glass frog

Ein Glasfrosch, wie er in Nebelwäldern vorkommt. © kikkerdirk/depositphotos

Der Präsident in Ecuador ignoriert das Verfassungsgericht

Red. /  Bergbaukonzerne sollen einen reichhaltigen Nebelwald zerstören dürfen. Präsident Daniel Noboa vertritt Interessen der Konzerne.

Anfang Jahr war die Welt in Ecuador noch in Ordnung: Es war das erste Land der Welt, in dem die Natur Rechtsansprüche hat. Das Verfassungsgericht von Ecuador hatte bereits im Jahr 2021 ein wegweisendes Urteil gefällt, wonach die Ökosysteme des Meeres entlang der Küsten Naturrechte haben, einschliesslich des Rechts auf «integrale Achtung ihrer Existenz und auf Erhaltung und Regeneration ihrer Lebenszyklen, Struktur, Funktionen und ihrer evolutionären Prozesse». Es nahm Bezug auf Kapitel 7, Artikel 71 bis 74 der Landesverfassung.

Infosperber hatte darüber am 14. Februar 2025 berichtet.

Nebelwald in Ecuador
Nebelwald in Ecuador

Hoch in den ecuadorianischen Anden liegt ein Nebelwald, in dem Hunderte von gefährdeten aussergewöhnlichen Lebewesen beheimatet sind, darunter die stachelige Taschenmaus, die Dracula-Orchidee, der Glasfrosch und der Turmalin-Sonnenengelkolibri. 

In dieser nebelverhangenen Region entspringen zahlreiche klare Flüsse, die durch den Prozess der Kondensation, der als kontinuierlicher Nebelabfall bezeichnet wird, gespeist werden. Ein Spaziergang durch das feuchte, leuchtende Grün dieses Nebelwaldes – bekannt als Los Cedros – fühlt sich an, als würde man durch feuchtes Moos laufen, wenn man winzig klein wäre.


Seit fast zwei Jahrzehnten ist dieses kleine Land Vorreiter bei der Entwicklung neuer Konzepte und Gesetze für die Beziehung des Menschen zu anderen Lebewesen auf der Erde – und hat damit ähnliche Innovationen in anderen Ländern inspiriert.

Nun jedoch ist dieser ökologische Fortschritt durch eine Reihe von «Reformen» des jungen populistischen Präsidenten Daniel Noboa ernsthaft gefährdet. Noboa ist der Erbe eines Agrarkonzerns und kam mit dem Versprechen an die Macht, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen. 

Seine «Reformen« sollen Ecuadors atemberaubende Landschaften für den Bergbau und Bohrungen öffnen. Im Namen der «Effizienz» werden Umweltbehörden zerschlagen und Beamte und zivilgesellschaftliche Organisationen ins Visier genommen. Denn diese würden seine präsidiale Agenda behindern. Zudem will Noboa mit weitreichenden Notstandsbefugnissen die Macht in seinen Händen konzentrieren.

César Rodríguez-Garavito, Professor an der New York University School of Law, nennt es in der «New York Times» «den schwersten Angriff auf den Umweltschutz und die verfassungsmässige Integrität in der jüngeren Geschichte Ecuadors».

Am 24. Juli 2025 löste Noboa das Ministeriums für Umwelt, Wasser und ökologischen Wandel auf und übertrug seine Befugnisse ausgerechnet an das Ministerium für Energie und Bergbau. Für Rodríguez-Garavito machte der Präsident damit «den Fuchs zum Wächter des Hühnerhofs». Es gebe jetzt keine unabhängige Institution zum Schutz der aussergewöhnlichen Ökosysteme mehr.

Fünf Tage später erliess die Regierung mit dem Vorwand eines Notstands das Stiftungsgesetz. Gestützt darauf kann die Regierung zivilgesellschaftliche Organisationen überwachen und sogar schliessen, wenn sie «Aktivitäten ausüben, die die Grundrechte des Einzelnen, die öffentliche Ordnung oder die Sicherheit des Staates verletzen». 

Diese weitreichenden Befugnisse erinnern an längst abgeschaffte Vorschriften, die der frühere Präsident Rafael Correa vor einem Jahrzehnt genutzt hatte, um Umweltorganisationen zu verfolgen und aufzulösen. 

Die Regierung behauptet zwar, das Gesetz diene der Bekämpfung von Geldwäscherei und kriminellen Aktivitäten, hat jedoch nicht verhehlt, dass es auch gegen Umweltorganisationen gerichtet ist, die ihre Wirtschaftspolitik kritisieren.

Es folgte ein Gesetz über geschützte ökologische Gebiete, das den Weg für die Privatisierung von Nationalparks und Waldreservaten ebnet und den lokalen Gemeinden die Befugnisse zu deren Verwaltung entzieht.

Da viele dieser Massnahmen eindeutig verfassungswidrig sind, wurden sie bereits vor dem Verfassungsgericht angefochten. Dieses könnte Teile dieses Gesetzespakets für nichtig erklären oder Änderungen erzwingen. 

Doch die Regierung Noboa griff das Gericht bereits öffentlich an. Sie schlug ein Referendum vor, um die Verfassung zu ändern und abweichende Richter leichter ihres Amtes entheben zu können. 

Am 12. August, nachdem das Gericht einige seiner Notstandsbefugnisse tatsächlich ausgesetzt hatte, führte Noboa einen Marsch gegen das Gericht an. Die Anhänger des Präsidenten hängten riesige Transparente über Strassen der Hauptstadt Quito mit den Namen und Fotos der Richter: «Das sind die Richter, die uns den Frieden rauben.»

Die Galápagos-Inseln vor der Küste Ecuadors waren die erste Bioregion, die von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärt wurde. Kürzlich wurden sie Schauplatz des grössten Schuldenerlasses für Naturschutzmassnahmen in der Geschichte. Damit wurde ein weltweiter Präzedenzfall geschaffen, um Millionen von Dollar für den Schutz der Artenvielfalt in hoch verschuldeten Ländern freizusetzen. 

Professor Rodríguez-Garavito ruft in der «New York Times» die grossen Staaten dazu auf, Ecuadors visionäre Führungsrolle im Umweltschutz zu honorieren. Aktivisten, Rechtsexperten und indigene Völker hätten es immer schwieriger, im Nebelwald weiterhin Land, Wasser und Leben zu verteidigen: «Wenn sie keine Unterstützung erhalten, um sich gegen die schlimmsten Auswüchse der von Präsident Noboa vorgeschlagenen Reformen zu wehren, werden die Kosten für das Leben auf der Erde – von Kolibris bis hin zu Menschen – enorm sein.»


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