Kommentar
E-ID: Die «Vertrauensinfrastruktur» überzeugte sehr viele nicht
Es war viel knapper als erwartet. Dass die E-ID am vergangenen Abstimmungssonntag auf lediglich 50.4 Prozent Zustimmung kam, überraschte viele. Eine der letzten Meinungsumfragen sprach noch von einer «stabilen Ja-Mehrheit von knapp 60 Prozent».Das tatsächliche Abstimmungsresultat zeigte aber, dass die Digitalisierungsskepsis in der Schweiz viel grösser und weiter verbreitet ist als angenommen.
Dazu drei Überlegungen:
Erstens: Die einseitige «Vertrauensinfrastruktur»
Bundesrat Beat Jans machte während des Abstimmungskampfs viele aufsehenerregende Aussagen. Etwa dass die E-ID «zu 99 Prozent sicher» sei. Nach der Abstimmung doppelte er nach, indem er sagte:
«Wir wissen im analogen Leben auch gerne, mit wem wir es zu tun haben. Warum sollte das im Internet anders sein?»
Von Behördenseite war denn in Bezug auf die E-ID immer auch vom Aufbau einer «Vertrauensinfrastruktur» die Rede.
Doch tatsächlich ist diese zum jetzigen Zeitpunkt einseitig designt. Während Halter und Halterinnen von E-IDs sich gar mit biometrischen Daten und AHV-Nummern registrieren müssen, ist dies bei Organisationen, welche diese Daten abfragen möchten, nicht zwingend vorgesehen. Und dies, obschon der Bundesrat in seiner Botschaft zum Gesetz selber schreibt: «Missbräuche im Internet sind oft dadurch begründet, dass das Gegenüber nicht sicher identifiziert werden kann.»
Stand heute wird also vom Bund bewusst in Kauf genommen, dass innerhalb der Vertrauensinfrastruktur Akteure auftreten, die verschleiern können, wer sie sind. Ein weit offenes Einfallstor für Betrüger in eine mit behördlichem Vertrauensvorschuss ausgestattete Welt.

Das Bewusstsein mag nicht immer gleich gut auf Informationen gestützt sein, aber es ist nicht falsch: Im Kern sind auch mit einer guten E-ID viele digitale Behörden- und Geschäftsgänge geprägt von einer stossenden Asymmetrie.
Wer dies erkennt, erkennt auch: Deine Daten können – ohne entsprechenden Schutz – auch gegen dich verwendet werden.
Entsprechende Betrugsmaschen sind bereits in der Schweiz bis auf lokale Ebenen zu finden und mitunter raffiniert. Alleine im letzten Jahr zählte das Bundesamt für Cybersicherheit beispielsweise über 20’000 neue Phishing-Websites.
Darunter war auch ein Fall, bei welchem Betrüger eine falsche Website des Zürcher Zoos erstellten, dafür eine in der Google-Suche zum Zoo-Shop zuoberst erscheinende Anzeige erstellten und via Website vorgeblich Eintrittstickets verkauften. Wer dies tat, fand seine Kreditkarte mit einem deutlich höheren Betrag belastet durch ein Schuhgeschäft in Dubai.
Angesichts solcher Fälle ist eindeutig, dass immer noch häufig auf der sicheren Seite bleibt, wer auf die digitale Variante verzichtet.
Entscheidend fürs Vertrauen in die federführenden Behörden und Unternehmen wird deshalb auch sein, wie aufrichtig ihre analogen Alternativen daherkommen. Digitale Honigtöpfe sind bereits heute überall und mit der E-ID dürften sie uns noch häufiger vor die Nasen gehalten werden.
Und zwar besonders dann, wenn wir besonders dringend etwas erledigen müssen oder die Angst besonders gross ist, etwas zu verpassen oder einen schlechten Deal einzugehen. Solche Alltagssituationen kennen wir alle.
Dabei geht es bereits heute um Nuancen.
Auch im Abstimmungskampf häufig genanntes Beispiel hier ist das geplante Organspende-Register. Es ist ein gutes Beispiel, weil es potenziell alle Schweizerinnen und Schweizer betrifft. Der Hintergrund: 2022 sprach sich das Stimmvolk deutlich für einen Systemwechsel bei der Organspende aus. Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, muss dies künftig festhalten. Ohne Widerspruch dürfen nach dem Tod Organe und Gewebe für Transplantationszwecke entnommen werden.
Deshalb sollen nun alle Schweizerinnen und Schweizer in einem elektronischen Register angeben können, ob sie ihre Organe im Todesfall spenden möchten oder nicht. Dies soll allerdings gemäss heutigem Stand nur jenen vorbehalten sein, welche sich mit der E-ID identifizieren. Willensbekundungen auf Notizpapier in Schreibtischschubladen oder in Patientenverfügungen würden zwar weiter akzeptiert.
Doch für einen bequemen, frühzeitigen Eintrag ins Register ist die E-ID derzeit zwingend vorgesehen. Das Bundesamt für Gesundheit macht auch keinen Hehl aus dem Zusammenhang und schreibt: «Die Widerspruchsregelung kann frühestens Anfang 2027 eingeführt werden. Der genaue Zeitpunkt ist noch nicht bekannt. Er hängt davon ab, wann die E-ID in der Schweiz zur Verfügung stehen wird.»
Ob man diese Wahrnehmung nun teilt oder nicht: So lange es für den Eintrag ins Organspende-Register – und nicht bloss für die Willensbekundung – keinen analogen Weg gibt, erscheint das Projekt auch als grosse Onboarding-Massnahme für die E-ID. Und das Freiwilligkeitsversprechen deshalb nicht ganz aufrichtig.
Zweitens: Die Gewinner machten wohl den Unterschied
Es ist normal, dass die verschiedenen Parteien und Lager nach Abstimmungen die Resultate unterschiedlich auslegen. Im Fall der E-ID war jedoch eindeutig, wie gegensätzlich die Kampagnen aufgestellt waren:
Hier die Ja-Kampagne mit fast allen Parteien, IT-Unternehmern mit wichtigen Posten im Parlament, der Bundesverwaltung und gefühlt der gesamten «Wirtschaft».
Da ein zerstrittenes Grüppchen Aussenseiter und Nobodys fast ohne Geld, in ein paar Fällen mit äusserst zweifelhaftem Ruf, und die SVP als blinde Passagierin.
Fast alle Analysen sind sich einig, dass es beim E-ID-Projekt nicht zuerst um eine konkrete Lösung für ein politisches Problem ging. Sondern um die grösste und verbindlichste Meinungsumfrage zur Digitalisierung. Dies lag daran, dass es um abstrakte und technische Themen wie Datenschutz oder Verschlüsselung ging.
Es lag auch daran, dass der Bund das IT-Unterfangen offen als wichtigen Eckstein für die Ausweitung digitaler Dienste im Alltagsleben der Schweizerinnen und Schweizer bezeichnete. Etwas übertrieben: Höchstens Duschen, Essen und die Notdurft verrichten wird man in dieser schönen Zukunftsvision nicht können mit dem Smartphone.
Diese mit monetärem Treibstoff versehene Hoffnung auf ein besseres Leben im virtuellen setzte sich am vergangenen Sonntag hauchdünn durch. Entscheidend waren dabei letztendlich wohl die Profiteure dieses Wandels – also Investoren und Angestellte in Unternehmen, welche neue digitale Dienste anbieten oder bestehende gestalten und ausbauen. Sie wohnen vornehmlich in den Städten. Und diese sprachen sich im Gegensatz zu ländlichen Regionen mehrheitlich für die Vorlage aus.
Wären bloss die Stimmen jener gezählt worden, welche die E-ID als User ohne basale Verständnisse von IT-Architekturen nutzen sollen, wäre die Abstimmung ziemlich sicher anders ausgegangen.
Dass sie also schlicht den Draht verloren haben, müsste den Digital-Turbos allerorts so zu denken geben wie einem Coach, dessen Team sich schwertut, die taktischen Vorgaben als erfolgsversprechend zu verinnerlichen. Wer dies einfach der «Desinformation» zuschreibt, überschätzt die Nutzung des Webs durch die hier relevante Bevölkerung und die eigene Fähigkeit, das kritische Urteilsvermögen anderer Menschen zu bewerten.
Bezeichnend dafür: Die Antworten etwa der SRG-Trendumfrage zur E-ID wurden hauptsächlich mittels Online-Befragung erhoben. Von total 14’400 Antworten stammten 13’400 von Klicks auf der SRF-Website.
Drittens: Die Chancen
Richtig ist trotz allem: Im Gegensatz zum heutigen Wild-West-Klima im digitalen Raum dürfte die E-ID vielerorts einen Fortschritt darstellen und Hilfe bieten. Dies liegt vor allem daran, dass das vorgesehene E-ID-Gesetz strenger ist als die existierende Datenschutzgesetzgebung. Während heute Unternehmen wie etwa Ticketanbieter für Events freihändig unsere Daten abgrasen können, sind bei der E-ID Beschwerdemöglichkeiten mit (schwachen) Sanktionen vorgesehen. Ähnliches gilt für die Werbebranche, welche heute ziemlich ungehindert persönliche Daten sammelt und zu Werbezwecken verwendet, obschon dies so vielerorts nicht erlaubt wäre.
Wichtig ist deshalb, was Bundesrat Jans ebenfalls erwähnte: Die E-ID steht unter demokratischer Kontrolle. Damit stellt sich der Bund nun in die Verantwortung. Dies ist grundsätzlich zu begrüssen. Die entscheidende Frage ist weiterhin: Wie kann und will er dieser Verantwortung gerecht werden?
Denn trotz vorbildhaft transparenter und partizipativer Projektführung wird erst klar sein, was die E-ID genau ist, wenn sie genutzt wird. Interessant dürfte deshalb auch sein, welche Behörden und Branchen wie mit der E-ID arbeiten wollen. Und wie gewissenhaft die geplante «E-ID-Polizei» ihre Arbeit machen kann.
Denn bei laxer Umsetzung könnte sich die nun erwiesenermassen grosse Digitalskepsis an der E-ID weiter entzünden. In diesem Fall droht eine gigantische Verschwendung von Steuergeldern für die Förderung der «Wirtschaft», die sich so gerne vom Staat unabhängig präsentiert. Und dies ausgerechnet in Zeiten, in welcher der Bundesrat höchst umstrittene Kürzungspakete mit spürbaren Folgen durchsetzen will.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Nachdem viele IT Projekte des Bundes und anderer Behörden in erster Linie sehr teuer und kaum je im Zeitrahmen umgesetzt wurden, bin ich sehr skeptisch, was die E-ID angeht. Auch der Datenschutz ist nicht gerade ein Lichtblick in diesen Projekten.
Ausserdem ist es eine Zumutung, dass ich eine E-ID haben muss, um mich vom Organspenderegister abzumelden.
Die «Vertrauensinfrastruktur» E-ID hat die erste Abstimmung knapp gewonnen. Es gibt noch eine zweite: Das Verhalten der Benützer des Webs. Wenn nur wenige Teilnehmer die E-ID benutzen, dann wird sie im Netz keine grosse Rolle spielen. Nur wenn eine Grosszahl der Teilnehmer die E-ID verwendet, lohnt es sich für die Anbieter im Netz, auf diese zu setzen. Dabei stimmen nicht nur die Stimmbürger ab, sondern alle im Netz. Das sagt die Netzwerkökonomie.
wenn ich es richtig verstehe, ist die e-id ein elektronischer ersatz für einen physischen ausweis. wenn das so ist, sehe ich kaum einen nutzen für den bürger.
nutzbringender wäre vielmehr, wenn man mit der e-id dokumente wie pass, zeugnisse, wohnbestätigung verknüpfen könnte und diese dokumente dann bei diversen anträgen nicht mehr der behörde schicken braucht.
Tja, die Abstimmung ist durch. Ich habe Nein gestimmt, meine Frau Ja. Patt.
Am Sonntag abend habe ich sie gefragt: «Ist Dir bewusst, dass man mit einer solchen eID alle deine Aktionen auch noch nach 10 Jahren wird hervorholen können?». Antwort: Nein.
Ich kenne viele Leute, welche Bedenken hinsichtlich hinsichtlich Vertraulichkeit schon immer damit beantworteten: «Ach, wer interessiert sich schon für mich? Und wenn, ist es ja auch egal».
Dass aber diese eID-Daten – angesichts der Datensammelwut der Informatik (ich bin selbst ein Informatiker – ich weiss wovon ich da rede) noch in 10, 20 Jahren abrufbar sein werden, das bedenken diese Leute nicht – sie leben ausschliesslich im hier und jetzt.
Oder ein Gedankenspiel: was wäre zur Coronazeit gewesen, wenn die eID schon 2017 eingeführt worden wäre? Ich vermute, die Überwachung, die Drangsalierung wäre dann noch totaler gewesen.
Doch nun ist es entschieden – ausfressen müssen es Jüngere wie ich….