproben. Da Wein Trauben aus verschiedenen Jahrgängen enthält, eignet er sich als Archiv für Umweltchemikalien. Dabei stellte er fest, dass der Freiburger Chemiker Michael Müller kurz zuvor denselben Ansatz gewählt hatte (Infosperber berichtete). Ein wissenschaftlicher Glücksfall.

Studie bestätigt bisherige Forschung

Die unabhängige Studie der Universität Freiburg bestätigte die Resultate: Noch in den 1980er-Jahren enthielt Wein praktisch kein TFA. Seit 2018 ist der durchschnittliche Gehalt um ein Vielfaches gestiegen.

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Drastischer Anstieg: Vor 1980 gab es quasi kein Trifluoracetat im Wein, bestätigt eine neue Analyse.

Höhere TFA-Gehalte gingen mit einer grösseren Zahl und Konzentration synthetischer Pestizidrückstände einher. Das deckt sich mit anderen Studien: Die Landwirtschaft stellt laut Umweltbundesamt die grösste TFA-Quelle dar, gefolgt von Niederschlägen, die TFA aus Kältemitteln enthalten.

«Global sind Niederschläge das grössere Problem», so Clausing. Dadurch gelange die Chemikalie bis in die Meere, wo sie sich nicht mehr entfernen lasse. Sollte TFA tatsächlich reproduktionstoxisch sein, wären sämtliche derzeitigen Grenzwerte zu hoch angesetzt, warnt er. Nur Dänemark erfülle derzeit die europäischen Anforderungen für fortpflanzungsgiftige Chemikalien.

Ein Wirrwarr gesetzlicher Vorschriften

Wie viel TFA Menschen täglich aufnehmen und ob das gefährlich ist, bleibt zudem unklar. Während die Europäische Lebensmittelbehörde Efsa 2014 eine akzeptable tägliche Aufnahmemenge (ADI) von 50 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht festlegte, senkten deutsche und niederländische Behörden diesen Wert später drastisch. Die Niederlande erlauben mit 0,3 µg/kg/Tag nur noch einen Bruchteil davon. In Flandern liegt der ADI bei 2,6 µg/kg/Tag, ebenfalls deutlich unter der ersten Efsa-Bewertung. Und auch die aktuelle Efsa-Neubewertung liege mit 30 µg/kg/Tag noch immer weit über diesen niedrigen Werten. «Für Laien ist das schon verunsichernd», kommentierte Clausing.

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Da kennt sich keiner mehr aus: Verschiedene europäische Behörden stellten sehr unterschiedliche TFA-Akzeptanzwerte fest – sogar innerhalb desselben Landes wie in Belgien.

Er verdeutlichte, was das praktisch bedeutet: Gälten die niederländischen Richtwerte als Massstab, läge die tägliche TFA-Aufnahme über Grundnahrungsmittel wie Brot, Nudeln oder Haferflocken bei Kleinkindern bereits über der akzeptablen Grenze. «Bedenkt man, dass man auch über Wasser TFA aufnimmt, sind 50 Prozent schon eine Überschreitung», erklärte Clausing.

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Teil des TFA-Akzeptanzwerts (ADI), den Kinder bei einer normalen Getreideernährung nach den jeweiligen Ländereinschätzungen ausschöpfen.

Behörden handelten viel zu spät

Auch der zweite Autor, Helmut Burtscher-Schaden, kritisierte das zögerliche Vorgehen der Behörden. Bereits 1998 sei bekannt gewesen, dass TFA aus Pestiziden im Grundwasser vorkommt, führt der Biochemiker auf. «Doch die EU hat jahrelang keine toxikologischen Daten angefordert.» Eine Risikobewertung von 2014 gehe weitgehend auf ein Positionspapier der Industrie zurück. Erst 2021 seien Tests zur Reproduktionstoxizität nachgeholt worden.

«Toxikologisch unhaltbar»

Die sehr unterschiedlichen Bewertungen der europäischen Behörden erklärt Burtscher-Schaden damit, dass diese nicht nur verschiedene Studien, sondern auch unterschiedliche Berechnungsmethoden herangezogen hätten – und sich damit viel Zeit liessen. Besonders umstritten sei eine Studie an Ratten von 2019. «Die Efsa übernimmt hier die Sichtweise eines Hausarztes», kritisierte er. «Sie erkennt Effekte erst an, wenn Leberwerte stark erhöht sind. Das ist toxikologisch unhaltbar.» Burtscher-Schaden spricht sogar von einem möglichen «Contergan-Deja-vu».

Und ausgerechnet Zeit hat bei TFA niemand. Die Chemikalie zerfällt nicht und kann nur mit grossem Aufwand aus Wasser entfernt werden. Die Konzentration im Grundwasser steigt weiter. Vor Kurzem warnten bereits die Wasserversorger vor einem sich aufbauenden Risiko (Infosperber berichtete).

Pestizidverbot wäre möglich – und nötig

Von den 27 derzeit zugelassenen PFAS-haltigen Pestizidwirkstoffen sind 17 als krebserregend oder fortpflanzungsschädigend eingestuft. Von den in Deutschland insgesamt 1801 zugelassenen Pestizid-Produkten enthalten wiederum nur 176 einen oder mehrere PFAS-haltige Wirkstoffe. Ein Verbot wäre nach Einschätzung Burtscher-Schadens rasch umsetzbar – und dringend nötig, um eine weitere Anreicherung von TFA in Wasser, Lebensmitteln und letztlich im menschlichen Körper zu verhindern.

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