Fluss

Das war einmal ein Fluss: der «Textile River» in Dhaka. © ZDF

Die leeren Versprechen von Decathlon

Martin Born /  Das ZDF beweist, dass Decathlon seine Umweltversprechen nicht einhält. Die Firma löscht sie kurzerhand von der Website.

Mit 16,2 Milliarden Euro Umsatz, 1817 Filialen und über 100’000 Mitarbeitern in 80 Ländern zählt Decathlon zu den grössten Sportartikelhändlern und -herstellern der Welt. Die Firma gehört der nordfranzösischen Unternehmerfamilie Mulliez, deren Mitglieder laut einer letzten Schätzung von 2018 Beteiligungen an Firmen im Wert von insgesamt 40 Milliarden besassen. Neuere Zahlen gibt es wegen der selbstauferlegten Diskretion nicht. Die Familie gehört zu den geheimnisvollsten Frankreichs.

Decathlon sieht sich als Vorreiterfirma in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Auf der Website ist zu lesen:

«Der Kampf gegen den Klimawandel und der Schutz der Biodiversität sind die grössten Herausforderungen unseres nachhaltigen Engagements. Als Designer und Händler von Sportprodukten übernehmen wir Verantwortung für die Reduzierung von CO2-Äquivalent-Emissionen gemäss den wissenschaftlichen Empfehlungen.»

Zu gut, um wahr zu sein?

Klingt gut. Zu gut, um wahr zu sein? Auch der ZDF-Reporter Sherif Rizkallah stellte sich die Frage: «Wie kann ein Sport-Discounter, dessen Geschäftsmodell darauf basiert, möglichst viele Produkte möglichst günstig zu verkaufen, nachhaltig sein?» Die Antwort auf diese Frage ist im ZDF Film «Decathlon: Kann Massenware nachhaltig sein?» zu sehen.

Decathlon setzt auf den «Ecodesign-Ansatz». Dabei geht es um «verringerte Umweltauswirkungen» bei der Produktion, Reparierbarkeit und Langlebigkeit der Produkte. «Ecodesign» steht auf der Etikette, wenn mindestens eines der Kriterien erfüllt ist.

Als vorbildlich bezeichnete Decathlon die Fleecejacke MH 120, weil sie unter anderem aus rezyklierten Pet-Flaschen hergestellt sei. Das sei, so erklärt eine Textilingenieurin im Film, verfehlt, weil sich dabei die Plastik-Fasern mit andern vermischen und der Stoff danach unmöglich trennbar sei.

Nachdem der Reporter Decathlon zu diesem Thema befragt hatte, verschwanden die Aussagen zu den rezyklierten Pet-Flaschen plötzlich von der Website. Man habe die Seite aktualisiert und arbeite an neuen, besseren Lösungen, war die Begründung. Nicht die Recherche.

Der «Textile River» von Dhaka

Um sich ein Bild darüber zu machen, wie Decathlon seine Textilien produziert, reiste Sherif Rizkallah nach Bangladesch, dem Land der gigantischen Stoffresten-Müllhalden. In der Hauptstadt Dhaka landen Stoffresten in einem Fluss. Vom Wasser ist im «Textile River» – wie er inzwischen genannt wird – nichts mehr zu sehen. Er ist begehbar. Die Stoffreste, die zu 70 Prozent aus Plastik bestehen, das nicht verrottet, werden bei Regenfällen ins Meer transportiert und zerfallen dort zu schädlichem Mikroplastik.

Dhaka ist gemäss der WHO die zweitdreckigste Stadt der Welt. Sie ist Zentrum der Textilfabrikation, die 85 Prozent der Exporte ausmacht. Eine Stadt, in der man an der Farbe der Flüsse den nächsten Modetrend in Mailand und Paris erkenne, wie die Chemikerin Viola Wohlgemuth im Film erklärt. Wobei die nicht sichtbaren Chemikalien wie Weichmacher und PFAS noch viel schädlicher seien.

Stoffresten als Brennstoff

Dann besucht Rizkallah einen Zulieferer von Decathlon, bei dem täglich 200 Tonnen Textilien weiterverarbeitet werden. 1000 der insgesamt 10’000 Mitarbeiter arbeiten auf der Decathlon-Etage. Auf die Frage, was mit all den Schnipseln passiere, die bei der Kleiderherstellung zurückbleiben, antwortet der Manager: «Sie werden verkauft.» An Leute, die sie etwa zu Taschen weiterverarbeiten würden. Solche Schnipsel findet der Reporter bei einer Sammelstation (wo auch Decathlon-Etiketten entdeckt werden). Dort werden die guten Stücke herausgepickt. Der Rest landet auf den Halden oder wird verbrannt, «weil Brennstoff so teuer ist». Dadurch entstehen giftige Gase, Dioxine, Feinstaub.

Dabei verspricht doch Decathlon auf seiner Website: «Produktionsreste werden bei Decathlon weiterverwendet und daraus neues Garn gesponnen.» Stattdessen landet all das, was nicht weiterverwendet oder verbrannt wird, auf den Müllhalden. Auch in einem Naturschutzgebiet in der Nähe des erwähnten Decathlon-Zulieferers, das vor zwei Jahren noch ein Paradies gewesen sei. Der Reporter fand auch hier Decathlon-Spuren. Seither behauptet Decathlon auf seiner Website auch nicht mehr, aus Stoffresten werde «neues Garn» gesponnen.

Nun verspricht die Firma gegenüber dem ZDF: «Aufgrund Ihrer Ergebnisse werden wir eine Untersuchung einleiten, um zu verstehen, wie dies geschehen konnte, und um etwaige Prozesslücken zu schliessen. Basierend auf den Ergebnissen verpflichten wir uns, alle notwendigen Korrekturmassnahmen zu ergreifen, um volle Compliance sicherzustellen.»

EU-Grenzwert um das Fünffache überschritten

Den spektakulärsten Fund seiner Recherche spart sich Rizkallah für den Schluss des Films auf. Dabei geht es um wasserabweisende Stoffe, wie sie für Regenbekleidung oder Zelte verwendet werden: PFAS – oder ausgeschrieben «per- und polyfluorierte Alkyl-Substanzen». Das sind sogenannte «Ewigkeitschemikalien» die kaum abbaubar sind und den Weg in Grundwasser, Flüsse und Meere finden – und anschliessend auch in den Menschen. Substanzen, die krebserregend sein können.

Im August dieses Jahres fand Rizkallah auf der Decathlon-Seite noch den Satz, dass «PFAS-Produkte seit 2022 aus dem Angebot entfernt worden» seien. Wenig später, nachdem der Reporter ein Decathlon-Zelt zur Untersuchung ins Bremer Umweltinstitut geschickt hatte, fehlte der Satz auf der Seite. Begründung: Der Satz sei veraltet. Dass er von der Website gelöscht worden sei, habe nichts mit den Recherchen zu tun.

Das Ergebnis aus Bremen war erschütternd. Die gefundenen PFAS-Werte waren so hoch, dass selbst der Reporter seine Zweifel hatte, ob sie wirklich stimmen. Also kaufte er drei weitere Zelte des gleichen Typs und schickte sie nach Bremen. PFAS-Spuren wurden auch jetzt gefunden. Dank einem neuzertifizierten Analyseverfahren wurde danach eine präzisere Analyse vorgenommen, die nach allen Stoffen suchen sollte, die auf der Decathlon-eigenen «schwarzen Liste» aufgeführt sind. Das Ergebnis: Viel Verdächtiges wurde gefunden, bei zwei Zelten wurden EU-Grenzwerte überschritten – in einem Fall um das Fünffache – was heisst: Der Verkauf müsste sofort gestoppt, verkaufte Zelte allenfalls zurückgerufen werden.

Decathlon versprach, die Zelte selbst noch einmal zu untersuchen und bei einer Überschreitung der Grenzwerte «Korrekturmassnahmen zu ergreifen, einschliesslich einer möglichen Rücknahme der Produkte». Erst als der Film bereits fertig war, nahm Decathlon das Zelt «vorsorglich» aus dem Sortiment. Selber will Decathlon in den Zelten keine PFAS gefunden haben.


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Keine
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