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«Die Schweiz ist ein wichtiger Teil des gesamten Machtapparats, in welchem um den Zugang zu Nahrung gerungen wird.» Silvie Lang von Public Eye im Interview. © Public Eye

«Die Schweiz muss ihre Agrarkonzerne unter die Lupe nehmen»

Pascal Sigg /  Mächtige Schweizer Agrarkonzerne mischen im Ringen um Nahrung mit. Expertin Silvie Lang sagt, warum das verpflichtet.

Der Dokumentarfilm «The Grab» zeigt, wie Reiche und Mächtige sich auf der ganzen Welt Wasser und Lebensmittel sichern (Infosperber berichtete). Im Interview erklärt Silvie Lang von Public Eye, welche Rolle die Schweiz in diesem verborgenen Verteilkampf spielt.

Expertin für globalen Agrarrohstoffhandel

Silvie Lang ist bei der NGO Public Eye Co-Leiterin des Teams Recherche & Advocacy. Davor war sie über acht Jahre für den Bereich Agrarrohstoffe zuständig und recherchierte zu deren Handel sowie den Missständen im Anbau.

Frau Lang, der Film «The Grab» zeigt, wie der Kampf um fruchtbares Land und Wasser aufgrund der Klimakrise weltweit zunimmt. Sehen Sie diese Entwicklung auch?

Ja, wir sehen diese auch. Der Zugang zu Land ist zunehmend beschränkt. Oft sind weder Landtitel noch Nutzungsrechte geregelt oder diese basieren auf Gewohnheitsrecht und werden von Staaten nicht anerkannt. Der Film trifft einen Nerv der Zeit und wir sehen auch Links zur Schweiz. Die Schweiz ist ein wichtiger Teil des gesamten Machtapparats, in welchem um den Zugang zu Nahrung gerungen wird.

Die Schweiz ist der grösste Handelsplatz für Agrarrohstoffe. Über 50 Prozent des Getreides, 40 Prozent des Zuckers sowie jede dritte Kaffee- und Kakaobohne werden von Schweizer Tradern gehandelt. Wie hat sich der Handel in den letzten Jahren verändert?

Die Handelsunternehmen dehnen sich auf weitere Stufen der Wertschöpfungskette aus. Sie dringen zusehends auch in den Anbau, die Verarbeitung oder die Logistik vor.

Weshalb?

Da können sie besonders rentabel wirtschaften. Die Branche ist sehr ressourcenintensiv. Im reinen Handel muss man deshalb grosse Volumen umsetzen, um Gewinne zu erzielen. Aber gerade bei sogenannten «Flex Crops» wie Zuckerrohr, Mais oder Palmöl ist der Anbau lukrativer, weil man situativ entscheiden kann, wie und zu welchem Preis man den Rohstoff weiterverarbeitet und verkauft. Bei arbeitsintensiven kleinbäuerlich angebauten Rohstoffen wie Kaffee ist dies viel weniger lukrativ. Zudem: Je näher die Unternehmen an der Produktion sind, desto mehr Kontrolle erhalten sie über Qualität und Menge der Produkte.

Was wissen wir über die hierzulande involvierten Unternehmen? Und wie sind die Banken am Geschäft beteiligt?

Insgesamt wissen wir nicht sehr viel über die Firmen. Cargill etwa, der weltweit grösste Agrarhändler, ist im privaten Besitz einer Milliardärsfamilie. Die Firma muss nicht sehr transparent sein. Auch zum Gesamtsektor fehlen in der Schweiz nach wie vor grundlegende Daten wie gesicherte Zahlen zur Wertschöpfung oder zu den Warenflüssen der gehandelten Rohstoffe. Aber der Handel ist hierzulande schon gross, weil es einen grossen Finanzplatz gibt. Die Schweizer Banken sind im Vergleich zwar nicht so relevant als Kreditgeber, aber bei der sogenannten transaktionalen Handelsfinanzierung, also bei der Finanzierung einzelner Handelsgeschäfte sind sie für die Händler wichtig.

Sind auch ausländische Staatsfonds in der Schweiz tätig?

Wohl kaum, dafür ist die Schweiz schlicht zu klein. Aber wie der Film auch zeigt, gibt es Länder, die zunehmend in Agrarhandelsfirmen investieren. ADQ etwa, der Investment-Fonds der Vereinigten Arabischen Emirate, hält 45 Prozent an der Louis Dreyfus Company, einem der grössten Agrarhändler mit operativem Hauptsitz in Genf.

Was könnte die Schweiz tun, um die im Film beschriebenen Missstände zu anzugehen?

Auf internationaler Ebene gäbe es Standards, wie die UNO-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Schweiz müsste sich viel stärker für deren Einhaltung einsetzen, in dem sie ihre Firmen dazu verpflichtet, bei Geschäften im Ausland Sorgfaltsprüfungen vorzunehmen. Also Risiken von beispielsweise Menschenrechtsverletzungen zu prüfen und Schäden wiedergutzumachen. Im Prinzip ist es das, was wir mit der neuen Konzernverantwortungsinitiative wieder versuchen. Zudem braucht es dringend eine Aufsichtsbehörde, um sicherzustellen, dass keine illegal angebauten Rohstoffe in die Lieferketten von Schweizer Firmen gelangen.

Wie steht es derzeit in dieser Hinsicht?

Auf dem Verordnungsweg wurde 2022 zwar eine Sorgfaltspflicht für Unternehmen eingeführt. Diese beruhte auf dem Gegenvorschlag zur ersten Konzernverantwortungsinitiative. Die Verordnung beschränkt sich aber auf Kinderarbeit und Konfliktmineralien. Weitere gravierende Missstände wie Zwangsarbeit oder Landgrabbing sind also ausgenommen. Dies ist für uns nicht nachvollziehbar. Zudem müssen die Unternehmen nur genauer hinschauen, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass zum Beispiel Kinder ausgebeutet wurden.

Das reicht nicht?

Keineswegs. Entscheidend ist doch: Wie kommt dieser Verdacht zustande? Manchmal ist es offensichtlich, weil man um das Risiko weiss. Wir wollen aber, dass die Firmen grundsätzlich hinschauen müssen. Sie müssen abklären, ob ein Risiko besteht und ob sie genug unternehmen, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen vorzubeugen. Die neue Initiative wurde auch lanciert, weil das Vorgehen des Bundes für uns hier zu schwach und nicht international abgestimmt ist. Der Bundesrat ist derzeit daran, einen Gegenvorschlag zur neuen Konzernverantwortungsinitiative auszuarbeiten – wir sind gespannt.

Und wie gross ist das ausländische Interesse an Schweizer Agrarressourcen?

Es ist klein, vor allem im Vergleich zu den grossen oder spezialisierten Agrarproduzenten wie Brasilien oder der Côte d’Ivoire, die durch ihr exportorientiertes Entwicklungsmodell viel abhängiger von diesen Ressourcen sind. Sie sind viel stärker von einem auch geopolitisch motivierten Interesse an ihrem Land betroffen. Aber der Kampf um Ressourcen besteht im Grundsatz auch in Europa. Und auch die Schweiz will sich so gut wie möglich selber versorgen können. Beim Wasser sehen wir zum Beispiel, dass Nestlé Quellen anzapft. Aber der grosse Hebel der Schweiz in diesem Bereich besteht eindeutig bei den hier ansässigen Agrarkonzernen, welche diesen Sektor dominieren.


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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

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