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«Too big to fail»? Nein, auch die UBS kann scheitern. © ubs.com

«Too big to fail»? Das gibt’s gar nicht

Marco Diener /  «Too big to let them fail» müsste es – wenn schon – heissen. Aber auch dafür gibt es keine zuverlässigen Kriterien.

Kein Unternehmen ist «too big to fail». Jedes kann scheitern. Das zeigt hierzulande das Beispiel der Credit Suisse. Wenn überhaupt, dann müsste es heissen: «Too big to let them fail.» Also zu gross, als dass man sie scheitern lassen könnte. Weil die Verantwortlichen dieser Ansicht waren, liess der Bund die CS nicht in Konkurs gehen, sondern setzte alles daran, dass die UBS sie integrierte – zu einem mutmasslich viel zu niedrigen Preis.

Dass der Begriff «too big to fail» falsch ist, darauf machen der Literatur- und Kulturwissenschaftler Simon Sahner und der Ökonom Daniel Stähr in ihrem Buch «Die Sprache des Kapitalismus» aufmerksam. Sie kritisieren darin Begriffe, die das kapitalistische System unterstützen und die verhindern, dass wir es hinterfragen.

«Too big to fail» verbreitete sich im deutschsprachigen Raum mit der Finanzkrise von 2008. Der Begriff legt nahe, dass es eine Schwelle gebe, ab der ein Unternehmen so gross ist, dass man es nicht Konkurs gehen lassen kann. Doch dafür gibt es keine wirtschaftswissenschaftlichen Kriterien. Trotzdem haben Schweizer Zeitungen und deren Online-Portale den Begriff seit 2008 über 24’000 Mal verwendet – fast immer, ohne ihn zu hinterfragen.

«Too big to fail»-Status als Ansporn?

Für Firmenbesitzer und -chefs kann die «Too big to fail»-Phrase sogar ein Ansporn sein, ihr Unternehmen weiter wachsen zu lassen. Und zwar so sehr, dass die Regierung das Unternehmen in einer Krise nicht fallen lässt. Sahner und Stähr erwähnen die Automobilindustrie: «Die Hilfszahlungen, die zahlreiche deutsche Autohersteller während jeder Krise erhalten (zuletzt im Zuge der Corona-Hilfsprogramme 2020/2021) versinnbildlichen die Angst der deutschen Regierung, dass ein zentraler Wirtschaftszweig in Schwierigkeiten geraten könnte.»

Für Unternehmen, so Sahner und Stähr weiter, sei der «Too big to fail»-Status erstrebenswert. So garantiere der Status, dass selbst wenn die Unternehmens-Chefs Misswirtschaft getrieben hätten, «der Staat und damit die Gesellschaft einspringen».

Dieser Anspruch ist allerdings mehr als merkwürdig. Denn wenn ein Unternehmen wirklich «too big to let it fail» wäre, dann gäbe es zwei Möglichkeiten:

  • Es zu zerschlagen. Diese Diskussion wird bei den Schweizer Banken seit Jahren geführt – ohne nennenswertes Ergebnis.
  • Oder es unter staatliche Kontrolle zu bringen.

«Denn», erklären die beiden Autoren, «ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das in der Lage ist, ganze Wirtschafts- oder Finanzsysteme zu Fall zu bringen, kann nicht im Interesse der Gesellschaft sein.»

Was heisst «reich»?

Sahner und Stähr kritisieren viele weitere Begriffe. So gehen sie der Frage nach, was «reich» bedeutet. Sie gehen von einem deutschen Lehrerpaar mit zwei Kindern aus, das netto 8000 Euro im Jahr verdient. Ist das Paar reich? Eher nicht. Allerdings liegt das Paar damit weit über dem deutschen Durchschnitt. Reich sind die beiden trotzdem nicht.

Und Bundeskanzler Friedrich Merz, der angeblich ein Vermögen von 12 Millionen Euro inklusive Privatflugzeug besitzt und sich trotzdem bloss zur «gehobenen Mittelschicht» zählt? Er ist sicher reich. Aber im Vergleich zur BMW-Mitbesitzerin Susanne Klatten? Oder zu Elon Musk oder Bill Gates? Sind Musk und Gates einfach nur reich?

«Superreich» oder «überreich»?

Solche Menschen nennt man häufig «superreich». Aber, kritisieren Sahner und Stähr, «damit wird suggeriert, dass diese Form des Reichtums positiv oder wenigstens neutral zu bewerten sei». Sie fragen, «ob es für eine Gesellschaft überhaupt sinnvoll und ethisch vertretbar ist, wenn einzelne Menschen derartige Mengen an Reichtum anhäufen. Grosser Reichtum bedeutet Macht und die Möglichkeit, sich vollständig von gesellschaftlichen Einflüssen abzukoppeln.»

Die beiden Autoren werfen die Frage auf, ob jemand, der mehrere hundert Millionen oder gar Dutzende Milliarden besitzt, wirklich als «reich» oder «superreich» bezeichnet werden sollte – oder nicht viel eher als «überreich». Aus ethischer Sicht verfüge nämlich ein solcher Mensch über zu viel Reichtum. Dieser erlaube es ihm, rein egoistisch zu handeln. Und sein Reichtum sei auch nicht die Folge des Leistungsprinzips, das im Kapitalismus so sehr hochgehalten werde.

Das demonstrieren Sahner und Stähr am Beispiel von Karl Albrecht jr., einem Aldi-Erben. Er besitzt dem Vernehmen nach ein Vermögen von 35 Milliarden Euro. Das Median-Vermögen in Deutschland lag 2021 bei 70’000 Euro. Hat Albrecht 500’000-mal so viel geleistet wie der durchschnittliche Deutsche? Ist sein Vermögen die Folge des Leistungsprinzips?

«Überreich» ist sicher die passendere Bezeichnung als «superreich». Aber warum nicht einen Begriff verwenden, der zuletzt ein bisschen in Vergessenheit geraten ist? «Stinkreich.» Das Wort ist vielleicht ein bisschen polemisch – regt aber zum Denken an.

«Verdient» Mbappé 3,9 Millionen Euro pro Monat?

Weiteres Beispiel: das Wort «verdienen». Die beiden Autoren stellen die Frage: «Wie viel verdient eine Pflegekraft?» Die meisten Menschen dürften davon ausgehen, dass der Fragende nach dem tatsächlichen Gehalt fragt. Die Frage könnte aber auch bedeuten: Wie viel sollte eine Pflegekraft für ihre Arbeit erhalten? Oder: Was wäre ein gerechtes Gehalt? Das Wort «verdienen» ist mehrdeutig.

Stutzig machen müsste uns, so Sahner und Stähr, dass der französische Fussballer Kylian Mbappé im Monat 3,9 Millionen Euro «verdient», während ein Krankenpfleger in Deutschland rund 3700 Euro «verdient». Eigentlich müssten wir sagen, dass die beiden 3,9 Millionen beziehungsweise 3700 Euro bekommen. Ob sie die Beträge verdienen, ist eine andere Frage.

Natürlich bringt Mbappé seinem Verein Real Madrid unzählige Millionen ein. Aber hat seine Arbeit tatsächlich einen höheren Wert als diejenige des Krankenpflegers? Leistet er über 1000-mal so viel wie der Krankenpfleger?

Ist ein «Tsunami» schuld?

Viertes und letztes Beispiel: Stähr und Sanders erwähnen eine ganze Reihe von «Tsunamis», die uns treffen könnten. Mal droht Mietern ein Tsunami. Dann werden wir von einem Energie-Tsunami getroffen. Diese Art der kapitalistischen Sprache ist so verbreitet, weil sie sehr anschaulich ist. Aber sie legt auch nahe, dass man nichts machen kann. Dass niemand verantwortlich ist, wenn es zu einem Tsunami kommt. Dabei wäre es viel nützlicher, wenn die Urheber der hohen Mieten und der hohen Energiepreise genannt würden.


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