Tour de France Tourmalet

Frühmorgens am Col du Tourmalet. Sekunden zuvor war die Eule noch ein Penis. © NOS

Tour de France: Blitzschnell wird der Penis zur Eule

Esther Diener-Morscher /  Kurz bevor die Velorennfahrer heranbrausen, wird übermalt. Die TV-Zuschauer sollen nichts Obszönes oder Politisches sehen.

Etwa drei Stunden vor den Fahrern der Tour de France macht ein Lieferwagen auf der Rennstrecke die letzte Kontrollfahrt. Immer wieder hält die Camionette an, schnell steigt ein Kontrolleur aus. Einmal putzt er Kies von der Strasse, ein anderes Mal befestigt er ein schlecht aufgehängtes Transparent. Manchmal hält das Fahrzeug auch vor einer der vielen Malereien auf dem Asphalt.

Einer dieser Fahrer im Kontroll-Fahrzeug heisst Patrick Dancoisne. Der 65-jährige Nordfranzose ist Angestellter des Unternehmens Doublet, das an der Tour unter anderem für die Beschilderung und die Werbetafeln zuständig ist. Er fährt bereits zum 15. Mal für seine Firma die Tour-de-France-Strecke ab.

Zu Berühmtheit hat es Dancoisne gebracht, weil das holländische Fernsehen NOS vor ein paar Jahren eine Reportage über ihn gebracht hat. Damals fuhr er im Morgengrauen mit seinem Gehilfen den Col du Tourmalet ab. «Da, ein Geschlechtsteil», hört man ihn plötzlich sagen. Er hält, zieht energisch die Handbremse, steigt aus, nimmt einen Kübel weisser Farbe und beginnt zu malen. «Ich mache einen Kreis und Augen, mach du die Füsse», sagt er seinem Kollegen. Innert weniger Sekunden hat er sein Werk vollendet und erklärt: «Es soll eine Art Uhu sein. So bekommt niemand mehr das Geschlechtsteil zu sehen.»

«Oh, putain, encore une bite»

Das ist nicht nur ihm, sondern auch seiner Firma Doublet, die für den visuellen Auftritt der Tour sorgt, ein grosses Anliegen. Deshalb entfährt es ihm nach wenigen hundert Metern Weiterfahrt: «Oh, putain, encore une bite» – «oh nein, schon wieder ein Penis». Es ist der vierte auf fünf Kilometern. «Machen wir hier einen Schmetterling?», fragt er seinen Kollegen und beginnt sogleich, mit seinem Farbroller, die Flügel und die Fühler zu malen.

Man nenne ihn «l’effaceur de zizis» – den «Pimmel-Löscher», hiess es im französischen Radio «Ici». Was lustig tönt, ist in der Realität einiges ernster: Oft ist die Zeit knapp, und es gibt viele letzte Arbeiten zu erledigen, bevor die Rennfahrer kommen. Dancoisne muss nicht nur vom Wind verwehte Transparente wieder aufhängen und obszöne Zeichnungen übermalen, sondern auch politische oder rassistische Parolen möglichst schnell zum Verschwinden bringen. Sonst sind sie live am Fernsehen zu sehen.

Tour de France Strassensäuberung
Bei Regen ist es für Patrick Dancoisne besonders schwierig, die Strasse noch schnell herzurichten, bevor die Fahrer kommen.

Die Schriften und Malereien zu löschen, ginge viel zu lang. So lässt Patrick Dancoisne seine Fantasie spielen und übermalt das, was das Publikum nicht sehen soll, mit möglichst wenigen Strichen mit seinem Farbroller.

Viel Arbeit heute am Mont Ventoux

3339 Kilometer absolvieren die Fahrer an der diesjährigen Tour. Doch zum Glück müssen die Organisatoren nicht überall mit unerwünschten Graffiti rechnen. Meistens finden sich die Bilder an steilen Aufstiegen. Weil die Fahrer dort langsamer sind, sind die Malereien oft für mehrere Sekunden im Fernsehen zu sehen. Heute steht noch der Mont Ventoux auf dem Programm. In den nächsten Tagen überqueren die Fahrer den Col du Glandon, den Col de la Madeleine, den Col de la Loze und den Col du Pré – bekannte Tour-Pässe, wo viele «Kunstwerke» zu erwarten sind.

Dancoisne wird dafür sorgen, dass nur Harmloses zu sehen ist: Eulen oder Schmetterlinge. Je nach Zeichnung hat er aus einem Penis auch schon ein Velo gemacht. Dancoisne ist so erfolgreich, dass ihm das noch mehr zu tun gibt. «Die Leute zeichnen obszöne Dinge, um zu sehen, was wir damit machen», zitierte ihn das holländische Fernsehen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...